fällt, jemals zu jenem Glauben sich zu be¬ kehren, auf irgend eine Ausgleichung rechnen können.
Tief verächtlich machen wir uns dem Aus¬ lande, wenn wir vor den Ohren desselben uns, einer den andern, deutsche Stämme, Stände, Personen, über unser gemeinschaftliches Schik¬ sal anklagen, und einander gegenseitige bittere, und leidenschaftliche Vorwürfe machen. Zu¬ förderst sind alle Anklagen dieser Art größten¬ theils unbillig, ungerecht, ungegründet. Welche Ursachen es sind, die Deutschlands leztes Schik¬ sal herbeigeführt haben, haben wir oben ange¬ geben; diese sind seit Jahrhunderten bei allen deutschen Stämmen ohne Ausnahme auf die gleiche Weise einheimisch gewesen; die lezten Ereignisse sind nicht die Folgen irgend eines besondern Fehltrittes eines einzelnen Stammes, oder seiner Regierung, sie haben sich lange ge¬ nug vorbereitet, und hätten, wenn es bloß auf die in uns selbst liegenden Gründe angekommen wäre, schon vor langem uns eben sowohl tref¬ fen können. Hierin ist die Schuld oder Un¬ schuld aller wohl gleich groß, und die Berech¬
faͤllt, jemals zu jenem Glauben ſich zu be¬ kehren, auf irgend eine Ausgleichung rechnen koͤnnen.
Tief veraͤchtlich machen wir uns dem Aus¬ lande, wenn wir vor den Ohren deſſelben uns, einer den andern, deutſche Staͤmme, Staͤnde, Perſonen, uͤber unſer gemeinſchaftliches Schik¬ ſal anklagen, und einander gegenſeitige bittere, und leidenſchaftliche Vorwuͤrfe machen. Zu¬ foͤrderſt ſind alle Anklagen dieſer Art groͤßten¬ theils unbillig, ungerecht, ungegruͤndet. Welche Urſachen es ſind, die Deutſchlands leztes Schik¬ ſal herbeigefuͤhrt haben, haben wir oben ange¬ geben; dieſe ſind ſeit Jahrhunderten bei allen deutſchen Staͤmmen ohne Ausnahme auf die gleiche Weiſe einheimiſch geweſen; die lezten Ereigniſſe ſind nicht die Folgen irgend eines beſondern Fehltrittes eines einzelnen Stammes, oder ſeiner Regierung, ſie haben ſich lange ge¬ nug vorbereitet, und haͤtten, wenn es bloß auf die in uns ſelbſt liegenden Gruͤnde angekommen waͤre, ſchon vor langem uns eben ſowohl tref¬ fen koͤnnen. Hierin iſt die Schuld oder Un¬ ſchuld aller wohl gleich groß, und die Berech¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0442"n="436"/>
faͤllt, jemals zu jenem Glauben ſich zu be¬<lb/>
kehren, auf irgend eine Ausgleichung rechnen<lb/>
koͤnnen.</p><lb/><p>Tief veraͤchtlich machen wir uns dem Aus¬<lb/>
lande, wenn wir vor den Ohren deſſelben uns,<lb/>
einer den andern, deutſche Staͤmme, Staͤnde,<lb/>
Perſonen, uͤber unſer gemeinſchaftliches Schik¬<lb/>ſal anklagen, und einander gegenſeitige bittere,<lb/>
und leidenſchaftliche Vorwuͤrfe machen. Zu¬<lb/>
foͤrderſt ſind alle Anklagen dieſer Art groͤßten¬<lb/>
theils unbillig, ungerecht, ungegruͤndet. Welche<lb/>
Urſachen es ſind, die Deutſchlands leztes Schik¬<lb/>ſal herbeigefuͤhrt haben, haben wir oben ange¬<lb/>
geben; dieſe ſind ſeit Jahrhunderten bei allen<lb/>
deutſchen Staͤmmen ohne Ausnahme auf die<lb/>
gleiche Weiſe einheimiſch geweſen; die lezten<lb/>
Ereigniſſe ſind nicht die Folgen irgend eines<lb/>
beſondern Fehltrittes eines einzelnen Stammes,<lb/>
oder ſeiner Regierung, ſie haben ſich lange ge¬<lb/>
nug vorbereitet, und haͤtten, wenn es bloß auf<lb/>
die in uns ſelbſt liegenden Gruͤnde angekommen<lb/>
waͤre, ſchon vor langem uns eben ſowohl tref¬<lb/>
fen koͤnnen. Hierin iſt die Schuld oder Un¬<lb/>ſchuld aller wohl gleich groß, und die Berech¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[436/0442]
faͤllt, jemals zu jenem Glauben ſich zu be¬
kehren, auf irgend eine Ausgleichung rechnen
koͤnnen.
Tief veraͤchtlich machen wir uns dem Aus¬
lande, wenn wir vor den Ohren deſſelben uns,
einer den andern, deutſche Staͤmme, Staͤnde,
Perſonen, uͤber unſer gemeinſchaftliches Schik¬
ſal anklagen, und einander gegenſeitige bittere,
und leidenſchaftliche Vorwuͤrfe machen. Zu¬
foͤrderſt ſind alle Anklagen dieſer Art groͤßten¬
theils unbillig, ungerecht, ungegruͤndet. Welche
Urſachen es ſind, die Deutſchlands leztes Schik¬
ſal herbeigefuͤhrt haben, haben wir oben ange¬
geben; dieſe ſind ſeit Jahrhunderten bei allen
deutſchen Staͤmmen ohne Ausnahme auf die
gleiche Weiſe einheimiſch geweſen; die lezten
Ereigniſſe ſind nicht die Folgen irgend eines
beſondern Fehltrittes eines einzelnen Stammes,
oder ſeiner Regierung, ſie haben ſich lange ge¬
nug vorbereitet, und haͤtten, wenn es bloß auf
die in uns ſelbſt liegenden Gruͤnde angekommen
waͤre, ſchon vor langem uns eben ſowohl tref¬
fen koͤnnen. Hierin iſt die Schuld oder Un¬
ſchuld aller wohl gleich groß, und die Berech¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/442>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.