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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Existenz; wenn außerdem der Mensch in der Religion sein
Sein vom Sein Gottes abhängig macht, so macht er hier die
Realität Gottes von seiner eignen Realität abhängig; was
ihm sonst die primitive, unmittelbare Wahrheit, das ist ihm
daher hier eine abgeleitete, secundäre Wahrheit: wenn ich
nicht ewig bin, so ist Gott nicht Gott
, wenn keine
Unsterblichkeit
, so ist kein Gott. Und diesen Schluß hat
schon der Apostel gemacht. Wenn wir nicht auferstehen, so ist
Christus nicht auferstanden und Alles ist Nichts. Edite,
bibite
. Allerdings kann man das scheinbar oder wirklich
Anstößige, was in der populären Argumentation liegt, beseiti-
gen, indem man die Schlußform vermeidet, aber nur dadurch,
daß man die Unsterblichkeit zu einer analytischen Wahr-
heit
macht, so daß eben der Begriff Gottes, als der abso-
luten Persönlichkeit oder Subjectivität, per se schon der
Begriff der Unsterblichkeit
ist. Gott ist die Bürgschaft
meiner zukünftigen Existenz, weil er schon die Gewißheit und
Realität meiner gegenwärtigen Existenz, mein Heil, mein
Trost, mein Schirm vor den Gewalten der Außenwelt ist; ich
brauche also die Unsterblichkeit gar nicht expreß zu folgern,
nicht als eine aparte Wahrheit herauszustellen; habe ich
Gott, so habe ich Unsterblichkeit
. So war es bei
den tiefern christlichen Mystikern: ihnen ging der Begriff der
Unsterblichkeit in dem Begriff Gottes auf: Gott war ihnen
ihr unsterbliches Leben -- Gott selbst die subjective Seligkeit,
also das für sie, für ihr Bewußtsein, was er an sich
selbst
, d. i. im Wesen der Religion ist.

Somit ist bewiesen, daß Gott der Himmel ist, daß beide
identisch sind. Leichter wäre der umgekehrte Beweis gewesen,
nämlich, daß der Himmel der eigentliche Gott der Menschen

Exiſtenz; wenn außerdem der Menſch in der Religion ſein
Sein vom Sein Gottes abhängig macht, ſo macht er hier die
Realität Gottes von ſeiner eignen Realität abhängig; was
ihm ſonſt die primitive, unmittelbare Wahrheit, das iſt ihm
daher hier eine abgeleitete, ſecundäre Wahrheit: wenn ich
nicht ewig bin, ſo iſt Gott nicht Gott
, wenn keine
Unſterblichkeit
, ſo iſt kein Gott. Und dieſen Schluß hat
ſchon der Apoſtel gemacht. Wenn wir nicht auferſtehen, ſo iſt
Chriſtus nicht auferſtanden und Alles iſt Nichts. Edite,
bibite
. Allerdings kann man das ſcheinbar oder wirklich
Anſtößige, was in der populären Argumentation liegt, beſeiti-
gen, indem man die Schlußform vermeidet, aber nur dadurch,
daß man die Unſterblichkeit zu einer analytiſchen Wahr-
heit
macht, ſo daß eben der Begriff Gottes, als der abſo-
luten Perſönlichkeit oder Subjectivität, per se ſchon der
Begriff der Unſterblichkeit
iſt. Gott iſt die Bürgſchaft
meiner zukünftigen Exiſtenz, weil er ſchon die Gewißheit und
Realität meiner gegenwärtigen Exiſtenz, mein Heil, mein
Troſt, mein Schirm vor den Gewalten der Außenwelt iſt; ich
brauche alſo die Unſterblichkeit gar nicht expreß zu folgern,
nicht als eine aparte Wahrheit herauszuſtellen; habe ich
Gott, ſo habe ich Unſterblichkeit
. So war es bei
den tiefern chriſtlichen Myſtikern: ihnen ging der Begriff der
Unſterblichkeit in dem Begriff Gottes auf: Gott war ihnen
ihr unſterbliches Leben — Gott ſelbſt die ſubjective Seligkeit,
alſo das für ſie, für ihr Bewußtſein, was er an ſich
ſelbſt
, d. i. im Weſen der Religion iſt.

Somit iſt bewieſen, daß Gott der Himmel iſt, daß beide
identiſch ſind. Leichter wäre der umgekehrte Beweis geweſen,
nämlich, daß der Himmel der eigentliche Gott der Menſchen

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[232/0250] Exiſtenz; wenn außerdem der Menſch in der Religion ſein Sein vom Sein Gottes abhängig macht, ſo macht er hier die Realität Gottes von ſeiner eignen Realität abhängig; was ihm ſonſt die primitive, unmittelbare Wahrheit, das iſt ihm daher hier eine abgeleitete, ſecundäre Wahrheit: wenn ich nicht ewig bin, ſo iſt Gott nicht Gott, wenn keine Unſterblichkeit, ſo iſt kein Gott. Und dieſen Schluß hat ſchon der Apoſtel gemacht. Wenn wir nicht auferſtehen, ſo iſt Chriſtus nicht auferſtanden und Alles iſt Nichts. Edite, bibite. Allerdings kann man das ſcheinbar oder wirklich Anſtößige, was in der populären Argumentation liegt, beſeiti- gen, indem man die Schlußform vermeidet, aber nur dadurch, daß man die Unſterblichkeit zu einer analytiſchen Wahr- heit macht, ſo daß eben der Begriff Gottes, als der abſo- luten Perſönlichkeit oder Subjectivität, per se ſchon der Begriff der Unſterblichkeit iſt. Gott iſt die Bürgſchaft meiner zukünftigen Exiſtenz, weil er ſchon die Gewißheit und Realität meiner gegenwärtigen Exiſtenz, mein Heil, mein Troſt, mein Schirm vor den Gewalten der Außenwelt iſt; ich brauche alſo die Unſterblichkeit gar nicht expreß zu folgern, nicht als eine aparte Wahrheit herauszuſtellen; habe ich Gott, ſo habe ich Unſterblichkeit. So war es bei den tiefern chriſtlichen Myſtikern: ihnen ging der Begriff der Unſterblichkeit in dem Begriff Gottes auf: Gott war ihnen ihr unſterbliches Leben — Gott ſelbſt die ſubjective Seligkeit, alſo das für ſie, für ihr Bewußtſein, was er an ſich ſelbſt, d. i. im Weſen der Religion iſt. Somit iſt bewieſen, daß Gott der Himmel iſt, daß beide identiſch ſind. Leichter wäre der umgekehrte Beweis geweſen, nämlich, daß der Himmel der eigentliche Gott der Menſchen

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/250>, abgerufen am 27.04.2024.