Das Bewußtsein seines Vorzugs ist das Bewußtsein die- ser Person, das Gefühl seiner selbst hat er in dieser an- dern Persönlichkeit *). Wie der Diener in der Würde seines Herrn sich selbst fühlt, ja sich mehr zu sein dünkt, als ein freier selbstständiger Mann von niedrigerem Stande als sein Herr, so auch der Gläubige **). Er spricht sich alle Ver- dienste ab, um blos seinem Herrn die Ehre des Verdienstes zu lassen, aber nur weil dieses Verdienst ihm selbst zu gute kommt, weil er in der Ehre des Herrn sein eignes Ehrge- fühl befriedigt. Der Glaube ist hochmüthig, aber er unter- scheidet sich von dem natürlichen Hochmuth dadurch, daß er das Gefühl seines Vorzugs, seinen Stolz in eine andere Person überträgt, die ihn bevorzugt, eine andere Person, die aber sein eignes geborgnes Selbst, sein personificirter und befriedigter Glückseligkeitstrieb ist, denn diese Persönlich- keit hat keine andern Bestimmungen, als die, daß sie der Wohlthäter, der Erlöser, der Heiland ist, also Bestimmungen, in denen der Gläubige sich nur auf sich, auf sein eignes ewiges Heil bezieht. Kurz, wir haben hier das charakteri- stische Princip der Religion, daß sie das natürliche Activum in ein Passivum verwandelt. Der Heide erhebt sich, der Christ fühlt sich erhoben. Der Christ verwandelt in eine Sache des Gefühls, der Receptivität, was dem Heiden eine Sache der Spontaneität ist. Die Demuth des Gläubigen ist ein umge-
*)Puer natus est nobis: non judaeis; nobis non manichaeis, nobis non marcionitis. Propheta dicit: Nobis h. e. credentibus, non incredulis. Ambrosius (de fide ad Grat. I. III. c. 4.)
**) Ein ehemaliger Adjutant des russischen Generals Münnich sagte: "da ich sein Adjutant war, fühlte ich mich größer als nun, wo ich commandire."
Das Bewußtſein ſeines Vorzugs iſt das Bewußtſein die- ſer Perſon, das Gefühl ſeiner ſelbſt hat er in dieſer an- dern Perſönlichkeit *). Wie der Diener in der Würde ſeines Herrn ſich ſelbſt fühlt, ja ſich mehr zu ſein dünkt, als ein freier ſelbſtſtändiger Mann von niedrigerem Stande als ſein Herr, ſo auch der Gläubige **). Er ſpricht ſich alle Ver- dienſte ab, um blos ſeinem Herrn die Ehre des Verdienſtes zu laſſen, aber nur weil dieſes Verdienſt ihm ſelbſt zu gute kommt, weil er in der Ehre des Herrn ſein eignes Ehrge- fühl befriedigt. Der Glaube iſt hochmüthig, aber er unter- ſcheidet ſich von dem natürlichen Hochmuth dadurch, daß er das Gefühl ſeines Vorzugs, ſeinen Stolz in eine andere Perſon überträgt, die ihn bevorzugt, eine andere Perſon, die aber ſein eignes geborgnes Selbſt, ſein perſonificirter und befriedigter Glückſeligkeitstrieb iſt, denn dieſe Perſönlich- keit hat keine andern Beſtimmungen, als die, daß ſie der Wohlthäter, der Erlöſer, der Heiland iſt, alſo Beſtimmungen, in denen der Gläubige ſich nur auf ſich, auf ſein eignes ewiges Heil bezieht. Kurz, wir haben hier das charakteri- ſtiſche Princip der Religion, daß ſie das natürliche Activum in ein Passivum verwandelt. Der Heide erhebt ſich, der Chriſt fühlt ſich erhoben. Der Chriſt verwandelt in eine Sache des Gefühls, der Receptivität, was dem Heiden eine Sache der Spontaneität iſt. Die Demuth des Gläubigen iſt ein umge-
*)Puer natus est nobis: non judaeis; nobis non manichaeis, nobis non marcionitis. Propheta dicit: Nobis h. e. credentibus, non incredulis. Ambrosius (de fide ad Grat. I. III. c. 4.)
