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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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schung, in welcher freilich der Charakter des Glaubens un-
kenntlich wird.

Wenn also der Glaube nicht dem Christenthum widerspricht,
so widersprechen ihm auch nicht die Gesinnungen, die aus
dem Glauben, nicht die Handlungen, die aus diesen Gesin-
nungen sich ergeben. Der Glaube verdammt: alle Handlungen,
alle Gesinnungen, welche der Liebe, der Humanität, der Ver-
nunft widersprechen, entsprechen dem Glauben. Alle Greuel
der christlichen Religionsgeschichte, von denen unsere
Gläubigen sagen, daß sie nicht aus dem Christenthum gekom-
men sind, weil aus dem Glauben, aus dem Christenthum
entsprungen. Es ist dieses ihr Läugnen sogar eine nothwendige
Folge des Glaubens; denn der Glaube vindicirt sich nur
das Gute, alles Böse aber schiebt er auf den Unglauben oder
nicht rechten Glauben oder auf den Menschen überhaupt. Aber
gerade darin, daß der Glaube läugnet, daß das Böse im
Christenthum seine Schuld sei, haben wir den schlagenden
Beweis, daß er wirklich der Urheber davon ist, weil der Be-
weis von seiner Beschränktheit, Parteilichkeit und Intoleranz,
vermöge welcher er nur gut ist gegen sich, gegen seine Anhänger,
aber böse, ungerecht gegen alles Andere. Das Gute, was
von Christen geschehen, hat dem Glauben zufolge nicht der
Mensch, sondern der Christ, der Glaube; aber das Böse der
Christen hat nicht der Christ, sondern der Mensch gethan.
Die bösen Glaubenshandlungen der Christenheit entsprechen
also dem Wesen des Glaubens -- des Glaubens, wie er sich
selbst schon in der ältesten und heiligsten Urkunde des Christen-
thums, der Bibel ausgesprochen. "So Jemand euch Evan-
gelium anders predigt, denn das ihr empfangen habt, der sei

ſchung, in welcher freilich der Charakter des Glaubens un-
kenntlich wird.

Wenn alſo der Glaube nicht dem Chriſtenthum widerſpricht,
ſo widerſprechen ihm auch nicht die Geſinnungen, die aus
dem Glauben, nicht die Handlungen, die aus dieſen Geſin-
nungen ſich ergeben. Der Glaube verdammt: alle Handlungen,
alle Geſinnungen, welche der Liebe, der Humanität, der Ver-
nunft widerſprechen, entſprechen dem Glauben. Alle Greuel
der chriſtlichen Religionsgeſchichte, von denen unſere
Gläubigen ſagen, daß ſie nicht aus dem Chriſtenthum gekom-
men ſind, weil aus dem Glauben, aus dem Chriſtenthum
entſprungen. Es iſt dieſes ihr Läugnen ſogar eine nothwendige
Folge des Glaubens; denn der Glaube vindicirt ſich nur
das Gute, alles Böſe aber ſchiebt er auf den Unglauben oder
nicht rechten Glauben oder auf den Menſchen überhaupt. Aber
gerade darin, daß der Glaube läugnet, daß das Böſe im
Chriſtenthum ſeine Schuld ſei, haben wir den ſchlagenden
Beweis, daß er wirklich der Urheber davon iſt, weil der Be-
weis von ſeiner Beſchränktheit, Parteilichkeit und Intoleranz,
vermöge welcher er nur gut iſt gegen ſich, gegen ſeine Anhänger,
aber böſe, ungerecht gegen alles Andere. Das Gute, was
von Chriſten geſchehen, hat dem Glauben zufolge nicht der
Menſch, ſondern der Chriſt, der Glaube; aber das Böſe der
Chriſten hat nicht der Chriſt, ſondern der Menſch gethan.
Die böſen Glaubenshandlungen der Chriſtenheit entſprechen
alſo dem Weſen des Glaubens — des Glaubens, wie er ſich
ſelbſt ſchon in der älteſten und heiligſten Urkunde des Chriſten-
thums, der Bibel ausgeſprochen. „So Jemand euch Evan-
gelium anders predigt, denn das ihr empfangen habt, der ſei

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[351/0369] ſchung, in welcher freilich der Charakter des Glaubens un- kenntlich wird. Wenn alſo der Glaube nicht dem Chriſtenthum widerſpricht, ſo widerſprechen ihm auch nicht die Geſinnungen, die aus dem Glauben, nicht die Handlungen, die aus dieſen Geſin- nungen ſich ergeben. Der Glaube verdammt: alle Handlungen, alle Geſinnungen, welche der Liebe, der Humanität, der Ver- nunft widerſprechen, entſprechen dem Glauben. Alle Greuel der chriſtlichen Religionsgeſchichte, von denen unſere Gläubigen ſagen, daß ſie nicht aus dem Chriſtenthum gekom- men ſind, weil aus dem Glauben, aus dem Chriſtenthum entſprungen. Es iſt dieſes ihr Läugnen ſogar eine nothwendige Folge des Glaubens; denn der Glaube vindicirt ſich nur das Gute, alles Böſe aber ſchiebt er auf den Unglauben oder nicht rechten Glauben oder auf den Menſchen überhaupt. Aber gerade darin, daß der Glaube läugnet, daß das Böſe im Chriſtenthum ſeine Schuld ſei, haben wir den ſchlagenden Beweis, daß er wirklich der Urheber davon iſt, weil der Be- weis von ſeiner Beſchränktheit, Parteilichkeit und Intoleranz, vermöge welcher er nur gut iſt gegen ſich, gegen ſeine Anhänger, aber böſe, ungerecht gegen alles Andere. Das Gute, was von Chriſten geſchehen, hat dem Glauben zufolge nicht der Menſch, ſondern der Chriſt, der Glaube; aber das Böſe der Chriſten hat nicht der Chriſt, ſondern der Menſch gethan. Die böſen Glaubenshandlungen der Chriſtenheit entſprechen alſo dem Weſen des Glaubens — des Glaubens, wie er ſich ſelbſt ſchon in der älteſten und heiligſten Urkunde des Chriſten- thums, der Bibel ausgeſprochen. „So Jemand euch Evan- gelium anders predigt, denn das ihr empfangen habt, der ſei

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/369>, abgerufen am 13.05.2024.