Bedeutender aber ist auch hier die Frage, wie die Erziehung ermessen, und sich die Ge¬ währschaft leisten könne, daß diese Religions¬ kenntnisse nicht tod und kalt bleiben, sondern daß sie sich ausdrücken werden im wirklichen Leben ihres Zöglings; welcher Frage die Be¬ antwortung einer andern Frage vorauszu¬ schicken ist, der folgenden: wie, und auf welche Weise zeigt sich die Religion überhaupt im Leben.
Unmittelbar, im gewöhnlichen Leben, und in einer wohlgeordneten Gesellschaft, bedarf es der Religion durchaus nicht, um das Leben zu bilden, sondern es reicht für diese Zwecke die wahre Sittlichkeit vollkommen hin. In die¬ ser Rücksicht ist also die Religion nicht prak¬ tisch, und kann und soll gar nicht praktisch wer¬ den, sondern sie ist lediglich Erkenntniß: sie macht bloß den Menschen sich selber vollkom¬ men klar, und verständlich, beantwortet die höchste Frage die er aufwerfen kann, löset ihm den letzten Widerspruch auf, und bringt so vollkommne Einigkeit mit sich selbst, und durchgeführte Klarheit in seinen Verstand. Sie ist seine vollständige Erlösung und Be¬
Bedeutender aber iſt auch hier die Frage, wie die Erziehung ermeſſen, und ſich die Ge¬ waͤhrſchaft leiſten koͤnne, daß dieſe Religions¬ kenntniſſe nicht tod und kalt bleiben, ſondern daß ſie ſich ausdruͤcken werden im wirklichen Leben ihres Zoͤglings; welcher Frage die Be¬ antwortung einer andern Frage vorauszu¬ ſchicken iſt, der folgenden: wie, und auf welche Weiſe zeigt ſich die Religion uͤberhaupt im Leben.
Unmittelbar, im gewoͤhnlichen Leben, und in einer wohlgeordneten Geſellſchaft, bedarf es der Religion durchaus nicht, um das Leben zu bilden, ſondern es reicht fuͤr dieſe Zwecke die wahre Sittlichkeit vollkommen hin. In die¬ ſer Ruͤckſicht iſt alſo die Religion nicht prak¬ tiſch, und kann und ſoll gar nicht praktiſch wer¬ den, ſondern ſie iſt lediglich Erkenntniß: ſie macht bloß den Menſchen ſich ſelber vollkom¬ men klar, und verſtaͤndlich, beantwortet die hoͤchſte Frage die er aufwerfen kann, loͤſet ihm den letzten Widerſpruch auf, und bringt ſo vollkommne Einigkeit mit ſich ſelbſt, und durchgefuͤhrte Klarheit in ſeinen Verſtand. Sie iſt ſeine vollſtaͤndige Erloͤſung und Be¬
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0093"n="87"/><p>Bedeutender aber iſt auch hier die Frage,<lb/>
wie die Erziehung ermeſſen, und ſich die Ge¬<lb/>
waͤhrſchaft leiſten koͤnne, daß dieſe Religions¬<lb/>
kenntniſſe nicht tod und kalt bleiben, ſondern<lb/>
daß ſie ſich ausdruͤcken werden im wirklichen<lb/>
Leben ihres Zoͤglings; welcher Frage die Be¬<lb/>
antwortung einer andern Frage vorauszu¬<lb/>ſchicken iſt, der folgenden: wie, und auf welche<lb/>
Weiſe zeigt ſich die Religion uͤberhaupt im<lb/>
Leben.</p><lb/><p>Unmittelbar, im gewoͤhnlichen Leben, und<lb/>
in einer wohlgeordneten Geſellſchaft, bedarf es<lb/>
der Religion durchaus nicht, um das Leben zu<lb/>
bilden, ſondern es reicht fuͤr dieſe Zwecke die<lb/>
wahre Sittlichkeit vollkommen hin. In die¬<lb/>ſer Ruͤckſicht iſt alſo die Religion nicht prak¬<lb/>
tiſch, und kann und ſoll gar nicht praktiſch wer¬<lb/>
den, ſondern ſie iſt lediglich Erkenntniß: ſie<lb/>
macht bloß den Menſchen ſich ſelber vollkom¬<lb/>
men klar, und verſtaͤndlich, beantwortet die<lb/>
hoͤchſte Frage die er aufwerfen kann, loͤſet<lb/>
ihm den letzten Widerſpruch auf, und bringt<lb/>ſo vollkommne Einigkeit mit ſich ſelbſt, und<lb/>
durchgefuͤhrte Klarheit in ſeinen Verſtand.<lb/>
Sie iſt ſeine vollſtaͤndige Erloͤſung und Be¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[87/0093]
Bedeutender aber iſt auch hier die Frage,
wie die Erziehung ermeſſen, und ſich die Ge¬
waͤhrſchaft leiſten koͤnne, daß dieſe Religions¬
kenntniſſe nicht tod und kalt bleiben, ſondern
daß ſie ſich ausdruͤcken werden im wirklichen
Leben ihres Zoͤglings; welcher Frage die Be¬
antwortung einer andern Frage vorauszu¬
ſchicken iſt, der folgenden: wie, und auf welche
Weiſe zeigt ſich die Religion uͤberhaupt im
Leben.
Unmittelbar, im gewoͤhnlichen Leben, und
in einer wohlgeordneten Geſellſchaft, bedarf es
der Religion durchaus nicht, um das Leben zu
bilden, ſondern es reicht fuͤr dieſe Zwecke die
wahre Sittlichkeit vollkommen hin. In die¬
ſer Ruͤckſicht iſt alſo die Religion nicht prak¬
tiſch, und kann und ſoll gar nicht praktiſch wer¬
den, ſondern ſie iſt lediglich Erkenntniß: ſie
macht bloß den Menſchen ſich ſelber vollkom¬
men klar, und verſtaͤndlich, beantwortet die
hoͤchſte Frage die er aufwerfen kann, loͤſet
ihm den letzten Widerſpruch auf, und bringt
ſo vollkommne Einigkeit mit ſich ſelbſt, und
durchgefuͤhrte Klarheit in ſeinen Verſtand.
Sie iſt ſeine vollſtaͤndige Erloͤſung und Be¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/93>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.