Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

daß sie aufhören Heiden zu sein, daß sie selbst Christen wer-
den. Der Glaube particularisirt und bornirt den Men-
schen; er nimmt ihm die Freiheit und Fähigkeit, das
Andre, das von ihm Unterschiedne nach Gebühren zu
schätzen. Der Glaube ist in sich selbst befangen. Der
philosophische, überhaupt wissenschaftliche Dogmatiker beschränkt
sich allerdings auch mit der Bestimmtheit seines Systems.
Aber die theoretische Beschränktheit hat, so unfrei, so kurzsichtig
und engherzig sie auch ist, doch noch einen freieren Charakter,
weil an und für sich das Gebiet der Theorie ein freies ist, wo
hier die Sache nur, der Grund, die Vernunft entscheidet. Aber
der Glaube macht wesentlich seine Sache zu einer Gewis-
senssache
und einer Sache des Interesses, des Glückse-
ligkeitstriebes
, denn sein Object ist selbst ein besonderes,
persönliches
, auf Anerkennung dringendes und von
dieser Anerkennung die Seligkeit abhängig machendes
Wesen.

Der Glaube gibt dem Menschen ein besonderes Ehr-
und Selbstgefühl
. Der Gläubige findet sich ausgezeichnet
vor andern Menschen, erhoben über den natürlichen Men-
schen; er weiß sich als eine Person von Distinction im
Besitze besonderer Rechte. Die Gläubigen sind Aristokraten,
die Ungläubigen Plebejer. Gott ist dieser personificirte
Unterschied und Vorzug
des Gläubigen vor dem Ungläu-
bigen *). Aber weil der Glaube das eigne Wesen als ein
andres Wesen vorstellt, so schiebt der Gläubige seine Ehre
nicht unmittelbar in sich, sondern in diese andere Person.

*) Celsus macht den Christen den Vorwurf, daß sie sich rühm-
ten: Est Deus et post illum nos. (Origenes adv. Cels. ed. Hoe-
schelius. Aug. Vind. 1605. p. 182.)
22*

daß ſie aufhören Heiden zu ſein, daß ſie ſelbſt Chriſten wer-
den. Der Glaube particulariſirt und bornirt den Men-
ſchen; er nimmt ihm die Freiheit und Fähigkeit, das
Andre, das von ihm Unterſchiedne nach Gebühren zu
ſchätzen. Der Glaube iſt in ſich ſelbſt befangen. Der
philoſophiſche, überhaupt wiſſenſchaftliche Dogmatiker beſchränkt
ſich allerdings auch mit der Beſtimmtheit ſeines Syſtems.
Aber die theoretiſche Beſchränktheit hat, ſo unfrei, ſo kurzſichtig
und engherzig ſie auch iſt, doch noch einen freieren Charakter,
weil an und für ſich das Gebiet der Theorie ein freies iſt, wo
hier die Sache nur, der Grund, die Vernunft entſcheidet. Aber
der Glaube macht weſentlich ſeine Sache zu einer Gewiſ-
ſensſache
und einer Sache des Intereſſes, des Glückſe-
ligkeitstriebes
, denn ſein Object iſt ſelbſt ein beſonderes,
perſönliches
, auf Anerkennung dringendes und von
dieſer Anerkennung die Seligkeit abhängig machendes
Weſen.

Der Glaube gibt dem Menſchen ein beſonderes Ehr-
und Selbſtgefühl
. Der Gläubige findet ſich ausgezeichnet
vor andern Menſchen, erhoben über den natürlichen Men-
ſchen; er weiß ſich als eine Perſon von Diſtinction im
Beſitze beſonderer Rechte. Die Gläubigen ſind Ariſtokraten,
die Ungläubigen Plebejer. Gott iſt dieſer perſonificirte
Unterſchied und Vorzug
des Gläubigen vor dem Ungläu-
bigen *). Aber weil der Glaube das eigne Weſen als ein
andres Weſen vorſtellt, ſo ſchiebt der Gläubige ſeine Ehre
nicht unmittelbar in ſich, ſondern in dieſe andere Perſon.

