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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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wendig zur Hauptsache. Wie daher innerlich dem Glauben
die Ethik subordinirt wird, so kann, so muß sie auch äußerlich,
praktisch ihm untergeordnet, ja aufgeopfert werden. Es ist
nothwendig, daß es Handlungen gibt, in denen der Glaube
im Unterschiede oder vielmehr im Widerspruch mit der
Moral
zur Erscheinung kommt -- Handlungen die moralisch
schlecht
, aber dem Glauben nach löblich sind, weil sie nur
das Beste des Glaubens bezwecken. Alles Heil liegt am Glau-
ben; Alles daher wieder an dem Heil des Glaubens. Ist
der Glaube gefährdet, so ist die ewige Seligkeit und die Ehre
Gottes gefährdet. Alles privilegirt daher der Glaube, wenn
es nur die Beförderung des Glaubens zum Zwecke hat; denn
er ist ja, streng genommen, das einzige subjective Gute im
Menschen, wie Gott selbst das einzige gute und positive Wesen;
das erste, das höchste Gebot daher: Glaube!

Eben deßwegen, weil kein natürlicher innerer Zusammen-
hung zwischen dem Glauben und der moralischen Gesinnung
statt findet, es vielmehr im Wesen des Glaubens an sich
liegt, daß er indifferent ist gegen die moralischen Pflichten*),
daß er die Liebe des Menschen der Ehre Gottes aufopfert,
eben deßwegen wird gefordert, daß der Glaube gute Werke
im Gefolge haben, daß er durch die Liebe sich bethätigen soll.

*) "Placetta de Fide II. Il ne faut pas chercher dans la nature de
choses memes
la veritable cause de l'inseparabilite de'la foi et de la
piete. Il faut, si je ne me trompe, la chercher uniquement dans la vo-
lonte de Dieu
... Bene facit et nobiscum sentit, cum illam conjunctio-
nem
(d. h. der Sanctitas oder Virtus mit dem Glauben) a benefica Dei vo-
luntate et dispositione repetit; nec id novum est ejus inventum, sed cum
antiquioribus Theologis nostris commune" J. A. Ernesti. (Vindiciae
arbitrii divini. Opusc. theol. p. 297.) Si quis dixerit ... qui fidem sine
charitate
habet, Christianum non esse, anathema sit. Concil. Trid.

wendig zur Hauptſache. Wie daher innerlich dem Glauben
die Ethik ſubordinirt wird, ſo kann, ſo muß ſie auch äußerlich,
praktiſch ihm untergeordnet, ja aufgeopfert werden. Es iſt
nothwendig, daß es Handlungen gibt, in denen der Glaube
im Unterſchiede oder vielmehr im Widerſpruch mit der
Moral
zur Erſcheinung kommt — Handlungen die moraliſch
ſchlecht
, aber dem Glauben nach löblich ſind, weil ſie nur
das Beſte des Glaubens bezwecken. Alles Heil liegt am Glau-
ben; Alles daher wieder an dem Heil des Glaubens. Iſt
der Glaube gefährdet, ſo iſt die ewige Seligkeit und die Ehre
Gottes gefährdet. Alles privilegirt daher der Glaube, wenn
es nur die Beförderung des Glaubens zum Zwecke hat; denn
er iſt ja, ſtreng genommen, das einzige ſubjective Gute im
Menſchen, wie Gott ſelbſt das einzige gute und poſitive Weſen;
das erſte, das höchſte Gebot daher: Glaube!

Eben deßwegen, weil kein natürlicher innerer Zuſammen-
hung zwiſchen dem Glauben und der moraliſchen Geſinnung
ſtatt findet, es vielmehr im Weſen des Glaubens an ſich
liegt, daß er indifferent iſt gegen die moraliſchen Pflichten*),
daß er die Liebe des Menſchen der Ehre Gottes aufopfert,
eben deßwegen wird gefordert, daß der Glaube gute Werke
im Gefolge haben, daß er durch die Liebe ſich bethätigen ſoll.

*) „Placetta de Fide II. Il ne faut pas chercher dans la nature de
choses mêmes
la veritable cause de l’inseparabilité de’la foi et de la
pieté. Il faut, si je ne me trompe, la chercher uniquement dans la vo-
lonté de Dieu
… Bene facit et nobiscum sentit, cum illam conjunctio-
nem
(d. h. der Sanctitas oder Virtus mit dem Glauben) a benefica Dei vo-
luntate et dispositione repetit; nec id novum est ejus inventum, sed cum
antiquioribus Theologis nostris commune“ J. A. Ernesti. (Vindiciae
arbitrii divini. Opusc. theol. p. 297.) Si quis dixerit … qui fidem sine
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[356/0374] wendig zur Hauptſache. Wie daher innerlich dem Glauben die Ethik ſubordinirt wird, ſo kann, ſo muß ſie auch äußerlich, praktiſch ihm untergeordnet, ja aufgeopfert werden. Es iſt nothwendig, daß es Handlungen gibt, in denen der Glaube im Unterſchiede oder vielmehr im Widerſpruch mit der Moral zur Erſcheinung kommt — Handlungen die moraliſch ſchlecht, aber dem Glauben nach löblich ſind, weil ſie nur das Beſte des Glaubens bezwecken. Alles Heil liegt am Glau- ben; Alles daher wieder an dem Heil des Glaubens. Iſt der Glaube gefährdet, ſo iſt die ewige Seligkeit und die Ehre Gottes gefährdet. Alles privilegirt daher der Glaube, wenn es nur die Beförderung des Glaubens zum Zwecke hat; denn er iſt ja, ſtreng genommen, das einzige ſubjective Gute im Menſchen, wie Gott ſelbſt das einzige gute und poſitive Weſen; das erſte, das höchſte Gebot daher: Glaube! Eben deßwegen, weil kein natürlicher innerer Zuſammen- hung zwiſchen dem Glauben und der moraliſchen Geſinnung ſtatt findet, es vielmehr im Weſen des Glaubens an ſich liegt, daß er indifferent iſt gegen die moraliſchen Pflichten *), daß er die Liebe des Menſchen der Ehre Gottes aufopfert, eben deßwegen wird gefordert, daß der Glaube gute Werke im Gefolge haben, daß er durch die Liebe ſich bethätigen ſoll. *) „Placetta de Fide II. Il ne faut pas chercher dans la nature de choses mêmes la veritable cause de l’inseparabilité de’la foi et de la pieté. Il faut, si je ne me trompe, la chercher uniquement dans la vo- lonté de Dieu … Bene facit et nobiscum sentit, cum illam conjunctio- nem (d. h. der Sanctitas oder Virtus mit dem Glauben) a benefica Dei vo- luntate et dispositione repetit; nec id novum est ejus inventum, sed cum antiquioribus Theologis nostris commune“ J. A. Ernesti. (Vindiciae arbitrii divini. Opusc. theol. p. 297.) Si quis dixerit … qui fidem sine charitate habet, Christianum non esse, anathema sit. Concil. Trid.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/374>, abgerufen am 13.05.2024.