Eine Verletzung des andern aus Noth- wehr ist nur darum rechtlich, weil und wie ferne sie die Ausübung des eignen Rechts der erlaubten Selbstvertheidigung im Staate ist. Es ergiebt sich daraus, dass I. die Vertheidi- gung, in welcher der Andere verletzt wurde, alle Erfodernisse der rechtmässigen Vertheidi- gung überhaupt haben muss, II. dass sich der Angegriffene unverschuldet in einem Zustande befinden muste, wo die Erhaltung seines Rechts durch die Staatsgewalt unmöglich war. Eine Vertheidigung, die nicht alle diese Erfoder- nisse hat, ist eine schuldhafte Nothwehr (m. de- culpatae tutelae).
§. 49.
Es wird daher erfodert 1) dass der abge- wehrte Angriff ungerecht*) 2) gegenwärtig (laesio inchoata), 3) unerwartet**) und 4) auf die Verletzung eines Guts gerichtet war, das entweder an sich unersetzlich ist, oder doch unter den individuellen Umständen des ge- genwärtigen Angriffs (nach Gründen der Wahr- scheinlichkeit) unwiderbringlich verloren gewe- sen wäre. Denn im entgegengesetzten Falle kann durch nachfolgende Hülfe des Staats der Zustand der Integrität wieder hergestellt wer- den. Blosse Ehrenverletzung begründet daher nie***); Angriff auf Güter nur dann das
Recht
*) P. G. O. Art. 142. u. 143.
**) "Ueberlauf." -- WalchGlossarium sub voc. "Ueberlauf."
***) Blosse Ehrenverletzung (nemlich wenn sie nicht mit der Verletzung eines andern persönlichen
Rechts
V. d. nothw. Bedingg. e. Verbrechens, etc.
§. 8.
Eine Verletzung des andern aus Noth- wehr iſt nur darum rechtlich, weil und wie ferne ſie die Ausübung des eignen Rechts der erlaubten Selbſtvertheidigung im Staate iſt. Es ergiebt ſich daraus, daſs I. die Vertheidi- gung, in welcher der Andere verletzt wurde, alle Erfoderniſse der rechtmäſsigen Vertheidi- gung überhaupt haben muſs, II. daſs ſich der Angegriffene unverſchuldet in einem Zuſtande befinden muſte, wo die Erhaltung ſeines Rechts durch die Staatsgewalt unmöglich war. Eine Vertheidigung, die nicht alle dieſe Erfoder- niſſe hat, iſt eine ſchuldhafte Nothwehr (m. de- culpatae tutelae).
§. 49.
Es wird daher erfodert 1) daſs der abge- wehrte Angriff ungerecht*) 2) gegenwärtig (laeſio inchoata), 3) unerwartet**) und 4) auf die Verletzung eines Guts gerichtet war, das entweder an ſich unerſetzlich iſt, oder doch unter den individuellen Umſtänden des ge- genwärtigen Angriffs (nach Gründen der Wahr- ſcheinlichkeit) unwiderbringlich verloren gewe- ſen wäre. Denn im entgegengeſetzten Falle kann durch nachfolgende Hülfe des Staats der Zuſtand der Integrität wieder hergeſtellt wer- den. Bloſse Ehrenverletzung begründet daher nie***); Angriff auf Güter nur dann das
***) Bloſse Ehrenverletzung (nemlich wenn ſie nicht mit der Verletzung eines andern perſönlichen
Rechts
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V. d. nothw. Bedingg. e. Verbrechens, etc.
§. 8.
Eine Verletzung des andern aus Noth-
wehr iſt nur darum rechtlich, weil und wie
ferne ſie die Ausübung des eignen Rechts der
erlaubten Selbſtvertheidigung im Staate iſt.
Es ergiebt ſich daraus, daſs I. die Vertheidi-
gung, in welcher der Andere verletzt wurde,
alle Erfoderniſse der rechtmäſsigen Vertheidi-
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Angegriffene unverſchuldet in einem Zuſtande
befinden muſte, wo die Erhaltung ſeines Rechts
durch die Staatsgewalt unmöglich war. Eine
Vertheidigung, die nicht alle dieſe Erfoder-
niſſe hat, iſt eine ſchuldhafte Nothwehr (m. de-
culpatae tutelae).
§. 49.
Es wird daher erfodert 1) daſs der abge-
wehrte Angriff ungerecht *) 2) gegenwärtig
(laeſio inchoata), 3) unerwartet **) und 4) auf
die Verletzung eines Guts gerichtet war, das
entweder an ſich unerſetzlich iſt, oder doch
unter den individuellen Umſtänden des ge-
genwärtigen Angriffs (nach Gründen der Wahr-
ſcheinlichkeit) unwiderbringlich verloren gewe-
ſen wäre. Denn im entgegengeſetzten Falle
kann durch nachfolgende Hülfe des Staats der
Zuſtand der Integrität wieder hergeſtellt wer-
den. Bloſse Ehrenverletzung begründet daher
nie ***); Angriff auf Güter nur dann das
Recht
*) P. G. O. Art. 142. u. 143.
**) „Ueberlauf.“ — Walch Gloſſarium ſub voc.
„Ueberlauf.“
***) Bloſse Ehrenverletzung (nemlich wenn ſie nicht
mit der Verletzung eines andern perſönlichen
Rechts
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Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/65>, abgerufen am 23.11.2024.
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