dre was er denkt, ansieht, beurtheilt, zufolge jenes Grundgedankens ansieht, und beurtheilt, und falls derselbe aufs handeln einfließt, nach ihm eben so nothwendig handelt. Keineswe¬ ges aber ist der Gedanke Leben und Gesinnung, wenn er nur als Gedanke eines fremden Le¬ bens gedacht wird; so klar und vollständig er auch als ein solcher bloß möglicher Gedanke be¬ griffen seyn mag; und so hell man sich auch denken möge, wie etwa jemand also denken könne. In diesem leztern Falle liegt zwischen unserm gedachten Denken, und zwischen unserm wirklichen Denken ein großes Feld von Zufall, und Freiheit, welche lezte wir nicht vollziehen mögen; und so bleibt jenes gedachte Denken von uns abstehend, und ein bloß mögliches, und ein von uns frei gemachtes, und immer¬ fort frei zu wiederholendes Denken: In jenem ersten Falle hat der Gedanke unmittelbar durch sich selbst unser Selbst ergriffen, und es zu sich selbst gemacht, und durch diese also entstandene Wirklichkeit des Gedankens für uns geht unsre Einsicht hindurch zu dessen Nothwendigkeit. Daß nun das leztere also erfolge, kann, wie eben gesagt, keine Freiheit erzwingen, sondern
dre was er denkt, anſieht, beurtheilt, zufolge jenes Grundgedankens anſieht, und beurtheilt, und falls derſelbe aufs handeln einfließt, nach ihm eben ſo nothwendig handelt. Keineswe¬ ges aber iſt der Gedanke Leben und Geſinnung, wenn er nur als Gedanke eines fremden Le¬ bens gedacht wird; ſo klar und vollſtaͤndig er auch als ein ſolcher bloß moͤglicher Gedanke be¬ griffen ſeyn mag; und ſo hell man ſich auch denken moͤge, wie etwa jemand alſo denken koͤnne. In dieſem leztern Falle liegt zwiſchen unſerm gedachten Denken, und zwiſchen unſerm wirklichen Denken ein großes Feld von Zufall, und Freiheit, welche lezte wir nicht vollziehen moͤgen; und ſo bleibt jenes gedachte Denken von uns abſtehend, und ein bloß moͤgliches, und ein von uns frei gemachtes, und immer¬ fort frei zu wiederholendes Denken: In jenem erſten Falle hat der Gedanke unmittelbar durch ſich ſelbſt unſer Selbſt ergriffen, und es zu ſich ſelbſt gemacht, und durch dieſe alſo entſtandene Wirklichkeit des Gedankens fuͤr uns geht unſre Einſicht hindurch zu deſſen Nothwendigkeit. Daß nun das leztere alſo erfolge, kann, wie eben geſagt, keine Freiheit erzwingen, ſondern
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dre was er denkt, anſieht, beurtheilt, zufolge
jenes Grundgedankens anſieht, und beurtheilt,
und falls derſelbe aufs handeln einfließt, nach
ihm eben ſo nothwendig handelt. Keineswe¬
ges aber iſt der Gedanke Leben und Geſinnung,
wenn er nur als Gedanke eines fremden Le¬
bens gedacht wird; ſo klar und vollſtaͤndig er
auch als ein ſolcher bloß moͤglicher Gedanke be¬
griffen ſeyn mag; und ſo hell man ſich auch
denken moͤge, wie etwa jemand alſo denken
koͤnne. In dieſem leztern Falle liegt zwiſchen
unſerm gedachten Denken, und zwiſchen unſerm
wirklichen Denken ein großes Feld von Zufall,
und Freiheit, welche lezte wir nicht vollziehen
moͤgen; und ſo bleibt jenes gedachte Denken
von uns abſtehend, und ein bloß moͤgliches,
und ein von uns frei gemachtes, und immer¬
fort frei zu wiederholendes Denken: In jenem
erſten Falle hat der Gedanke unmittelbar durch
ſich ſelbſt unſer Selbſt ergriffen, und es zu ſich
ſelbſt gemacht, und durch dieſe alſo entſtandene
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Daß nun das leztere alſo erfolge, kann, wie
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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/158>, abgerufen am 25.11.2024.
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