vor zweitausend Jahren mit vieler Genauig¬ keit z. B. in den Geschichtsbüchern des Tacitus, ausgesprochen worden ist? Jene Ansicht der Römer von dem Verhältnisse der bekriegten Barbaren gegen sie, welche Ansicht bei diesen denn doch auf einen einige Entschuldigung verdie¬ nenden Schein sich gründete, daß es verbreche¬ rische Rebellion, und Auflehnung gegen gött¬ liche und menschliche Gesetze sey, ihnen Wi¬ derstand zu leisten, und daß ihre Waffen den Völkern nichts anders zu bringen vermöchten, denn Seegen, und ihre Ketten nichts anders, denn Ehre -- diese Ansicht ist es, die man in diesen Tagen von uns genommen, und mit sehr vieler Gutmüthigkeit uns selbst angemuthet, und bei uns vorausgesezt hat. Ich gebe der¬ gleichen Aeußerungen nicht für übermüthigen Hohn aus; ich kann begreifen, wie man bei großem Eigendünkel und Beschränktheit im Ernste also glauben, und dem Gegentheile ehr¬ lich denselben Glauben zutrauen könne, wie ich denn z. B. dafür halte, daß die Römer wirklich so glaubten; aber ich gebe nur zu bedenken, ob diejenigen unter uns, denen es unmöglich
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vor zweitauſend Jahren mit vieler Genauig¬ keit z. B. in den Geſchichtsbuͤchern des Tacitus, ausgeſprochen worden iſt? Jene Anſicht der Roͤmer von dem Verhaͤltniſſe der bekriegten Barbaren gegen ſie, welche Anſicht bei dieſen denn doch auf einen einige Entſchuldigung verdie¬ nenden Schein ſich gruͤndete, daß es verbreche¬ riſche Rebellion, und Auflehnung gegen goͤtt¬ liche und menſchliche Geſetze ſey, ihnen Wi¬ derſtand zu leiſten, und daß ihre Waffen den Voͤlkern nichts anders zu bringen vermoͤchten, denn Seegen, und ihre Ketten nichts anders, denn Ehre — dieſe Anſicht iſt es, die man in dieſen Tagen von uns genommen, und mit ſehr vieler Gutmuͤthigkeit uns ſelbſt angemuthet, und bei uns vorausgeſezt hat. Ich gebe der¬ gleichen Aeußerungen nicht fuͤr uͤbermuͤthigen Hohn aus; ich kann begreifen, wie man bei großem Eigenduͤnkel und Beſchraͤnktheit im Ernſte alſo glauben, und dem Gegentheile ehr¬ lich denſelben Glauben zutrauen koͤnne, wie ich denn z. B. dafuͤr halte, daß die Roͤmer wirklich ſo glaubten; aber ich gebe nur zu bedenken, ob diejenigen unter uns, denen es unmoͤglich
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vor zweitauſend Jahren mit vieler Genauig¬
keit z. B. in den Geſchichtsbuͤchern des Tacitus,
ausgeſprochen worden iſt? Jene Anſicht der
Roͤmer von dem Verhaͤltniſſe der bekriegten
Barbaren gegen ſie, welche Anſicht bei dieſen
denn doch auf einen einige Entſchuldigung verdie¬
nenden Schein ſich gruͤndete, daß es verbreche¬
riſche Rebellion, und Auflehnung gegen goͤtt¬
liche und menſchliche Geſetze ſey, ihnen Wi¬
derſtand zu leiſten, und daß ihre Waffen den
Voͤlkern nichts anders zu bringen vermoͤchten,
denn Seegen, und ihre Ketten nichts anders,
denn Ehre — dieſe Anſicht iſt es, die man
in dieſen Tagen von uns genommen, und mit
ſehr vieler Gutmuͤthigkeit uns ſelbſt angemuthet,
und bei uns vorausgeſezt hat. Ich gebe der¬
gleichen Aeußerungen nicht fuͤr uͤbermuͤthigen
Hohn aus; ich kann begreifen, wie man bei
großem Eigenduͤnkel und Beſchraͤnktheit im
Ernſte alſo glauben, und dem Gegentheile ehr¬
lich denſelben Glauben zutrauen koͤnne, wie ich
denn z. B. dafuͤr halte, daß die Roͤmer wirklich
ſo glaubten; aber ich gebe nur zu bedenken,
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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/441>, abgerufen am 25.11.2024.
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