Der Glaube ist das Gegentheil der Liebe. Die Liebe erkennt auch in der Sünde noch die Tugend, im Irrthum die Wahrheit. Nur seit der Zeit, wo an die Stelle der Macht des Glaubens die Macht der naturwahren Einheit der Mensch- heit, die Macht der Vernunft, der Humanität getreten, erblickt man auch im Polytheismus, im Götzendienst überhaupt Wahr- heit oder sucht man wenigstens durch positive Gründe zu er- klären, was der in sich selbst befangene Glaube nur aus dem Teufel ableitet. Darum ist die Liebe nur identisch mit der Vernunft, aber nicht mit dem Glauben. Denn wie die Vernunft, so ist die Liebe freier, universeller, der Glaube aber engherziger, beschränkter Natur. Nur wo Vernunft, da herrscht allgemeine Liebe. Die Vernunft ist selbst nichts andres als die universale Liebe. Der Glaube hat die Hölle erfunden, nicht die Liebe, nicht die Vernunft. Der Liebe ist die Hölle ein Greuel, der Vernunft ein Unsinn. Es wäre erbärmlich, in der Hölle nur eine Verirrung des Glaubens, einen falschen Glauben erblicken zu wollen. Die Hölle steht auch schon in der Bibel. Der Glaube ist überhaupt überall sich selbst gleich, wenigstens der positiv religiöse Glaube, der Glaube in dem Sinne, in welchem er hier genommen wird und genommen werden muß, wenn man nicht die Elemente der Vernunft, der Bildung mit dem Glauben vermischen will -- eine Vermi-
chen, der gläubigen Liebe. -- Die Lehre einiger Kirchenväter, wie z. B. des Origenes, des Gregors von Nyssa, daß die Strafen der Ver- dammten einst enden würden, stammt nicht aus der christlichen oder kirchlichen Lehre, sondern aus dem Platonismus. Ausdrücklich wurde daher auch die Lehre von der Endlichkeit der Höllenstrafen nicht nur von der katholischen, sondern auch protestantischen Kirche (Augsb. Confess. Art. 17.) verworfen.
Der Glaube iſt das Gegentheil der Liebe. Die Liebe erkennt auch in der Sünde noch die Tugend, im Irrthum die Wahrheit. Nur ſeit der Zeit, wo an die Stelle der Macht des Glaubens die Macht der naturwahren Einheit der Menſch- heit, die Macht der Vernunft, der Humanität getreten, erblickt man auch im Polytheismus, im Götzendienſt überhaupt Wahr- heit oder ſucht man wenigſtens durch poſitive Gründe zu er- klären, was der in ſich ſelbſt befangene Glaube nur aus dem Teufel ableitet. Darum iſt die Liebe nur identiſch mit der Vernunft, aber nicht mit dem Glauben. Denn wie die Vernunft, ſo iſt die Liebe freier, univerſeller, der Glaube aber engherziger, beſchränkter Natur. Nur wo Vernunft, da herrſcht allgemeine Liebe. Die Vernunft iſt ſelbſt nichts andres als die univerſale Liebe. Der Glaube hat die Hölle erfunden, nicht die Liebe, nicht die Vernunft. Der Liebe iſt die Hölle ein Greuel, der Vernunft ein Unſinn. Es wäre erbärmlich, in der Hölle nur eine Verirrung des Glaubens, einen falſchen Glauben erblicken zu wollen. Die Hölle ſteht auch ſchon in der Bibel. Der Glaube iſt überhaupt überall ſich ſelbſt gleich, wenigſtens der poſitiv religiöſe Glaube, der Glaube in dem Sinne, in welchem er hier genommen wird und genommen werden muß, wenn man nicht die Elemente der Vernunft, der Bildung mit dem Glauben vermiſchen will — eine Vermi-
chen, der gläubigen Liebe. — Die Lehre einiger Kirchenväter, wie z. B. des Origenes, des Gregors von Nyſſa, daß die Strafen der Ver- dammten einſt enden würden, ſtammt nicht aus der chriſtlichen oder kirchlichen Lehre, ſondern aus dem Platonismus. Ausdrücklich wurde daher auch die Lehre von der Endlichkeit der Höllenſtrafen nicht nur von der katholiſchen, ſondern auch proteſtantiſchen Kirche (Augsb. Confeſſ. Art. 17.) verworfen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0368"n="350"/><p><hirendition="#g">Der Glaube iſt das Gegentheil der Liebe</hi>. Die<lb/>
Liebe erkennt auch in der Sünde noch die Tugend, im Irrthum<lb/>
die Wahrheit. Nur ſeit der Zeit, wo an die Stelle der Macht<lb/>
des Glaubens die Macht der naturwahren Einheit der Menſch-<lb/>
