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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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kommt, entsteht der Unterschied zwischen Wesentlichem und Un-
wesentlichem. Im Gebiet des Unwesentlichen gibt es kein Ge-
setz, da seid ihr frei. Aber natürlich nur unter der Bedin-
gung, daß ihr dem Glauben sein Recht ungeschmälert laßt,
gewährt euch der Glaube Rechte, Freiheiten.

Es wäre daher ganz falsch, sich so zu helfen, daß man
sagte, der Glaube überlasse das Gericht Gott. Er überläßt
ihm nur das moralische Gericht, und nur das Gericht über
den erheuchelten oder aufrichtigen Glauben der Christen. Welche
zur Linken, welche zur Rechten Gottes stehen werden, das weiß
der Glaube. Nur in Rücksicht der Personen weiß er es nicht;
aber daß nur die Gläubigen überhaupt Erben des ewigen
Reichs sind, das ist außer Zweifel. Aber auch davon abge-
sehen: der zwischen den Gläubigen und Ungläubigen un-
terscheidende
, der verdammende und belohnende Gott ist
nichts andres als der Glaube selbst. Was Gott ver-
dammt, verdammt der Glaube
, und umgekehrt. Der
Glaube ist ein sein Gegentheil schonungslos verzehrendes
Feuer*). Dieses Feuer des Glaubens als objectives
Wesen
angeschaut ist der Zorn Gottes oder was eins ist, die
Hölle, denn die Hölle hat offenbar ihren Grund im Zorn
Gottes. Aber diese Hölle hat der Glaube in sich selbst, in
seinem Verdammungsurtheil. Die Flammen der Hölle sind
nur die Funken von dem vertilgenden, zornglühenden Blick,
den der Glaube auf die Ungläubigen wirft.

Der Glaube ist also wesentlich parteiisch. Wer nicht
für Christus ist, der ist wider Christus. Für mich; oder:

*) So verfluchte der Apostel Paulus "den Zauberer Elymas,"
weil er dem Glauben widerstand, zur Blindheit. Apostelgesch. 13,
8--11.

kommt, entſteht der Unterſchied zwiſchen Weſentlichem und Un-
weſentlichem. Im Gebiet des Unweſentlichen gibt es kein Ge-
ſetz, da ſeid ihr frei. Aber natürlich nur unter der Bedin-
gung, daß ihr dem Glauben ſein Recht ungeſchmälert laßt,
gewährt euch der Glaube Rechte, Freiheiten.

Es wäre daher ganz falſch, ſich ſo zu helfen, daß man
ſagte, der Glaube überlaſſe das Gericht Gott. Er überläßt
ihm nur das moraliſche Gericht, und nur das Gericht über
den erheuchelten oder aufrichtigen Glauben der Chriſten. Welche
zur Linken, welche zur Rechten Gottes ſtehen werden, das weiß
der Glaube. Nur in Rückſicht der Perſonen weiß er es nicht;
aber daß nur die Gläubigen überhaupt Erben des ewigen
Reichs ſind, das iſt außer Zweifel. Aber auch davon abge-
ſehen: der zwiſchen den Gläubigen und Ungläubigen un-
terſcheidende
, der verdammende und belohnende Gott iſt
nichts andres als der Glaube ſelbſt. Was Gott ver-
dammt, verdammt der Glaube
, und umgekehrt. Der
Glaube iſt ein ſein Gegentheil ſchonungslos verzehrendes
Feuer*). Dieſes Feuer des Glaubens als objectives
Weſen
angeſchaut iſt der Zorn Gottes oder was eins iſt, die
Hölle, denn die Hölle hat offenbar ihren Grund im Zorn
Gottes. Aber dieſe Hölle hat der Glaube in ſich ſelbſt, in
ſeinem Verdammungsurtheil. Die Flammen der Hölle ſind
nur die Funken von dem vertilgenden, zornglühenden Blick,
den der Glaube auf die Ungläubigen wirft.

Der Glaube iſt alſo weſentlich parteiiſch. Wer nicht
für Chriſtus iſt, der iſt wider Chriſtus. Für mich; oder:

*) So verfluchte der Apoſtel Paulus „den Zauberer Elymas,“
weil er dem Glauben widerſtand, zur Blindheit. Apoſtelgeſch. 13,
8—11.
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[347/0365] kommt, entſteht der Unterſchied zwiſchen Weſentlichem und Un- weſentlichem. Im Gebiet des Unweſentlichen gibt es kein Ge- ſetz, da ſeid ihr frei. Aber natürlich nur unter der Bedin- gung, daß ihr dem Glauben ſein Recht ungeſchmälert laßt, gewährt euch der Glaube Rechte, Freiheiten. Es wäre daher ganz falſch, ſich ſo zu helfen, daß man ſagte, der Glaube überlaſſe das Gericht Gott. Er überläßt ihm nur das moraliſche Gericht, und nur das Gericht über den erheuchelten oder aufrichtigen Glauben der Chriſten. Welche zur Linken, welche zur Rechten Gottes ſtehen werden, das weiß der Glaube. Nur in Rückſicht der Perſonen weiß er es nicht; aber daß nur die Gläubigen überhaupt Erben des ewigen Reichs ſind, das iſt außer Zweifel. Aber auch davon abge- ſehen: der zwiſchen den Gläubigen und Ungläubigen un- terſcheidende, der verdammende und belohnende Gott iſt nichts andres als der Glaube ſelbſt. Was Gott ver- dammt, verdammt der Glaube, und umgekehrt. Der Glaube iſt ein ſein Gegentheil ſchonungslos verzehrendes Feuer *). Dieſes Feuer des Glaubens als objectives Weſen angeſchaut iſt der Zorn Gottes oder was eins iſt, die Hölle, denn die Hölle hat offenbar ihren Grund im Zorn Gottes. Aber dieſe Hölle hat der Glaube in ſich ſelbſt, in ſeinem Verdammungsurtheil. Die Flammen der Hölle ſind nur die Funken von dem vertilgenden, zornglühenden Blick, den der Glaube auf die Ungläubigen wirft. Der Glaube iſt alſo weſentlich parteiiſch. Wer nicht für Chriſtus iſt, der iſt wider Chriſtus. Für mich; oder: *) So verfluchte der Apoſtel Paulus „den Zauberer Elymas,“ weil er dem Glauben widerſtand, zur Blindheit. Apoſtelgeſch. 13, 8—11.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/365>, abgerufen am 13.05.2024.