Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Der gegen die Liebe indifferente oder lieblose Glaube wi-
derspricht der Vernunft, dem moralischen Gefühl, dem natürli-
chen Rechtssinn des Menschen, als welchem sich die Liebe un-
mittelbar als Gesetz und Wahrheit aufdringt. Der Glaube
wird daher im Widerspruch mit seinem Wesen an sich durch die
Moral beschränkt. Ein Glaube, der nichts Gutes wirkt, sich
nicht durch die Liebe bethätigt, ist kein wahrer, kein lebendiger.
Aber diese Beschränkung stammt nicht aus dem Glau-
ben selbst
. Es ist die vom Glauben unabhängige Macht
der Liebe, die ihm Gesetze gibt; denn es wird hier die mora-
lische Beschaffenheit
zum Kriterium der Aechtheit des
Glaubens, die Wahrheit des Glaubens von der Wahr-
heit der Ethik abhängig
gemacht -- ein Verhältniß, das
aber dem Glauben widerspricht.

Wohl mag der Glaube den Menschen selig machen; aber
so viel ist gewiß: er flößt ihm keine wirklich sittlichen Gesin-
nungen ein. Bessert er den Menschen, hat er moralische Ge-
sinnung zur Folge, so kommt das nur aus der innern, vom
religiösen Glauben unabhängigen Ueberzeugung von der un-
umstößlichen Realität der Moral. Nur die Moral ist es, die
dem Gläubigen ins Gewissen ruft: Dein Glaube ist nichts,
wenn er Dich nicht gut macht, keineswegs aber der Glaube.
Wohl kann, nicht ist es zu läugnen, die Gewißheit ewiger
Seligkeit, der Vergebung der Sünden, der Begnadigung und
Erlösung von allen Strafen, den Menschen geneigt machen,
Gutes zu thun. Der Mensch, der dieses Glaubens ist, hat
Alles; er ist selig; er wird gleichgültig gegen die Güter dieser
Welt; kein Neid, keine Habsucht, kein Ehrgeiz, kein sinnliches
Verlangen kann ihn fesseln; alles Irdische schwindet im Hin-
blick auf die himmlische Gnade und die ewige überirdische Se-

Der gegen die Liebe indifferente oder liebloſe Glaube wi-
derſpricht der Vernunft, dem moraliſchen Gefühl, dem natürli-
chen Rechtsſinn des Menſchen, als welchem ſich die Liebe un-
mittelbar als Geſetz und Wahrheit aufdringt. Der Glaube
wird daher im Widerſpruch mit ſeinem Weſen an ſich durch die
Moral beſchränkt. Ein Glaube, der nichts Gutes wirkt, ſich
nicht durch die Liebe bethätigt, iſt kein wahrer, kein lebendiger.
Aber dieſe Beſchränkung ſtammt nicht aus dem Glau-
ben ſelbſt
. Es iſt die vom Glauben unabhängige Macht
der Liebe, die ihm Geſetze gibt; denn es wird hier die mora-
liſche Beſchaffenheit
zum Kriterium der Aechtheit des
Glaubens, die Wahrheit des Glaubens von der Wahr-
heit der Ethik abhängig
gemacht — ein Verhältniß, das
aber dem Glauben widerſpricht.

