Die Vernunft ist also das von den Schranken der End- lichkeit, des Raums und der Zeit gereinigte Wesen der Na- tur und des Menschen in ihrer Identität -- das allgemeine Wesen, der allgemeine Gott; das Herz aber, in seiner Dif- ferenz von der Vernunft gedacht, der Privatgott des Men- schen. Alle Bestimmungen Gottes als Gottes, als allgemeinen, rationalistischen Wesens, sind Vernunftbestimmungen -- alle Be- stimmungen Gottes als religiösen Gottes sind Bestimmungen des menschlichen Herzens. Gott ist das emancipirte, das von den Schranken, d. i. Gesetzen der Natur erlöste Herz des Menschen. Das schrankenlose Herz ist das Gemüth; Gott das unbeschränkte Selbstgefühl des menschlichen Ge- müthes. Damit kommen wir auf die Differenz von Herz und Gemüth. Das Gemüth im Einklang mit der Natur ist das Herz, das Herz im Widerspruch mit der Natur ist das Gemüth. Oder: das Herz ist das objective, realistische Gemüth, dieses das subjective, idealistische oder richtiger spiritualistische Herz. Die Thräne, welche die Braut Christi über ihren himmlischen Bräutigam vergießt, kommt aus dem Gemüthe, aber die Thräne der realistischen Braut über den irdischen natürlichen Bräutigam quillt aus dem Herzen. Das Gemüth ist transcendenten, übernatürlichen Wesens -- das kranke, das leidende, mit der Natur zerfallene, mit der Welt entzweite Herz -- die Sehnsucht nach Gott und Unsterblichkeit, oder auch wirklich schon, wenn es mit Wil- lenskraft die Negation der Welt vollbracht hat, keinen Wider- spruch mehr empfindet, der überschwengliche Genuß himmli- scher Seligkeit und Unsterblichkeit -- die Entzückung bis in den Himmel. Das Herz anerkennt auch, was dem Her- zen widerspricht, anerkennt die Macht des Schicksals, an- erkennt auch den Tod der Geliebten, aber das Gemüth dul- det nichts, was ihm widerspricht; es ist das intolerante, ungebührliche, überschwengliche, sich allein, sich als das ab- solute Wesen, als das Wesen der Wesen setzende Herz. Darum hat das Herz nur wahre, das Gemüth nur scheinbare Leiden.
Die Vernunft iſt alſo das von den Schranken der End- lichkeit, des Raums und der Zeit gereinigte Weſen der Na- tur und des Menſchen in ihrer Identität — das allgemeine Weſen, der allgemeine Gott; das Herz aber, in ſeiner Dif- ferenz von der Vernunft gedacht, der Privatgott des Men- ſchen. Alle Beſtimmungen Gottes als Gottes, als allgemeinen, rationaliſtiſchen Weſens, ſind Vernunftbeſtimmungen — alle Be- ſtimmungen Gottes als religiöſen Gottes ſind Beſtimmungen des menſchlichen Herzens. Gott iſt das emancipirte, das von den Schranken, d. i. Geſetzen der Natur erlöſte Herz des Menſchen. Das ſchrankenloſe Herz iſt das Gemüth; Gott das unbeſchränkte Selbſtgefühl des menſchlichen Ge- müthes. Damit kommen wir auf die Differenz von Herz und Gemüth. Das Gemüth im Einklang mit der Natur iſt das Herz, das Herz im Widerſpruch mit der Natur iſt das Gemüth. Oder: das Herz iſt das objective, realiſtiſche Gemüth, dieſes das ſubjective, idealiſtiſche oder richtiger ſpiritualiſtiſche Herz. Die Thräne, welche die Braut Chriſti über ihren himmliſchen Bräutigam vergießt, kommt aus dem Gemüthe, aber die Thräne der realiſtiſchen Braut über den irdiſchen natürlichen Bräutigam quillt aus dem Herzen. Das Gemüth iſt transcendenten, übernatürlichen Weſens — das kranke, das leidende, mit der Natur zerfallene, mit der Welt entzweite Herz — die Sehnſucht nach Gott und Unſterblichkeit, oder auch wirklich ſchon, wenn es mit Wil- lenskraft die Negation der Welt vollbracht hat, keinen Wider- ſpruch mehr empfindet, der überſchwengliche Genuß himmli- ſcher Seligkeit und Unſterblichkeit — die Entzückung bis in den Himmel. Das Herz anerkennt auch, was dem Her- zen widerſpricht, anerkennt die Macht des Schickſals, an- erkennt auch den Tod der Geliebten, aber das Gemüth dul- det nichts, was ihm widerſpricht; es iſt das intolerante, ungebührliche, überſchwengliche, ſich allein, ſich als das ab- ſolute Weſen, als das Weſen der Weſen ſetzende Herz. Darum hat das Herz nur wahre, das Gemüth nur ſcheinbare Leiden.
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Weſen, der allgemeine Gott; das Herz aber, in ſeiner Dif-
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ſchen. Alle Beſtimmungen Gottes als Gottes, als allgemeinen,
rationaliſtiſchen Weſens, ſind Vernunftbeſtimmungen — alle Be-
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menſchlichen Herzens. Gott iſt das emancipirte, das von
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Menſchen. Das ſchrankenloſe Herz iſt das Gemüth; Gott
das unbeſchränkte Selbſtgefühl des menſchlichen Ge-
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und Gemüth. Das Gemüth im Einklang mit der
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Natur iſt das Gemüth. Oder: das Herz iſt das objective,
realiſtiſche Gemüth, dieſes das ſubjective, idealiſtiſche oder
richtiger ſpiritualiſtiſche Herz. Die Thräne, welche die Braut
Chriſti über ihren himmliſchen Bräutigam vergießt, kommt aus
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Das Gemüth iſt transcendenten, übernatürlichen Weſens —
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Unſterblichkeit, oder auch wirklich ſchon, wenn es mit Wil-
lenskraft die Negation der Welt vollbracht hat, keinen Wider-
ſpruch mehr empfindet, der überſchwengliche Genuß himmli-
ſcher Seligkeit und Unſterblichkeit — die Entzückung bis in
den Himmel. Das Herz anerkennt auch, was dem Her-
zen widerſpricht, anerkennt die Macht des Schickſals, an-
erkennt auch den Tod der Geliebten, aber das Gemüth dul-
det nichts, was ihm widerſpricht; es iſt das intolerante,
ungebührliche, überſchwengliche, ſich allein, ſich als das ab-
ſolute Weſen, als das Weſen der Weſen ſetzende Herz. Darum
hat das Herz nur wahre, das Gemüth nur ſcheinbare Leiden.
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/404>, abgerufen am 23.12.2024.
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