Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

sie jezo sähet. Ich glaube ihnen; ich habe
selbst schon in meiner nicht sehr langwierigen
Erfahrung erlebt, daß Jünglinge, die erst an¬
dere Hofnung erregten, dennoch späterhin jenen
wohlmeinenden Erwartungen dieses reifen
Alters vollkommen entsprachen. Thut dies
nicht länger, Jünglinge, denn wie könnte sonst
jemals ein besseres Geschlecht beginnen? Der
Schmelz der Jugend zwar wird von euch ab¬
fallen, und die Flamme eurer Einbildungskraft
wird aufhören, sich aus sich selber zu ernähren;
aber fasset diese Flamme, und verdichtet sie
durch klares Denken, macht euch zu eigen die
Kunst dieses Denkens, und ihr werdet die
schönste Ausstattung des Menschen, den Cha¬
rakter, noch zur Zugabe bekommen. An jenem
klaren Denken erhaltet ihr die Quelle der ewi¬
gen Jugendblüthe; wie auch euer Körper al¬
tere, oder eure Knie wanken, euer Geist wird
in stets erneuerter Frischheit sich wiedergebäh¬
ren, und euer Charakter fest stehen, und ohne
Wandel. Ergreift sogleich die sich hier euch dar¬
bietende Gelegenheit; denkt klar, über den
euch zur Berathung vorgelegten Gegenstand;

ſie jezo ſaͤhet. Ich glaube ihnen; ich habe
ſelbſt ſchon in meiner nicht ſehr langwierigen
Erfahrung erlebt, daß Juͤnglinge, die erſt an¬
dere Hofnung erregten, dennoch ſpaͤterhin jenen
wohlmeinenden Erwartungen dieſes reifen
Alters vollkommen entſprachen. Thut dies
nicht laͤnger, Juͤnglinge, denn wie koͤnnte ſonſt
jemals ein beſſeres Geſchlecht beginnen? Der
Schmelz der Jugend zwar wird von euch ab¬
fallen, und die Flamme eurer Einbildungskraft
wird aufhoͤren, ſich aus ſich ſelber zu ernaͤhren;
aber faſſet dieſe Flamme, und verdichtet ſie
durch klares Denken, macht euch zu eigen die
Kunſt dieſes Denkens, und ihr werdet die
ſchoͤnſte Ausſtattung des Menſchen, den Cha¬
rakter, noch zur Zugabe bekommen. An jenem
klaren Denken erhaltet ihr die Quelle der ewi¬
gen Jugendbluͤthe; wie auch euer Koͤrper al¬
tere, oder eure Knie wanken, euer Geiſt wird
in ſtets erneuerter Friſchheit ſich wiedergebaͤh¬
ren, und euer Charakter feſt ſtehen, und ohne
Wandel. Ergreift ſogleich die ſich hier euch dar¬
bietende Gelegenheit; denkt klar, uͤber den
euch zur Berathung vorgelegten Gegenſtand;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0474" n="468"/>
&#x017F;ie jezo &#x017F;a&#x0364;het. Ich glaube ihnen; ich habe<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chon in meiner nicht &#x017F;ehr langwierigen<lb/>
Erfahrung erlebt, daß Ju&#x0364;nglinge, die er&#x017F;t an¬<lb/>
dere Hofnung erregten, dennoch &#x017F;pa&#x0364;terhin jenen<lb/>
wohlmeinenden Erwartungen die&#x017F;es reifen<lb/>
Alters vollkommen ent&#x017F;prachen. Thut dies<lb/>
nicht la&#x0364;nger, Ju&#x0364;nglinge, denn wie ko&#x0364;nnte &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
jemals ein be&#x017F;&#x017F;eres Ge&#x017F;chlecht beginnen? Der<lb/>
Schmelz der Jugend zwar wird von euch ab¬<lb/>
fallen, und die Flamme eurer Einbildungskraft<lb/>
wird aufho&#x0364;ren, &#x017F;ich aus &#x017F;ich &#x017F;elber zu erna&#x0364;hren;<lb/>
aber fa&#x017F;&#x017F;et die&#x017F;e Flamme, und verdichtet &#x017F;ie<lb/>
durch klares Denken, macht euch zu eigen die<lb/>
Kun&#x017F;t die&#x017F;es Denkens, und ihr werdet die<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Aus&#x017F;tattung des Men&#x017F;chen, den Cha¬<lb/>
rakter, noch zur Zugabe bekommen. An jenem<lb/>
klaren Denken erhaltet ihr die Quelle der ewi¬<lb/>
gen Jugendblu&#x0364;the; wie auch euer Ko&#x0364;rper al¬<lb/>
tere, oder eure Knie wanken, euer Gei&#x017F;t wird<lb/>
in &#x017F;tets erneuerter Fri&#x017F;chheit &#x017F;ich wiedergeba&#x0364;<lb/>
ren, und euer Charakter fe&#x017F;t &#x017F;tehen, und ohne<lb/>
Wandel. Ergreift &#x017F;ogleich die &#x017F;ich hier euch dar¬<lb/>
bietende Gelegenheit; denkt klar, u&#x0364;ber den<lb/>
euch zur Berathung vorgelegten Gegen&#x017F;tand;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[468/0474] ſie jezo ſaͤhet. Ich glaube ihnen; ich habe ſelbſt ſchon in meiner nicht ſehr langwierigen Erfahrung erlebt, daß Juͤnglinge, die erſt an¬ dere Hofnung erregten, dennoch ſpaͤterhin jenen wohlmeinenden Erwartungen dieſes reifen Alters vollkommen entſprachen. Thut dies nicht laͤnger, Juͤnglinge, denn wie koͤnnte ſonſt jemals ein beſſeres Geſchlecht beginnen? Der Schmelz der Jugend zwar wird von euch ab¬ fallen, und die Flamme eurer Einbildungskraft wird aufhoͤren, ſich aus ſich ſelber zu ernaͤhren; aber faſſet dieſe Flamme, und verdichtet ſie durch klares Denken, macht euch zu eigen die Kunſt dieſes Denkens, und ihr werdet die ſchoͤnſte Ausſtattung des Menſchen, den Cha¬ rakter, noch zur Zugabe bekommen. An jenem klaren Denken erhaltet ihr die Quelle der ewi¬ gen Jugendbluͤthe; wie auch euer Koͤrper al¬ tere, oder eure Knie wanken, euer Geiſt wird in ſtets erneuerter Friſchheit ſich wiedergebaͤh¬ ren, und euer Charakter feſt ſtehen, und ohne Wandel. Ergreift ſogleich die ſich hier euch dar¬ bietende Gelegenheit; denkt klar, uͤber den euch zur Berathung vorgelegten Gegenſtand;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/474
Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/474>, abgerufen am 24.11.2024.