Wohl mag der Glaube den Menſchen ſelig machen; aber
ſo viel iſt gewiß: er flößt ihm keine wirklich ſittlichen Geſin-
nungen ein. Beſſert er den Menſchen, hat er moraliſche Ge-
ſinnung zur Folge, ſo kommt das nur aus der innern, vom
religiöſen Glauben unabhängigen Ueberzeugung von der un-
umſtößlichen Realität der Moral. Nur die Moral iſt es, die
dem Gläubigen ins Gewiſſen ruft: Dein Glaube iſt nichts,
wenn er Dich nicht gut macht, keineswegs aber der Glaube.
Wohl kann, nicht iſt es zu läugnen, die Gewißheit ewiger
Seligkeit, der Vergebung der Sünden, der Begnadigung und
Erlöſung von allen Strafen, den Menſchen geneigt machen,
Gutes zu thun. Der Menſch, der dieſes Glaubens iſt, hat
Alles; er iſt ſelig; er wird gleichgültig gegen die Güter dieſer
Welt; kein Neid, keine Habſucht, kein Ehrgeiz, kein ſinnliches
Verlangen kann ihn feſſeln; alles Irdiſche ſchwindet im Hin-
blick auf die himmliſche Gnade und die ewige überirdiſche Se-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0375" n="357"/>
Der gegen die Liebe indifferente oder lieblo&#x017F;e Glaube wi-<lb/>
der&#x017F;pricht der Vernunft, dem morali&#x017F;chen Gefühl, dem natürli-<lb/>
chen Rechts&#x017F;inn des Men&#x017F;chen, als welchem &#x017F;ich die Liebe un-<lb/>
mittelbar als Ge&#x017F;etz und Wahrheit aufdringt. Der Glaube<lb/>
wird daher im Wider&#x017F;pruch mit &#x017F;einem We&#x017F;en <hi rendition="#g">an &#x017F;ich</hi> durch die<lb/>
Moral be&#x017F;chränkt. Ein Glaube, der nichts Gutes wirkt, &#x017F;ich<lb/>
nicht durch die Liebe bethätigt, i&#x017F;t kein wahrer, kein lebendiger.<lb/>
Aber die&#x017F;e <hi rendition="#g">Be&#x017F;chränkung</hi> &#x017F;tammt <hi rendition="#g">nicht aus dem Glau-<lb/>
ben &#x017F;elb&#x017F;t</hi>. Es i&#x017F;t die vom Glauben unabhängige Macht<lb/>
der Liebe, die ihm Ge&#x017F;etze gibt; denn es wird hier die <hi rendition="#g">mora-<lb/>
li&#x017F;che Be&#x017F;chaffenheit</hi> zum Kriterium der Aechtheit des<lb/>
Glaubens, die <hi rendition="#g">Wahrheit des Glaubens</hi> von der <hi rendition="#g">Wahr-<lb/>
heit der Ethik abhängig</hi> gemacht &#x2014; ein Verhältniß, das<lb/>
aber dem Glauben wider&#x017F;pricht.</p><lb/>
          <p>Wohl mag der Glaube den Men&#x017F;chen &#x017F;elig machen; aber<lb/>
&#x017F;o viel i&#x017F;t gewiß: er flößt ihm keine wirklich &#x017F;ittlichen Ge&#x017F;in-<lb/>
nungen ein. Be&#x017F;&#x017F;ert er den Men&#x017F;chen, hat er morali&#x017F;che Ge-<lb/>
&#x017F;innung zur Folge, &#x017F;o kommt das nur aus der innern, vom<lb/>
religiö&#x017F;en Glauben unabhängigen Ueberzeugung von der un-<lb/>
um&#x017F;tößlichen Realität der Moral. Nur die Moral i&#x017F;t es, die<lb/>
dem Gläubigen ins Gewi&#x017F;&#x017F;en ruft: Dein Glaube i&#x017F;t nichts,<lb/>
wenn er Dich nicht gut macht, keineswegs aber der Glaube.<lb/>
Wohl kann, nicht i&#x017F;t es zu läugnen, die Gewißheit ewiger<lb/>
Seligkeit, der Vergebung der Sünden, der Begnadigung und<lb/>
Erlö&#x017F;ung von allen Strafen, den Men&#x017F;chen geneigt machen,<lb/>
Gutes zu thun. Der Men&#x017F;ch, der die&#x017F;es Glaubens i&#x017F;t, hat<lb/>
Alles; er i&#x017F;t &#x017F;elig; er wird gleichgültig gegen die Güter die&#x017F;er<lb/>
Welt; kein <hi rendition="#g">Neid</hi>, keine Hab&#x017F;ucht, kein Ehrgeiz, kein &#x017F;innliches<lb/>
Verlangen kann ihn fe&#x017F;&#x017F;eln; alles Irdi&#x017F;che &#x017F;chwindet im Hin-<lb/>
blick auf die himmli&#x017F;che Gnade und die ewige überirdi&#x017F;che Se-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[357/0375] Der gegen die Liebe indifferente oder liebloſe Glaube wi- derſpricht der Vernunft, dem moraliſchen Gefühl, dem natürli- chen Rechtsſinn des Menſchen, als welchem ſich die Liebe un- mittelbar als Geſetz und Wahrheit aufdringt. Der Glaube wird daher im Widerſpruch mit ſeinem Weſen an ſich durch die Moral beſchränkt. Ein Glaube, der nichts Gutes wirkt, ſich nicht durch die Liebe bethätigt, iſt kein wahrer, kein lebendiger. Aber dieſe Beſchränkung ſtammt nicht aus dem Glau- ben ſelbſt. Es iſt die vom Glauben unabhängige Macht der Liebe, die ihm Geſetze gibt; denn es wird hier die mora- liſche Beſchaffenheit zum Kriterium der Aechtheit des Glaubens, die Wahrheit des Glaubens von der Wahr- heit der Ethik abhängig gemacht — ein Verhältniß, das aber dem Glauben widerſpricht. Wohl mag der Glaube den Menſchen ſelig machen; aber ſo viel iſt gewiß: er flößt ihm keine wirklich ſittlichen Geſin- nungen ein. Beſſert er den Menſchen, hat er moraliſche Ge- ſinnung zur Folge, ſo kommt das nur aus der innern, vom religiöſen Glauben unabhängigen Ueberzeugung von der un- umſtößlichen Realität der Moral. Nur die Moral iſt es, die dem Gläubigen ins Gewiſſen ruft: Dein Glaube iſt nichts, wenn er Dich nicht gut macht, keineswegs aber der Glaube. Wohl kann, nicht iſt es zu läugnen, die Gewißheit ewiger Seligkeit, der Vergebung der Sünden, der Begnadigung und Erlöſung von allen Strafen, den Menſchen geneigt machen, Gutes zu thun. Der Menſch, der dieſes Glaubens iſt, hat Alles; er iſt ſelig; er wird gleichgültig gegen die Güter dieſer Welt; kein Neid, keine Habſucht, kein Ehrgeiz, kein ſinnliches Verlangen kann ihn feſſeln; alles Irdiſche ſchwindet im Hin- blick auf die himmliſche Gnade und die ewige überirdiſche Se-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/375
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/375>, abgerufen am 12.05.2024.