heit, die Macht der Vernunft, der Humanität getreten, erblickt<lb/>
man auch im Polytheismus, im Götzendienſt überhaupt Wahr-<lb/>
heit oder ſucht man wenigſtens durch poſitive Gründe zu er-<lb/>
klären, was der in ſich ſelbſt befangene Glaube nur aus dem<lb/>
Teufel ableitet. Darum iſt die <hirendition="#g">Liebe nur identiſch mit<lb/>
der Vernunft</hi>, aber nicht mit dem Glauben. Denn wie die<lb/>
Vernunft, ſo iſt die Liebe freier, univerſeller, der Glaube aber<lb/>
engherziger, beſchränkter Natur. Nur wo Vernunft, da herrſcht<lb/>
allgemeine Liebe. Die Vernunft iſt ſelbſt nichts andres als<lb/>
die <hirendition="#g">univerſale</hi> Liebe. Der Glaube hat die Hölle erfunden,<lb/>
nicht die Liebe, nicht die Vernunft. Der Liebe iſt die Hölle ein<lb/>
Greuel, der Vernunft ein Unſinn. Es wäre erbärmlich, in<lb/>
der Hölle nur eine Verirrung des Glaubens, einen falſchen<lb/>
Glauben erblicken zu wollen. Die Hölle ſteht auch ſchon in<lb/>
der Bibel. Der Glaube iſt überhaupt überall ſich ſelbſt gleich,<lb/>
wenigſtens der poſitiv religiöſe Glaube, der Glaube in <hirendition="#g">dem</hi><lb/>
Sinne, in welchem er hier genommen wird und genommen<lb/>
werden muß, wenn man nicht die Elemente der Vernunft, der<lb/>
Bildung mit dem Glauben vermiſchen will — eine Vermi-<lb/><notexml:id="note-0368"prev="#note-0367"place="foot"n="**)"><hirendition="#g">chen</hi>, der <hirendition="#g">gläubigen</hi> Liebe. — Die Lehre einiger Kirchenväter, wie<lb/>
z. B. des Origenes, des Gregors von Nyſſa, daß die Strafen der Ver-<lb/>
dammten einſt enden würden, ſtammt nicht aus der <hirendition="#g">chriſtlichen</hi> oder<lb/><hirendition="#g">kirchlichen</hi> Lehre, ſondern aus dem Platonismus. Ausdrücklich wurde<lb/>
daher auch die Lehre von der Endlichkeit der Höllenſtrafen nicht nur von der<lb/>
katholiſchen, ſondern auch proteſtantiſchen Kirche (Augsb. Confeſſ. Art.<lb/>
17.) verworfen.</note><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[350/0368]
Der Glaube iſt das Gegentheil der Liebe. Die
Liebe erkennt auch in der Sünde noch die Tugend, im Irrthum
die Wahrheit. Nur ſeit der Zeit, wo an die Stelle der Macht
des Glaubens die Macht der naturwahren Einheit der Menſch-
heit, die Macht der Vernunft, der Humanität getreten, erblickt
man auch im Polytheismus, im Götzendienſt überhaupt Wahr-
heit oder ſucht man wenigſtens durch poſitive Gründe zu er-
klären, was der in ſich ſelbſt befangene Glaube nur aus dem
Teufel ableitet. Darum iſt die Liebe nur identiſch mit
der Vernunft, aber nicht mit dem Glauben. Denn wie die
Vernunft, ſo iſt die Liebe freier, univerſeller, der Glaube aber
engherziger, beſchränkter Natur. Nur wo Vernunft, da herrſcht
allgemeine Liebe. Die Vernunft iſt ſelbſt nichts andres als
die univerſale Liebe. Der Glaube hat die Hölle erfunden,
nicht die Liebe, nicht die Vernunft. Der Liebe iſt die Hölle ein
Greuel, der Vernunft ein Unſinn. Es wäre erbärmlich, in
der Hölle nur eine Verirrung des Glaubens, einen falſchen
Glauben erblicken zu wollen. Die Hölle ſteht auch ſchon in
der Bibel. Der Glaube iſt überhaupt überall ſich ſelbſt gleich,
wenigſtens der poſitiv religiöſe Glaube, der Glaube in dem
Sinne, in welchem er hier genommen wird und genommen
werden muß, wenn man nicht die Elemente der Vernunft, der
Bildung mit dem Glauben vermiſchen will — eine Vermi-
**)
**) chen, der gläubigen Liebe. — Die Lehre einiger Kirchenväter, wie
z. B. des Origenes, des Gregors von Nyſſa, daß die Strafen der Ver-
dammten einſt enden würden, ſtammt nicht aus der chriſtlichen oder
kirchlichen Lehre, ſondern aus dem Platonismus. Ausdrücklich wurde
daher auch die Lehre von der Endlichkeit der Höllenſtrafen nicht nur von der
katholiſchen, ſondern auch proteſtantiſchen Kirche (Augsb. Confeſſ. Art.
17.) verworfen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/368>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.