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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

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wird in aller Unendlichkeit nicht Mehr, denn
dieses Mehr, noch wird es minder; und nur
seine Ersichtlichkeit, als Mehr denn das Un¬
endliche, -- und auf andere Weise kann es in sei¬
ner höchsten Reinheit nicht sichtbar werden, -- er¬
schafft das Unendliche, und alles, was in ihm
zu erscheinen scheint. Wo nun dieses Mehr
wirklich, als ein solches ersichtliches Mehr ein¬
tritt, aber es vermag nur in einem Wollen ein¬
zutreten, da tritt das Wesen selbst, das allein
ist, und allein zu seyn vermag, und das da ist
von sich und durch sich, das göttliche Wesen, ein
in die Erscheinung, und macht sich selbst un¬
mittelbar sichtbar ; und daselbst ist eben darum
wahre Ursprünglichkeit und Freiheit, und so
wird denn auch an sie geglaubt.

Und so findet denn auf die allgemeine Frage,
ob der Mensch frei sey oder nicht, keine allge¬
meine Antwort statt; denn eben weil der
Mensch frei ist, in niederm Sinne, weil er bei
unentschiedenem Schwanken, und Wanken an¬
hebt, kann er frei seyn, oder auch nicht frei,
im höhern Sinne des Worts. In der Wirk¬
lichkeit ist die Weise, wie jemand diese Frage
beantwortet, der klare Spiegel seines wahren
inwendigen Seyns. Wer in der That nicht
mehr ist, als ein Glied in der Kette der Erschei¬

wird in aller Unendlichkeit nicht Mehr, denn
dieſes Mehr, noch wird es minder; und nur
ſeine Erſichtlichkeit, als Mehr denn das Un¬
endliche, — und auf andere Weiſe kann es in ſei¬
ner hoͤchſten Reinheit nicht ſichtbar werden, — er¬
ſchafft das Unendliche, und alles, was in ihm
zu erſcheinen ſcheint. Wo nun dieſes Mehr
wirklich, als ein ſolches erſichtliches Mehr ein¬
tritt, aber es vermag nur in einem Wollen ein¬
zutreten, da tritt das Weſen ſelbſt, das allein
iſt, und allein zu ſeyn vermag, und das da iſt
von ſich und durch ſich, das goͤttliche Weſen, ein
in die Erſcheinung, und macht ſich ſelbſt un¬
mittelbar ſichtbar ; und daſelbſt iſt eben darum
wahre Urſpruͤnglichkeit und Freiheit, und ſo
wird denn auch an ſie geglaubt.

Und ſo findet denn auf die allgemeine Frage,
ob der Menſch frei ſey oder nicht, keine allge¬
meine Antwort ſtatt; denn eben weil der
Menſch frei iſt, in niederm Sinne, weil er bei
unentſchiedenem Schwanken, und Wanken an¬
hebt, kann er frei ſeyn, oder auch nicht frei,
im hoͤhern Sinne des Worts. In der Wirk¬
lichkeit iſt die Weiſe, wie jemand dieſe Frage
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[233/0239] wird in aller Unendlichkeit nicht Mehr, denn dieſes Mehr, noch wird es minder; und nur ſeine Erſichtlichkeit, als Mehr denn das Un¬ endliche, — und auf andere Weiſe kann es in ſei¬ ner hoͤchſten Reinheit nicht ſichtbar werden, — er¬ ſchafft das Unendliche, und alles, was in ihm zu erſcheinen ſcheint. Wo nun dieſes Mehr wirklich, als ein ſolches erſichtliches Mehr ein¬ tritt, aber es vermag nur in einem Wollen ein¬ zutreten, da tritt das Weſen ſelbſt, das allein iſt, und allein zu ſeyn vermag, und das da iſt von ſich und durch ſich, das goͤttliche Weſen, ein in die Erſcheinung, und macht ſich ſelbſt un¬ mittelbar ſichtbar ; und daſelbſt iſt eben darum wahre Urſpruͤnglichkeit und Freiheit, und ſo wird denn auch an ſie geglaubt. Und ſo findet denn auf die allgemeine Frage, ob der Menſch frei ſey oder nicht, keine allge¬ meine Antwort ſtatt; denn eben weil der Menſch frei iſt, in niederm Sinne, weil er bei unentſchiedenem Schwanken, und Wanken an¬ hebt, kann er frei ſeyn, oder auch nicht frei, im hoͤhern Sinne des Worts. In der Wirk¬ lichkeit iſt die Weiſe, wie jemand dieſe Frage beantwortet, der klare Spiegel ſeines wahren inwendigen Seyns. Wer in der That nicht mehr iſt, als ein Glied in der Kette der Erſchei¬

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/239>, abgerufen am 22.11.2024.