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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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dunkle, weltscheue Herz -- das Herz das Naturrecht des
Menschen, das Gemüth das willkührliche positive Recht.
Allerdings hat auch, wie sich von selbst versteht, das Gemüth
Grund in der Natur. Aengstliche Vorstellungen z. B. in
Betreff der Zukunft, bange Ahndungen, unbestimmte und deß-
wegen namenlose Gefühle sind Eigenschaften des Gemüths.
Allerdings hat auch das Gemüth an und für sich, abgesehen
von allen positiven Religionen, eine reale Bedeutung. In
dieser ist es das in sich glückliche, das contemplative, specula-
tive Herz. Aber es ist auch, als wesentlich auf sich concen-
trirt, das sich selbst quälende, das nur mit sich beschäftigte, das
von sich fortwollende und doch nicht von sich fortkommende
Herz. Dieser bisher gemachte Unterschied zwischen Ge-
müth und Herz ist keineswegs nur ein willkührlicher. "Ge-
müth stammt von muthen, verlangen, wünschen ab... Es
bezeichnet also das innere Principium des Menschen von der
Seite seines gesammten Begehrungsvermögen, der vernünfti-
gen und sinnlichen und dadurch unterscheidet es sich sowohl
von Geist als von Seele.

Nieder am Staube zerstreun sich unsre gaukelnden Wünsche,
Eins wird unser Gemüth droben ihr Sterne bei euch.

(Schiller.)

Das Herz bezeichnet die geselligen Neigungen, womit wir
an dem Wohl und Wehe Anderer Theil nehmen" und zwar
nur "die geselligen Neigungen, die sich durch Liebe äußern.

Hab ich treu im Busen Dich getragen,
Dich geliebt, wie je ein Herz geliebt. Horen."

J. A. Eberhard Synonymik. Art. Geist. Der Unterschied
von Christenthum und Heidenthum oder Philosophie reducirt
sich nur auf den Unterschied von Gemüth und Vernunft oder
richtiger Gemüth und Herz. Denn auch die heidnischen Phi-
losophen hatten Herz, Gemüth, aber ihr Gemüth war selbst
ein kosmisches, realistisches, durch die Natur bestimm-
tes
; denn sie hatten ihr Herz in wirklichen Gegenständen, in
der Freundschaft, in der Gattenliebe, in der Familie, während die

dunkle, weltſcheue Herz — das Herz das Naturrecht des
Menſchen, das Gemüth das willkührliche poſitive Recht.
Allerdings hat auch, wie ſich von ſelbſt verſteht, das Gemüth
Grund in der Natur. Aengſtliche Vorſtellungen z. B. in
Betreff der Zukunft, bange Ahndungen, unbeſtimmte und deß-
wegen namenloſe Gefühle ſind Eigenſchaften des Gemüths.
Allerdings hat auch das Gemüth an und für ſich, abgeſehen
von allen poſitiven Religionen, eine reale Bedeutung. In
dieſer iſt es das in ſich glückliche, das contemplative, ſpecula-
tive Herz. Aber es iſt auch, als weſentlich auf ſich concen-
trirt, das ſich ſelbſt quälende, das nur mit ſich beſchäftigte, das
von ſich fortwollende und doch nicht von ſich fortkommende
Herz. Dieſer bisher gemachte Unterſchied zwiſchen Ge-
müth und Herz iſt keineswegs nur ein willkührlicher. „Ge-
müth ſtammt von muthen, verlangen, wünſchen ab… Es
bezeichnet alſo das innere Principium des Menſchen von der
Seite ſeines geſammten Begehrungsvermögen, der vernünfti-
gen und ſinnlichen und dadurch unterſcheidet es ſich ſowohl
von Geiſt als von Seele.

Nieder am Staube zerſtreun ſich unſre gaukelnden Wünſche,
Eins wird unſer Gemüth droben ihr Sterne bei euch.

(Schiller.)

Das Herz bezeichnet die geſelligen Neigungen, womit wir
an dem Wohl und Wehe Anderer Theil nehmen“ und zwar
nur „die geſelligen Neigungen, die ſich durch Liebe äußern.

Hab ich treu im Buſen Dich getragen,
Dich geliebt, wie je ein Herz geliebt. Horen.“

J. A. Eberhard Synonymik. Art. Geiſt. Der Unterſchied
von Chriſtenthum und Heidenthum oder Philoſophie reducirt
ſich nur auf den Unterſchied von Gemüth und Vernunft oder
richtiger Gemüth und Herz. Denn auch die heidniſchen Phi-
loſophen hatten Herz, Gemüth, aber ihr Gemüth war ſelbſt
ein kosmiſches, realiſtiſches, durch die Natur beſtimm-
tes
; denn ſie hatten ihr Herz in wirklichen Gegenſtänden, in
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[388/0406] dunkle, weltſcheue Herz — das Herz das Naturrecht des Menſchen, das Gemüth das willkührliche poſitive Recht. Allerdings hat auch, wie ſich von ſelbſt verſteht, das Gemüth Grund in der Natur. Aengſtliche Vorſtellungen z. B. in Betreff der Zukunft, bange Ahndungen, unbeſtimmte und deß- wegen namenloſe Gefühle ſind Eigenſchaften des Gemüths. Allerdings hat auch das Gemüth an und für ſich, abgeſehen von allen poſitiven Religionen, eine reale Bedeutung. In dieſer iſt es das in ſich glückliche, das contemplative, ſpecula- tive Herz. Aber es iſt auch, als weſentlich auf ſich concen- trirt, das ſich ſelbſt quälende, das nur mit ſich beſchäftigte, das von ſich fortwollende und doch nicht von ſich fortkommende Herz. Dieſer bisher gemachte Unterſchied zwiſchen Ge- müth und Herz iſt keineswegs nur ein willkührlicher. „Ge- müth ſtammt von muthen, verlangen, wünſchen ab… Es bezeichnet alſo das innere Principium des Menſchen von der Seite ſeines geſammten Begehrungsvermögen, der vernünfti- gen und ſinnlichen und dadurch unterſcheidet es ſich ſowohl von Geiſt als von Seele. Nieder am Staube zerſtreun ſich unſre gaukelnden Wünſche, Eins wird unſer Gemüth droben ihr Sterne bei euch. (Schiller.) Das Herz bezeichnet die geſelligen Neigungen, womit wir an dem Wohl und Wehe Anderer Theil nehmen“ und zwar nur „die geſelligen Neigungen, die ſich durch Liebe äußern. Hab ich treu im Buſen Dich getragen, Dich geliebt, wie je ein Herz geliebt. Horen.“ J. A. Eberhard Synonymik. Art. Geiſt. Der Unterſchied von Chriſtenthum und Heidenthum oder Philoſophie reducirt ſich nur auf den Unterſchied von Gemüth und Vernunft oder richtiger Gemüth und Herz. Denn auch die heidniſchen Phi- loſophen hatten Herz, Gemüth, aber ihr Gemüth war ſelbſt ein kosmiſches, realiſtiſches, durch die Natur beſtimm- tes; denn ſie hatten ihr Herz in wirklichen Gegenſtänden, in der Freundſchaft, in der Gattenliebe, in der Familie, während die

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/406>, abgerufen am 10.05.2024.