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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

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aufgewachsen sey, wie sie gekonnt habe, zu
guter Frucht bei wenigen durch Gott begeister¬
ten, zu schlechter bei der großen Mehrzahl.
Auch ist es dermalen vollkommen hinlänglich,
diese Erziehung durch diesen ihren Erfolg zu
zeichnen, und kann man für unsern Behuf
sich des mühsamen Geschäfts überheben, die
innern Säfte und Adern eines Baumes zu zer¬
gliedern, dessen Frucht dermalen vollständig
reif ist, und abgefallen, und vor aller Welt
Augen liegt, und höchst deutlich und verständ¬
lich ausspricht die innere Natur ihres Erzeu¬
gers. Der Strenge nach wäre, dieser Ansicht
zu Folge, die bisherige Erziehung auf keine
Weise die Kunst der Bildung zum Menschen
gewesen, wie sie sich denn dessen auch eben
nicht gerühmt, sondern gar oft ihre Ohnmacht,
durch die Federung, ihr ein natürliches Talent,
oder Genie, als Bedingung ihres Erfolgs vor¬
aus zu geben, freimüthig gestanden; sondern
es wäre eine solche Kunst erst zu erfinden, und
die Erfindung derselben wäre die eigentliche
Aufgabe der neuen Erziehung. Das erman¬
gelnde Durchgreifen bis in die Wurzel der Le¬

aufgewachſen ſey, wie ſie gekonnt habe, zu
guter Frucht bei wenigen durch Gott begeiſter¬
ten, zu ſchlechter bei der großen Mehrzahl.
Auch iſt es dermalen vollkommen hinlaͤnglich,
dieſe Erziehung durch dieſen ihren Erfolg zu
zeichnen, und kann man fuͤr unſern Behuf
ſich des muͤhſamen Geſchaͤfts uͤberheben, die
innern Saͤfte und Adern eines Baumes zu zer¬
gliedern, deſſen Frucht dermalen vollſtaͤndig
reif iſt, und abgefallen, und vor aller Welt
Augen liegt, und hoͤchſt deutlich und verſtaͤnd¬
lich ausſpricht die innere Natur ihres Erzeu¬
gers. Der Strenge nach waͤre, dieſer Anſicht
zu Folge, die bisherige Erziehung auf keine
Weiſe die Kunſt der Bildung zum Menſchen
geweſen, wie ſie ſich denn deſſen auch eben
nicht geruͤhmt, ſondern gar oft ihre Ohnmacht,
durch die Federung, ihr ein natuͤrliches Talent,
oder Genie, als Bedingung ihres Erfolgs vor¬
aus zu geben, freimuͤthig geſtanden; ſondern
es waͤre eine ſolche Kunſt erſt zu erfinden, und
die Erfindung derſelben waͤre die eigentliche
Aufgabe der neuen Erziehung. Das erman¬
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[40/0046] aufgewachſen ſey, wie ſie gekonnt habe, zu guter Frucht bei wenigen durch Gott begeiſter¬ ten, zu ſchlechter bei der großen Mehrzahl. Auch iſt es dermalen vollkommen hinlaͤnglich, dieſe Erziehung durch dieſen ihren Erfolg zu zeichnen, und kann man fuͤr unſern Behuf ſich des muͤhſamen Geſchaͤfts uͤberheben, die innern Saͤfte und Adern eines Baumes zu zer¬ gliedern, deſſen Frucht dermalen vollſtaͤndig reif iſt, und abgefallen, und vor aller Welt Augen liegt, und hoͤchſt deutlich und verſtaͤnd¬ lich ausſpricht die innere Natur ihres Erzeu¬ gers. Der Strenge nach waͤre, dieſer Anſicht zu Folge, die bisherige Erziehung auf keine Weiſe die Kunſt der Bildung zum Menſchen geweſen, wie ſie ſich denn deſſen auch eben nicht geruͤhmt, ſondern gar oft ihre Ohnmacht, durch die Federung, ihr ein natuͤrliches Talent, oder Genie, als Bedingung ihres Erfolgs vor¬ aus zu geben, freimuͤthig geſtanden; ſondern es waͤre eine ſolche Kunſt erſt zu erfinden, und die Erfindung derſelben waͤre die eigentliche Aufgabe der neuen Erziehung. Das erman¬ gelnde Durchgreifen bis in die Wurzel der Le¬

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/46>, abgerufen am 25.11.2024.