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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

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Kreis der Anschauungen dieser fremden Sprache
hineingekommen; sondern also, daß es seinen
eignen Anschauungskreis der Sprache aufdrin¬
ge, und diese, von dem Standpunkte aus, wo
sie dieselbe fanden, von nun an in diesem An¬
schauungskreise sich fortbewegen müsse. In
Absicht des sinnlichen Theils der Sprache zwar
ist diese Begebenheit ohne Folgen. In jedem
Volke müssen ja ohnedies die Kinder diesen
Theil der Sprache, gleich als ob die Zeichen
willkührlich wären, lernen, und so die ganze
frühere Sprachentwiklung der Nation hierin
nachholen; jedes Zeichen aber in diesem sinn¬
lichen Umkreise kann durch die unmittelbare
Ansicht, oder Berührung des Bezeichneten voll¬
kommen klar gemacht werden. Höchstens würde
daraus folgen, daß das erste Geschlecht eines
solchen seine Sprache ändernden Volks als
Männer wieder in die Kinderjahre zurückzuge¬
hen genöthigt gewesen; mit den nachgebornen
aber und an den künftigen Geschlechtern war
alles wieder in der alten Ordnung. Dagegen
ist diese Veränderung von den bedeutendsten
Folgen in Rücksicht des übersinnlichen Theils
der Sprache. Dieser hat zwar für die ersten
Eigenthümer der Sprache sich gemacht auf die

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Kreis der Anſchauungen dieſer fremden Sprache
hineingekommen; ſondern alſo, daß es ſeinen
eignen Anſchauungskreis der Sprache aufdrin¬
ge, und dieſe, von dem Standpunkte aus, wo
ſie dieſelbe fanden, von nun an in dieſem An¬
ſchauungskreiſe ſich fortbewegen muͤſſe. In
Abſicht des ſinnlichen Theils der Sprache zwar
iſt dieſe Begebenheit ohne Folgen. In jedem
Volke muͤſſen ja ohnedies die Kinder dieſen
Theil der Sprache, gleich als ob die Zeichen
willkuͤhrlich waͤren, lernen, und ſo die ganze
fruͤhere Sprachentwiklung der Nation hierin
nachholen; jedes Zeichen aber in dieſem ſinn¬
lichen Umkreiſe kann durch die unmittelbare
Anſicht, oder Beruͤhrung des Bezeichneten voll¬
kommen klar gemacht werden. Hoͤchſtens wuͤrde
daraus folgen, daß das erſte Geſchlecht eines
ſolchen ſeine Sprache aͤndernden Volks als
Maͤnner wieder in die Kinderjahre zuruͤckzuge¬
hen genoͤthigt geweſen; mit den nachgebornen
aber und an den kuͤnftigen Geſchlechtern war
alles wieder in der alten Ordnung. Dagegen
iſt dieſe Veraͤnderung von den bedeutendſten
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I 2
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[131/0137] Kreis der Anſchauungen dieſer fremden Sprache hineingekommen; ſondern alſo, daß es ſeinen eignen Anſchauungskreis der Sprache aufdrin¬ ge, und dieſe, von dem Standpunkte aus, wo ſie dieſelbe fanden, von nun an in dieſem An¬ ſchauungskreiſe ſich fortbewegen muͤſſe. In Abſicht des ſinnlichen Theils der Sprache zwar iſt dieſe Begebenheit ohne Folgen. In jedem Volke muͤſſen ja ohnedies die Kinder dieſen Theil der Sprache, gleich als ob die Zeichen willkuͤhrlich waͤren, lernen, und ſo die ganze fruͤhere Sprachentwiklung der Nation hierin nachholen; jedes Zeichen aber in dieſem ſinn¬ lichen Umkreiſe kann durch die unmittelbare Anſicht, oder Beruͤhrung des Bezeichneten voll¬ kommen klar gemacht werden. Hoͤchſtens wuͤrde daraus folgen, daß das erſte Geſchlecht eines ſolchen ſeine Sprache aͤndernden Volks als Maͤnner wieder in die Kinderjahre zuruͤckzuge¬ hen genoͤthigt geweſen; mit den nachgebornen aber und an den kuͤnftigen Geſchlechtern war alles wieder in der alten Ordnung. Dagegen iſt dieſe Veraͤnderung von den bedeutendſten Folgen in Ruͤckſicht des uͤberſinnlichen Theils der Sprache. Dieſer hat zwar fuͤr die erſten Eigenthuͤmer der Sprache ſich gemacht auf die I 2

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/137>, abgerufen am 02.05.2024.