*) Celſus macht den Chriſten den Vorwurf, daß ſie ſich rühm-
ten: Est Deus et post illum nos. (Origenes adv. Cels. ed. Hoe-
schelius. Aug. Vind. 1605. p. 182.)
22*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0357" n="339"/>
daß &#x017F;ie aufhören Heiden zu &#x017F;ein, daß &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t Chri&#x017F;ten wer-<lb/>
den. Der Glaube <hi rendition="#g">particulari&#x017F;irt</hi> und <hi rendition="#g">bornirt</hi> den Men-<lb/>
&#x017F;chen; er nimmt ihm die <hi rendition="#g">Freiheit</hi> und <hi rendition="#g">Fähigkeit</hi>, das<lb/><hi rendition="#g">Andre</hi>, das von ihm <hi rendition="#g">Unter&#x017F;chiedne</hi> nach Gebühren zu<lb/>
&#x017F;chätzen. Der Glaube i&#x017F;t <hi rendition="#g">in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t befangen</hi>. Der<lb/>
philo&#x017F;ophi&#x017F;che, überhaupt wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Dogmatiker be&#x017F;chränkt<lb/>
&#x017F;ich allerdings auch mit der Be&#x017F;timmtheit &#x017F;eines Sy&#x017F;tems.<lb/>
Aber die theoreti&#x017F;che Be&#x017F;chränktheit hat, &#x017F;o unfrei, &#x017F;o kurz&#x017F;ichtig<lb/>
und engherzig &#x017F;ie auch i&#x017F;t, doch noch einen freieren Charakter,<lb/>
weil an und für &#x017F;ich das Gebiet der Theorie ein freies i&#x017F;t, wo<lb/>
hier die Sache nur, der Grund, die Vernunft ent&#x017F;cheidet. Aber<lb/>
der Glaube macht we&#x017F;entlich &#x017F;eine Sache zu einer <hi rendition="#g">Gewi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ens&#x017F;ache</hi> und einer Sache des <hi rendition="#g">Intere&#x017F;&#x017F;es</hi>, des <hi rendition="#g">Glück&#x017F;e-<lb/>
ligkeitstriebes</hi>, denn &#x017F;ein Object i&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t ein <hi rendition="#g">be&#x017F;onderes,<lb/>
per&#x017F;önliches</hi>, auf <hi rendition="#g">Anerkennung dringendes</hi> und von<lb/>
die&#x017F;er <hi rendition="#g">Anerkennung</hi> die <hi rendition="#g">Seligkeit</hi> abhängig machendes<lb/>
We&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Der Glaube gibt dem Men&#x017F;chen ein <hi rendition="#g">be&#x017F;onderes Ehr-<lb/>
und Selb&#x017F;tgefühl</hi>. Der Gläubige findet &#x017F;ich ausgezeichnet<lb/>
vor andern Men&#x017F;chen, erhoben über den <hi rendition="#g">natürlichen</hi> Men-<lb/>
&#x017F;chen; er weiß &#x017F;ich als eine <hi rendition="#g">Per&#x017F;on von Di&#x017F;tinction</hi> im<lb/>
Be&#x017F;itze be&#x017F;onderer Rechte. Die Gläubigen &#x017F;ind Ari&#x017F;tokraten,<lb/>
die Ungläubigen Plebejer. Gott i&#x017F;t <hi rendition="#g">die&#x017F;er per&#x017F;onificirte<lb/>
Unter&#x017F;chied und Vorzug</hi> des Gläubigen vor dem Ungläu-<lb/>
bigen <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Cel&#x017F;us</hi> macht den Chri&#x017F;ten den Vorwurf, daß &#x017F;ie &#x017F;ich rühm-<lb/>
ten: <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Est Deus et post illum nos</hi>. (Origenes adv. Cels. ed. Hoe-<lb/>
schelius. Aug. Vind. 1605. p. 182.)</hi></note>. Aber weil der Glaube das eigne We&#x017F;en als ein<lb/><hi rendition="#g">andres</hi> We&#x017F;en vor&#x017F;tellt, &#x017F;o &#x017F;chiebt der Gläubige &#x017F;eine Ehre<lb/>
nicht <hi rendition="#g">unmittelbar in &#x017F;ich</hi>, &#x017F;ondern in die&#x017F;e andere Per&#x017F;on.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">22*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[339/0357] daß ſie aufhören Heiden zu ſein, daß ſie ſelbſt Chriſten wer- den. Der Glaube particulariſirt und bornirt den Men- ſchen; er nimmt ihm die Freiheit und Fähigkeit, das Andre, das von ihm Unterſchiedne nach Gebühren zu ſchätzen. Der Glaube iſt in ſich ſelbſt befangen. Der philoſophiſche, überhaupt wiſſenſchaftliche Dogmatiker beſchränkt ſich allerdings auch mit der Beſtimmtheit ſeines Syſtems. Aber die theoretiſche Beſchränktheit hat, ſo unfrei, ſo kurzſichtig und engherzig ſie auch iſt, doch noch einen freieren Charakter, weil an und für ſich das Gebiet der Theorie ein freies iſt, wo hier die Sache nur, der Grund, die Vernunft entſcheidet. Aber der Glaube macht weſentlich ſeine Sache zu einer Gewiſ- ſensſache und einer Sache des Intereſſes, des Glückſe- ligkeitstriebes, denn ſein Object iſt ſelbſt ein beſonderes, perſönliches, auf Anerkennung dringendes und von dieſer Anerkennung die Seligkeit abhängig machendes Weſen. Der Glaube gibt dem Menſchen ein beſonderes Ehr- und Selbſtgefühl. Der Gläubige findet ſich ausgezeichnet vor andern Menſchen, erhoben über den natürlichen Men- ſchen; er weiß ſich als eine Perſon von Diſtinction im Beſitze beſonderer Rechte. Die Gläubigen ſind Ariſtokraten, die Ungläubigen Plebejer. Gott iſt dieſer perſonificirte Unterſchied und Vorzug des Gläubigen vor dem Ungläu- bigen *). Aber weil der Glaube das eigne Weſen als ein andres Weſen vorſtellt, ſo ſchiebt der Gläubige ſeine Ehre nicht unmittelbar in ſich, ſondern in dieſe andere Perſon. *) Celſus macht den Chriſten den Vorwurf, daß ſie ſich rühm- ten: Est Deus et post illum nos. (Origenes adv. Cels. ed. Hoe- schelius. Aug. Vind. 1605. p. 182.) 22*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/357
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/357>, abgerufen am 13.05.2024.