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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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hat sie nur die Bedeutung einer subjectiven Phantasie,
weil sie nicht mit ihrer Grundanschauung zusammenhing.
Wie widersprechend äußern sich nicht z. B. die Stoiker über
diesen Gegenstand! Erst bei den Christen fand die persönliche
Unsterblichkeit das Princip, woraus sie sich mit Nothwendig-
keit als eine sich von selbst verstehende Wahrheit ergibt. Den
Alten kam die Anschauung der Welt, der Natur, der Gattung
stets in die Quere, sie unterschieden zwischen dem Lebensprin-
cip und dem lebenden Subject, zwischen der Seele, dem Geiste
und sich selbst; während der Christ den Unterschied zwischen
Seele und Person, Gattung und Individuum aufhob, unmit-
telbar in sich selbst daher setzte, was nur der Totalität der
Gattung angehört. Aber die unmittelbare Einheit der Gat-
tung
und Individualität ist eben das höchste Princip, der
Gott des Christenthums -- das Individuum hat in ihm
die Bedeutung des absoluten Wesens -- und die noth-
wendig immanente Folge dieses Princips eben die persönliche
Unsterblichkeit.

Oder vielmehr: der Glaube an die persönliche Un-
sterblichkeit
ist ganz identisch mit dem Glauben an den
persönlichen Gott -- d. h. dasselbe
, was der Glaube an
das himmlische, unsterbliche Leben der Person ausdrückt, das-
selbe drückt Gott aus, wie er den Christen Gegenstand war --
das Wesen der absoluten, uneingeschränkten Subjecti-
vität
. Die uneingeschränkte Subjectivität ist Gott, aber die
himmlische Subjectivität ist nichts andres als die uneinge-
schränkte, die von allen irdischen Beschwerden und Schranken
erledigte Subjectivität -- der Unterschied nur der, daß Gott
der geistige Himmel, der Himmel der sinnliche Gott ist, daß
in Gott nur in abstracto gesetzt wird, was im Himmel

hat ſie nur die Bedeutung einer ſubjectiven Phantaſie,
weil ſie nicht mit ihrer Grundanſchauung zuſammenhing.
Wie widerſprechend äußern ſich nicht z. B. die Stoiker über
dieſen Gegenſtand! Erſt bei den Chriſten fand die perſönliche
Unſterblichkeit das Princip, woraus ſie ſich mit Nothwendig-
keit als eine ſich von ſelbſt verſtehende Wahrheit ergibt. Den
Alten kam die Anſchauung der Welt, der Natur, der Gattung
ſtets in die Quere, ſie unterſchieden zwiſchen dem Lebensprin-
cip und dem lebenden Subject, zwiſchen der Seele, dem Geiſte
und ſich ſelbſt; während der Chriſt den Unterſchied zwiſchen
Seele und Perſon, Gattung und Individuum aufhob, unmit-
telbar in ſich ſelbſt daher ſetzte, was nur der Totalität der
Gattung angehört. Aber die unmittelbare Einheit der Gat-
tung
und Individualität iſt eben das höchſte Princip, der
Gott des Chriſtenthums — das Individuum hat in ihm
die Bedeutung des abſoluten Weſens — und die noth-
wendig immanente Folge dieſes Princips eben die perſönliche
Unſterblichkeit.

Oder vielmehr: der Glaube an die perſönliche Un-
ſterblichkeit
iſt ganz identiſch mit dem Glauben an den
perſönlichen Gott — d. h. daſſelbe
, was der Glaube an
das himmliſche, unſterbliche Leben der Perſon ausdrückt, daſ-
ſelbe drückt Gott aus, wie er den Chriſten Gegenſtand war —
das Weſen der abſoluten, uneingeſchränkten Subjecti-
vität
. Die uneingeſchränkte Subjectivität iſt Gott, aber die
himmliſche Subjectivität iſt nichts andres als die uneinge-
ſchränkte, die von allen irdiſchen Beſchwerden und Schranken
erledigte Subjectivität — der Unterſchied nur der, daß Gott
der geiſtige Himmel, der Himmel der ſinnliche Gott iſt, daß
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[228/0246] hat ſie nur die Bedeutung einer ſubjectiven Phantaſie, weil ſie nicht mit ihrer Grundanſchauung zuſammenhing. Wie widerſprechend äußern ſich nicht z. B. die Stoiker über dieſen Gegenſtand! Erſt bei den Chriſten fand die perſönliche Unſterblichkeit das Princip, woraus ſie ſich mit Nothwendig- keit als eine ſich von ſelbſt verſtehende Wahrheit ergibt. Den Alten kam die Anſchauung der Welt, der Natur, der Gattung ſtets in die Quere, ſie unterſchieden zwiſchen dem Lebensprin- cip und dem lebenden Subject, zwiſchen der Seele, dem Geiſte und ſich ſelbſt; während der Chriſt den Unterſchied zwiſchen Seele und Perſon, Gattung und Individuum aufhob, unmit- telbar in ſich ſelbſt daher ſetzte, was nur der Totalität der Gattung angehört. Aber die unmittelbare Einheit der Gat- tung und Individualität iſt eben das höchſte Princip, der Gott des Chriſtenthums — das Individuum hat in ihm die Bedeutung des abſoluten Weſens — und die noth- wendig immanente Folge dieſes Princips eben die perſönliche Unſterblichkeit. Oder vielmehr: der Glaube an die perſönliche Un- ſterblichkeit iſt ganz identiſch mit dem Glauben an den perſönlichen Gott — d. h. daſſelbe, was der Glaube an das himmliſche, unſterbliche Leben der Perſon ausdrückt, daſ- ſelbe drückt Gott aus, wie er den Chriſten Gegenſtand war — das Weſen der abſoluten, uneingeſchränkten Subjecti- vität. Die uneingeſchränkte Subjectivität iſt Gott, aber die himmliſche Subjectivität iſt nichts andres als die uneinge- ſchränkte, die von allen irdiſchen Beſchwerden und Schranken erledigte Subjectivität — der Unterſchied nur der, daß Gott der geiſtige Himmel, der Himmel der ſinnliche Gott iſt, daß in Gott nur in abstracto geſetzt wird, was im Himmel

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/246>, abgerufen am 27.04.2024.