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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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bietet allerdings keine Ketzerverfolgungen, noch weniger Be-
kehrung mit Waffengewalt. Aber insofern der Glaube ver-
dammt, erzeugt es nothwendig feindselige Gesinnungen, die
Gesinnungen, aus welchen die Ketzerverfolgung entspringt.
Den Menschen zu lieben, der nicht glaubt an Chri-
stus, ist eine Sünde gegen Christus
, heißt den Feind
Christi lieben
*). Was Gott, was Christus nicht liebt,
das darf der Mensch nicht lieben; seine Liebe wäre ein Wider-
spruch gegen den göttlichen Willen, also Sünde. Gott liebt
zwar alle Menschen, aber nur wenn und weil sie Christen
sind oder wenigstens sein können und sein wollen. Christ
sein
heißt von Gott geliebt sein, nicht Christ sein von Gott
gehaßt werden, ein Gegenstand des göttlichen Zorns sein.
Der Christ darf also nur den Christen lieben, den An-
dern nur als möglichen Christen; er darf nur lieben, was
der Glaube heiligt, segnet. Der Glaube ist die Taufe
der Liebe. Die Liebe zum Menschen als Menschen ist nur die
natürliche. Die christliche Liebe ist die übernatürliche,
verklärte, geheiligte Liebe; aber die christliche liebt auch nur
Christliches. Der Satz: "liebet eure Feinde," bezieht sich
nur auf Privatfeindschaften unter Christen, aber nicht auf
die öffentlichen Feinde, die Feinde Gottes, die Feinde
des Glaubens
, die Ungläubigen. Wer den Menschen
liebt, der Christus läugnet, Christus nicht glaubt, verläug-
net
seinen Herrn und Gott: der Glaube hebt die natur-
gemäßen Bande der Menschheit auf
; er setzt an die
Stelle der allgemeinen, natürlichen Einheit eine particuläre.

*) Si quis spiritum Dei habet, illius versiculi recordetur: Nonne
qui oderunt te, Domine, oderam
? (Psalt. 139, 21.) Bernhar-
dus
. Epist. (193) ad magist. Yvonem Cardin.

bietet allerdings keine Ketzerverfolgungen, noch weniger Be-
kehrung mit Waffengewalt. Aber inſofern der Glaube ver-
dammt, erzeugt es nothwendig feindſelige Geſinnungen, die
Geſinnungen, aus welchen die Ketzerverfolgung entſpringt.
Den Menſchen zu lieben, der nicht glaubt an Chri-
ſtus, iſt eine Sünde gegen Chriſtus
, heißt den Feind
Chriſti lieben
*). Was Gott, was Chriſtus nicht liebt,
das darf der Menſch nicht lieben; ſeine Liebe wäre ein Wider-
ſpruch gegen den göttlichen Willen, alſo Sünde. Gott liebt
zwar alle Menſchen, aber nur wenn und weil ſie Chriſten
ſind oder wenigſtens ſein können und ſein wollen. Chriſt
ſein
heißt von Gott geliebt ſein, nicht Chriſt ſein von Gott
gehaßt werden, ein Gegenſtand des göttlichen Zorns ſein.
Der Chriſt darf alſo nur den Chriſten lieben, den An-
dern nur als möglichen Chriſten; er darf nur lieben, was
der Glaube heiligt, ſegnet. Der Glaube iſt die Taufe
der Liebe. Die Liebe zum Menſchen als Menſchen iſt nur die
natürliche. Die chriſtliche Liebe iſt die übernatürliche,
verklärte, geheiligte Liebe; aber die chriſtliche liebt auch nur
Chriſtliches. Der Satz: „liebet eure Feinde,“ bezieht ſich
nur auf Privatfeindſchaften unter Chriſten, aber nicht auf
die öffentlichen Feinde, die Feinde Gottes, die Feinde
des Glaubens
, die Ungläubigen. Wer den Menſchen
liebt, der Chriſtus läugnet, Chriſtus nicht glaubt, verläug-
net
ſeinen Herrn und Gott: der Glaube hebt die natur-
gemäßen Bande der Menſchheit auf
; er ſetzt an die
Stelle der allgemeinen, natürlichen Einheit eine particuläre.

*) Si quis spiritum Dei habet, illius versiculi recordetur: Nonne
qui oderunt te, Domine, oderam
? (Psalt. 139, 21.) Bernhar-
dus
. Epist. (193) ad magist. Yvonem Cardin.
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[345/0363] bietet allerdings keine Ketzerverfolgungen, noch weniger Be- kehrung mit Waffengewalt. Aber inſofern der Glaube ver- dammt, erzeugt es nothwendig feindſelige Geſinnungen, die Geſinnungen, aus welchen die Ketzerverfolgung entſpringt. Den Menſchen zu lieben, der nicht glaubt an Chri- ſtus, iſt eine Sünde gegen Chriſtus, heißt den Feind Chriſti lieben *). Was Gott, was Chriſtus nicht liebt, das darf der Menſch nicht lieben; ſeine Liebe wäre ein Wider- ſpruch gegen den göttlichen Willen, alſo Sünde. Gott liebt zwar alle Menſchen, aber nur wenn und weil ſie Chriſten ſind oder wenigſtens ſein können und ſein wollen. Chriſt ſein heißt von Gott geliebt ſein, nicht Chriſt ſein von Gott gehaßt werden, ein Gegenſtand des göttlichen Zorns ſein. Der Chriſt darf alſo nur den Chriſten lieben, den An- dern nur als möglichen Chriſten; er darf nur lieben, was der Glaube heiligt, ſegnet. Der Glaube iſt die Taufe der Liebe. Die Liebe zum Menſchen als Menſchen iſt nur die natürliche. Die chriſtliche Liebe iſt die übernatürliche, verklärte, geheiligte Liebe; aber die chriſtliche liebt auch nur Chriſtliches. Der Satz: „liebet eure Feinde,“ bezieht ſich nur auf Privatfeindſchaften unter Chriſten, aber nicht auf die öffentlichen Feinde, die Feinde Gottes, die Feinde des Glaubens, die Ungläubigen. Wer den Menſchen liebt, der Chriſtus läugnet, Chriſtus nicht glaubt, verläug- net ſeinen Herrn und Gott: der Glaube hebt die natur- gemäßen Bande der Menſchheit auf; er ſetzt an die Stelle der allgemeinen, natürlichen Einheit eine particuläre. *) Si quis spiritum Dei habet, illius versiculi recordetur: Nonne qui oderunt te, Domine, oderam? (Psalt. 139, 21.) Bernhar- dus. Epist. (193) ad magist. Yvonem Cardin.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/363>, abgerufen am 23.12.2024.