Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

ist die mystificirte Macht des Zufalls. Hier haben wir wieder
die Bestätigung von dem, was wir als das wesentliche Gesetz
der Religion erkannten. Die Religion negirt, verwirft den
Zufall, Alles von Gott abhängig machend, Alles aus ihm
erklärend; aber sie negirt ihn nur scheinbar; sie versetzt ihn
nur in die göttliche Willkühr. Denn der göttliche Wille,
welcher aus unbegreiflichen Gründen, d. h. offen und
ehrlich herausgesagt, aus grundloser absoluter Willkühr,
gleichsam aus göttlicher Laune, die Einen zum Bösen, zum Un-
glück, die Andern zum Guten, zur Seligkeit bestimmt, prädestinirt,
hat kein einziges positives Merkmal für sich, welches ihn von
der Macht "Seiner Majestät des Zufalls" unterschiede. Das
Geheimniß der Gnadenwahl ist also das Geheimniß, oder die
Mystik des Zufalls. Ich sage die Mystik des Zufalls; denn
in der That ist der Zufall ein Mysterium, obwohl überhudelt
und ignorirt von unserer speculativen Religions-Philosophie,
welche über den illusorischen Mysterien des absoluten We-
sens, d. h. der Theologie die wahren Mysterien des Den-
kens und Lebens, so auch über dem Mysterium der göttlichen
Gnade oder Wahlfreiheit das profane Mysterium des Zufalls
vergessen hat *).

Doch wieder zurück zu unserem Gegenstande. Der Teufel
ist das Negative, das Böse, das aus dem Wesen, nicht dem
Willen kommt, Gott das Positive, das Gute, welches aus
dem Wesen, nicht dem bewußten Willen kommt -- der Teufel
das unwillkührliche, unerklärliche Böse, Schlimme, Ueble,

*) Man wird diese Enthüllung des Mysteriums der Gnadenwahl
zweifelsohne verrucht, gottlos, teuflisch nennen. Ich habe nichts dage-
gen: ich bin lieber ein Teufel im Bunde mit der Wahrheit,
als ein Engel im Bunde mit der Lüge.

iſt die myſtificirte Macht des Zufalls. Hier haben wir wieder
die Beſtätigung von dem, was wir als das weſentliche Geſetz
der Religion erkannten. Die Religion negirt, verwirft den
Zufall, Alles von Gott abhängig machend, Alles aus ihm
erklärend; aber ſie negirt ihn nur ſcheinbar; ſie verſetzt ihn
nur in die göttliche Willkühr. Denn der göttliche Wille,
welcher aus unbegreiflichen Gründen, d. h. offen und
ehrlich herausgeſagt, aus grundloſer abſoluter Willkühr,
gleichſam aus göttlicher Laune, die Einen zum Böſen, zum Un-
glück, die Andern zum Guten, zur Seligkeit beſtimmt, prädeſtinirt,
hat kein einziges poſitives Merkmal für ſich, welches ihn von
der Macht „Seiner Majeſtät des Zufalls“ unterſchiede. Das
Geheimniß der Gnadenwahl iſt alſo das Geheimniß, oder die
Myſtik des Zufalls. Ich ſage die Myſtik des Zufalls; denn
in der That iſt der Zufall ein Myſterium, obwohl überhudelt
und ignorirt von unſerer ſpeculativen Religions-Philoſophie,
welche über den illuſoriſchen Myſterien des abſoluten We-
ſens, d. h. der Theologie die wahren Myſterien des Den-
kens und Lebens, ſo auch über dem Myſterium der göttlichen
Gnade oder Wahlfreiheit das profane Myſterium des Zufalls
vergeſſen hat *).

Doch wieder zurück zu unſerem Gegenſtande. Der Teufel
iſt das Negative, das Böſe, das aus dem Weſen, nicht dem
Willen kommt, Gott das Poſitive, das Gute, welches aus
dem Weſen, nicht dem bewußten Willen kommt — der Teufel
das unwillkührliche, unerklärliche Böſe, Schlimme, Ueble,

