Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Gott das unwillkührliche, unerklärliche Gute. Beide haben
dieselbe Quelle -- nur die Qualität ist verschieden oder ent-
gegengesetzt. Deßhalb hing auch fast bis auf die neueste Zeit
der Glaube an den Teufel aufs innigste zusammen mit dem
Glauben an Gott, so daß die Läugnung des Teufels eben so
gut für Atheismus galt, als die Läugnung Gottes. Nicht
ohne Grund; wenn man einmal anfängt, die Erscheinungen
des Bösen, Ueblen aus natürlichen Ursachen abzuleiten, so
fängt man auch gleichzeitig an, die Erscheinungen des Guten,
des Göttlichen aus der Natur der Dinge, nicht aus einem
übernatürlichen Wesen abzuleiten und kommt endlich dahin,
entweder Gott ganz aufzuheben, oder wenigstens einen andern
als den Gott der Religion zu glauben, oder, was das Ge-
wöhnlichste ist, die Gottheit zu einem müßigen, thatlosen We-
sen zu machen, dessen Sein gleich Nichtsein ist, indem es nicht
mehr wirkend in das Leben eingreift, nur an die Spitze der
Welt, an den Anfang als die erste Ursache, die prima causa
hingestellt wird. Gott hat die Welt erschaffen -- dieß ist das
Einzige, was hier von Gott noch übrig bleibt. Das Per-
fectum
ist hier nothwendig; denn seitdem läuft die Welt wie
eine Maschine ihren Gang fort. Der Zusatz: er schafft immer,
er schafft noch heute, ist nur der Zusatz einer äußerlichen Re-
flexion; das Perfectum drückt hier adäquat den religiösen
Sinn aus; denn der Geist der Religion ist ein vergange-
ner, wo die Wirkung Gottes zu einem Fecit oder Creavit
gemacht wird. Anders; wenn das wirklich religiöse Be-
wußtsein sagt: das Fecit ist heute noch ein Facit; hier hat
dieß, obwohl auch ein Product der Reflexion, doch einen
gesetzmäßigen Sinn, weil hier Gott überhaupt handelnd ge-
dacht wird.

Gott das unwillkührliche, unerklärliche Gute. Beide haben
dieſelbe Quelle — nur die Qualität iſt verſchieden oder ent-
gegengeſetzt. Deßhalb hing auch faſt bis auf die neueſte Zeit
der Glaube an den Teufel aufs innigſte zuſammen mit dem
Glauben an Gott, ſo daß die Läugnung des Teufels eben ſo
gut für Atheismus galt, als die Läugnung Gottes. Nicht
ohne Grund; wenn man einmal anfängt, die Erſcheinungen
des Böſen, Ueblen aus natürlichen Urſachen abzuleiten, ſo
fängt man auch gleichzeitig an, die Erſcheinungen des Guten,
des Göttlichen aus der Natur der Dinge, nicht aus einem
übernatürlichen Weſen abzuleiten und kommt endlich dahin,
entweder Gott ganz aufzuheben, oder wenigſtens einen andern
als den Gott der Religion zu glauben, oder, was das Ge-
wöhnlichſte iſt, die Gottheit zu einem müßigen, thatloſen We-
ſen zu machen, deſſen Sein gleich Nichtſein iſt, indem es nicht
mehr wirkend in das Leben eingreift, nur an die Spitze der
Welt, an den Anfang als die erſte Urſache, die prima causa
hingeſtellt wird. Gott hat die Welt erſchaffen — dieß iſt das
Einzige, was hier von Gott noch übrig bleibt. Das Per-
fectum
iſt hier nothwendig; denn ſeitdem läuft die Welt wie
eine Maſchine ihren Gang fort. Der Zuſatz: er ſchafft immer,
er ſchafft noch heute, iſt nur der Zuſatz einer äußerlichen Re-
flexion; das Perfectum drückt hier adäquat den religiöſen
Sinn aus; denn der Geiſt der Religion iſt ein vergange-
ner, wo die Wirkung Gottes zu einem Fecit oder Creavit
gemacht wird. Anders; wenn das wirklich religiöſe Be-
wußtſein ſagt: das Fecit iſt heute noch ein Facit; hier hat
dieß, obwohl auch ein Product der Reflexion, doch einen
geſetzmäßigen Sinn, weil hier Gott überhaupt handelnd ge-
dacht wird.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0272" n="254"/>
Gott das unwillkührliche, unerklärliche Gute. Beide haben<lb/>
die&#x017F;elbe Quelle &#x2014; nur die Qualität i&#x017F;t ver&#x017F;chieden oder ent-<lb/>
gegenge&#x017F;etzt. Deßhalb hing auch fa&#x017F;t bis auf die neue&#x017F;te Zeit<lb/>
der Glaube an den Teufel aufs innig&#x017F;te zu&#x017F;ammen mit dem<lb/>
Glauben an Gott, &#x017F;o daß die Läugnung des Teufels eben &#x017F;o<lb/>