**) Ein ehemaliger Adjutant des ruſſiſchen Generals Münnich ſagte: „da ich ſein Adjutant war, fühlte ich mich größer als nun, wo ich commandire.“
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0358"n="340"/>
Das Bewußtſein <hirendition="#g">ſeines Vorzugs</hi> iſt das Bewußtſein <hirendition="#g">die-<lb/>ſer Perſon</hi>, das Gefühl <hirendition="#g">ſeiner ſelbſt</hi> hat er in dieſer an-<lb/>
dern Perſönlichkeit <noteplace="foot"n="*)"><hirendition="#aq">Puer natus est <hirendition="#g">nobis</hi>: non judaeis; <hirendition="#g">nobis</hi> non manichaeis,<lb/><hirendition="#g">nobis</hi> non marcionitis. Propheta dicit: Nobis h. e. credentibus, non<lb/>
incredulis. <hirendition="#g">Ambrosius</hi> (de fide ad Grat. I. III. c. 4.)</hi></note>. Wie der Diener in der Würde ſeines<lb/>
Herrn ſich ſelbſt fühlt, ja ſich mehr zu ſein dünkt, als ein<lb/>
freier ſelbſtſtändiger Mann von niedrigerem Stande als ſein<lb/>
Herr, ſo auch der Gläubige <noteplace="foot"n="**)">Ein ehemaliger Adjutant des ruſſiſchen Generals Münnich<lb/>ſagte: „da ich <hirendition="#g">ſein Adjutant war, fühlte ich mich größer als<lb/>
nun, wo ich commandire</hi>.“</note>. Er ſpricht ſich alle Ver-<lb/>
dienſte ab, um blos ſeinem Herrn die Ehre des Verdienſtes<lb/>
zu laſſen, aber nur weil dieſes Verdienſt ihm ſelbſt zu gute<lb/>
kommt, weil er in der <hirendition="#g">Ehre</hi> des Herrn <hirendition="#g">ſein eignes Ehrge-<lb/>
fühl</hi> befriedigt. Der Glaube iſt hochmüthig, aber er unter-<lb/>ſcheidet ſich von dem natürlichen Hochmuth dadurch, daß er<lb/>
das Gefühl ſeines Vorzugs, ſeinen Stolz in eine <hirendition="#g">andere<lb/>
Perſon</hi> überträgt, die ihn bevorzugt, eine andere Perſon,<lb/>
die aber ſein eignes <hirendition="#g">geborgnes</hi> Selbſt, ſein perſonificirter<lb/>
und befriedigter Glückſeligkeitstrieb iſt, denn dieſe Perſönlich-<lb/>
keit hat keine andern Beſtimmungen, als die, daß ſie der<lb/>
Wohlthäter, der Erlöſer, der Heiland iſt, alſo Beſtimmungen,<lb/>
in denen der Gläubige ſich nur <hirendition="#g">auf ſich</hi>, auf <hirendition="#g">ſein eignes<lb/>
ewiges Heil</hi> bezieht. Kurz, wir haben hier das charakteri-<lb/>ſtiſche Princip der Religion, daß ſie das natürliche <hirendition="#aq">Activum</hi><lb/>
in ein <hirendition="#aq">Passivum</hi> verwandelt. Der Heide erhebt ſich, der Chriſt<lb/>
fühlt ſich erhoben. Der Chriſt verwandelt in eine Sache des<lb/>
Gefühls, der Receptivität, was dem Heiden eine Sache der<lb/>
Spontaneität iſt. Die Demuth des Gläubigen iſt ein umge-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[340/0358]
Das Bewußtſein ſeines Vorzugs iſt das Bewußtſein die-
ſer Perſon, das Gefühl ſeiner ſelbſt hat er in dieſer an-
dern Perſönlichkeit *). Wie der Diener in der Würde ſeines
Herrn ſich ſelbſt fühlt, ja ſich mehr zu ſein dünkt, als ein
freier ſelbſtſtändiger Mann von niedrigerem Stande als ſein
Herr, ſo auch der Gläubige **). Er ſpricht ſich alle Ver-
dienſte ab, um blos ſeinem Herrn die Ehre des Verdienſtes
zu laſſen, aber nur weil dieſes Verdienſt ihm ſelbſt zu gute
kommt, weil er in der Ehre des Herrn ſein eignes Ehrge-
fühl befriedigt. Der Glaube iſt hochmüthig, aber er unter-
ſcheidet ſich von dem natürlichen Hochmuth dadurch, daß er
das Gefühl ſeines Vorzugs, ſeinen Stolz in eine andere
Perſon überträgt, die ihn bevorzugt, eine andere Perſon,
die aber ſein eignes geborgnes Selbſt, ſein perſonificirter
und befriedigter Glückſeligkeitstrieb iſt, denn dieſe Perſönlich-
keit hat keine andern Beſtimmungen, als die, daß ſie der
Wohlthäter, der Erlöſer, der Heiland iſt, alſo Beſtimmungen,
in denen der Gläubige ſich nur auf ſich, auf ſein eignes
ewiges Heil bezieht. Kurz, wir haben hier das charakteri-
ſtiſche Princip der Religion, daß ſie das natürliche Activum
in ein Passivum verwandelt. Der Heide erhebt ſich, der Chriſt
fühlt ſich erhoben. Der Chriſt verwandelt in eine Sache des
Gefühls, der Receptivität, was dem Heiden eine Sache der
Spontaneität iſt. Die Demuth des Gläubigen iſt ein umge-
*) Puer natus est nobis: non judaeis; nobis non manichaeis,
nobis non marcionitis. Propheta dicit: Nobis h. e. credentibus, non
incredulis. Ambrosius (de fide ad Grat. I. III. c. 4.)
**) Ein ehemaliger Adjutant des ruſſiſchen Generals Münnich
ſagte: „da ich ſein Adjutant war, fühlte ich mich größer als
nun, wo ich commandire.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/358>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.