*) Man wird dieſe Enthüllung des Myſteriums der Gnadenwahl
zweifelsohne verrucht, gottlos, teufliſch nennen. Ich habe nichts dage-
gen: ich bin lieber ein Teufel im Bunde mit der Wahrheit,
als ein Engel im Bunde mit der Lüge.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0271" n="253"/>
i&#x017F;t die my&#x017F;tificirte Macht des Zufalls. Hier haben wir wieder<lb/>
die Be&#x017F;tätigung von dem, was wir als das we&#x017F;entliche <hi rendition="#g">Ge&#x017F;etz</hi><lb/>
der Religion erkannten. Die Religion negirt, verwirft den<lb/>
Zufall, Alles von Gott abhängig machend, Alles aus ihm<lb/>
erklärend; aber &#x017F;ie negirt ihn nur <hi rendition="#g">&#x017F;cheinbar</hi>; &#x017F;ie ver&#x017F;etzt ihn<lb/>
nur in die <hi rendition="#g">göttliche Willkühr</hi>. Denn der göttliche Wille,<lb/>
welcher aus <hi rendition="#g">unbegreiflichen Gründen</hi>, d. h. offen und<lb/>
ehrlich herausge&#x017F;agt, aus <hi rendition="#g">grundlo&#x017F;er ab&#x017F;oluter Willkühr</hi>,<lb/>
gleich&#x017F;am aus göttlicher Laune, die Einen zum Bö&#x017F;en, zum Un-<lb/>
glück, die Andern zum Guten, zur Seligkeit be&#x017F;timmt, präde&#x017F;tinirt,<lb/>
hat kein einziges po&#x017F;itives Merkmal für &#x017F;ich, welches ihn von<lb/>
der Macht &#x201E;Seiner Maje&#x017F;tät des Zufalls&#x201C; unter&#x017F;chiede. Das<lb/>
Geheimniß der Gnadenwahl i&#x017F;t al&#x017F;o das Geheimniß, oder die<lb/><hi rendition="#g">My&#x017F;tik des Zufalls</hi>. Ich &#x017F;age die My&#x017F;tik des Zufalls; denn<lb/>
in der That i&#x017F;t der Zufall ein My&#x017F;terium, obwohl überhudelt<lb/>
und ignorirt von un&#x017F;erer &#x017F;peculativen Religions-Philo&#x017F;ophie,<lb/>
welche über den <hi rendition="#g">illu&#x017F;ori&#x017F;chen My&#x017F;terien</hi> des ab&#x017F;oluten We-<lb/>
&#x017F;ens, d. h. der Theologie die <hi rendition="#g">wahren My&#x017F;terien</hi> des Den-<lb/>
kens und Lebens, &#x017F;o auch über dem My&#x017F;terium der göttlichen<lb/>
Gnade oder Wahlfreiheit das profane My&#x017F;terium des Zufalls<lb/>
verge&#x017F;&#x017F;en hat <note place="foot" n="*)">Man wird die&#x017F;e Enthüllung des My&#x017F;teriums der Gnadenwahl<lb/>
zweifelsohne verrucht, gottlos, teufli&#x017F;ch nennen. Ich habe nichts dage-<lb/>
gen: <hi rendition="#g">ich bin lieber ein Teufel im Bunde mit der Wahrheit,<lb/>
als ein Engel im Bunde mit der Lüge.</hi></note>.</p><lb/>
          <p>Doch wieder zurück zu un&#x017F;erem Gegen&#x017F;tande. Der Teufel<lb/>
i&#x017F;t das Negative, das Bö&#x017F;e, das aus dem We&#x017F;en, nicht dem<lb/>
Willen kommt, Gott das Po&#x017F;itive, das Gute, welches aus<lb/>
dem We&#x017F;en, nicht dem bewußten Willen kommt &#x2014; der Teufel<lb/>
das unwillkührliche, unerklärliche Bö&#x017F;e, Schlimme, Ueble,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[253/0271] iſt die myſtificirte Macht des Zufalls. Hier haben wir wieder die Beſtätigung von dem, was wir als das weſentliche Geſetz der Religion erkannten. Die Religion negirt, verwirft den Zufall, Alles von Gott abhängig machend, Alles aus ihm erklärend; aber ſie negirt ihn nur ſcheinbar; ſie verſetzt ihn nur in die göttliche Willkühr. Denn der göttliche Wille, welcher aus unbegreiflichen Gründen, d. h. offen und ehrlich herausgeſagt, aus grundloſer abſoluter Willkühr, gleichſam aus göttlicher Laune, die Einen zum Böſen, zum Un- glück, die Andern zum Guten, zur Seligkeit beſtimmt, prädeſtinirt, hat kein einziges poſitives Merkmal für ſich, welches ihn von der Macht „Seiner Majeſtät des Zufalls“ unterſchiede. Das Geheimniß der Gnadenwahl iſt alſo das Geheimniß, oder die Myſtik des Zufalls. Ich ſage die Myſtik des Zufalls; denn in der That iſt der Zufall ein Myſterium, obwohl überhudelt und ignorirt von unſerer ſpeculativen Religions-Philoſophie, welche über den illuſoriſchen Myſterien des abſoluten We- ſens, d. h. der Theologie die wahren Myſterien des Den- kens und Lebens, ſo auch über dem Myſterium der göttlichen Gnade oder Wahlfreiheit das profane Myſterium des Zufalls vergeſſen hat *). Doch wieder zurück zu unſerem Gegenſtande. Der Teufel iſt das Negative, das Böſe, das aus dem Weſen, nicht dem Willen kommt, Gott das Poſitive, das Gute, welches aus dem Weſen, nicht dem bewußten Willen kommt — der Teufel das unwillkührliche, unerklärliche Böſe, Schlimme, Ueble, *) Man wird dieſe Enthüllung des Myſteriums der Gnadenwahl zweifelsohne verrucht, gottlos, teufliſch nennen. Ich habe nichts dage- gen: ich bin lieber ein Teufel im Bunde mit der Wahrheit, als ein Engel im Bunde mit der Lüge.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/271
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/271>, abgerufen am 28.11.2024.