gut für Atheismus galt, als die Läugnung Gottes. Nicht<lb/>
ohne Grund; wenn man einmal anfängt, die Er&#x017F;cheinungen<lb/>
des Bö&#x017F;en, Ueblen aus natürlichen Ur&#x017F;achen abzuleiten, &#x017F;o<lb/>
fängt man auch gleichzeitig an, die Er&#x017F;cheinungen des Guten,<lb/>
des Göttlichen aus der Natur der Dinge, nicht aus einem<lb/>
übernatürlichen We&#x017F;en abzuleiten und kommt endlich dahin,<lb/>
entweder Gott ganz aufzuheben, oder wenig&#x017F;tens einen andern<lb/>
als den Gott der Religion zu glauben, oder, was das Ge-<lb/>
wöhnlich&#x017F;te i&#x017F;t, die Gottheit zu einem müßigen, thatlo&#x017F;en We-<lb/>
&#x017F;en zu machen, de&#x017F;&#x017F;en Sein gleich Nicht&#x017F;ein i&#x017F;t, indem es nicht<lb/>
mehr wirkend in das Leben eingreift, nur an die Spitze der<lb/>
Welt, an den Anfang als die er&#x017F;te Ur&#x017F;ache, die <hi rendition="#aq">prima causa</hi><lb/>
hinge&#x017F;tellt wird. Gott <hi rendition="#g">hat</hi> die Welt er&#x017F;chaffen &#x2014; dieß i&#x017F;t das<lb/>
Einzige, was hier von Gott noch übrig bleibt. Das <hi rendition="#aq">Per-<lb/>
fectum</hi> i&#x017F;t hier nothwendig; denn &#x017F;eitdem läuft die Welt wie<lb/>
eine Ma&#x017F;chine ihren Gang fort. Der Zu&#x017F;atz: er &#x017F;chafft immer,<lb/>
er &#x017F;chafft noch heute, i&#x017F;t nur der Zu&#x017F;atz einer äußerlichen Re-<lb/>
flexion; das <hi rendition="#aq">Perfectum</hi> drückt hier adäquat den religiö&#x017F;en<lb/>
Sinn aus; denn der Gei&#x017F;t der Religion i&#x017F;t ein vergange-<lb/>
ner, wo die Wirkung Gottes zu einem <hi rendition="#aq">Fecit</hi> oder <hi rendition="#aq">Creavit</hi><lb/>
gemacht wird. Anders; wenn das wirklich religiö&#x017F;e Be-<lb/>
wußt&#x017F;ein &#x017F;agt: das <hi rendition="#aq">Fecit</hi> i&#x017F;t heute noch ein <hi rendition="#aq">Facit</hi>; hier hat<lb/>
dieß, obwohl auch ein Product der Reflexion, doch einen<lb/>
ge&#x017F;etzmäßigen Sinn, weil hier Gott überhaupt handelnd ge-<lb/>
dacht wird.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[254/0272] Gott das unwillkührliche, unerklärliche Gute. Beide haben dieſelbe Quelle — nur die Qualität iſt verſchieden oder ent- gegengeſetzt. Deßhalb hing auch faſt bis auf die neueſte Zeit der Glaube an den Teufel aufs innigſte zuſammen mit dem Glauben an Gott, ſo daß die Läugnung des Teufels eben ſo gut für Atheismus galt, als die Läugnung Gottes. Nicht ohne Grund; wenn man einmal anfängt, die Erſcheinungen des Böſen, Ueblen aus natürlichen Urſachen abzuleiten, ſo fängt man auch gleichzeitig an, die Erſcheinungen des Guten, des Göttlichen aus der Natur der Dinge, nicht aus einem übernatürlichen Weſen abzuleiten und kommt endlich dahin, entweder Gott ganz aufzuheben, oder wenigſtens einen andern als den Gott der Religion zu glauben, oder, was das Ge- wöhnlichſte iſt, die Gottheit zu einem müßigen, thatloſen We- ſen zu machen, deſſen Sein gleich Nichtſein iſt, indem es nicht mehr wirkend in das Leben eingreift, nur an die Spitze der Welt, an den Anfang als die erſte Urſache, die prima causa hingeſtellt wird. Gott hat die Welt erſchaffen — dieß iſt das Einzige, was hier von Gott noch übrig bleibt. Das Per- fectum iſt hier nothwendig; denn ſeitdem läuft die Welt wie eine Maſchine ihren Gang fort. Der Zuſatz: er ſchafft immer, er ſchafft noch heute, iſt nur der Zuſatz einer äußerlichen Re- flexion; das Perfectum drückt hier adäquat den religiöſen Sinn aus; denn der Geiſt der Religion iſt ein vergange- ner, wo die Wirkung Gottes zu einem Fecit oder Creavit gemacht wird. Anders; wenn das wirklich religiöſe Be- wußtſein ſagt: das Fecit iſt heute noch ein Facit; hier hat dieß, obwohl auch ein Product der Reflexion, doch einen geſetzmäßigen Sinn, weil hier Gott überhaupt handelnd ge- dacht wird.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/272
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/272>, abgerufen am 11.05.2024.