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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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läugnen, in seinem Denken erniedrigen, was er durch die
That celebrirt, indem er mit Freuden demselben seine Kräfte
weiht? Was ich gering schätze, wie kann ich dem meine Zeit,
meine Kräfte weihen? Muß ich dennoch, so ist meine Thätig-
keit eine unglückliche, denn ich bin zerfallen mit mir selbst.
Arbeiten ist Dienen. Wie kann ich aber einem Gegenstand
dienen, mich ihm subjiciren, wenn er mir nicht im Geiste hoch
steht? Kurz, die Beschäftigungen bestimmen das Urtheil, die
Denkart, die Gesinnung des Menschen. Und je höher die
Art der Beschäftigung, desto mehr identificirt sich der
Mensch damit. Was überhaupt der Mensch zum wesentlichen
Zweck seines Lebens macht, das erklärt er für seine Seele;
denn es ist das Princip der Bewegung in ihm. Durch seine
Zwecke, durch die Thätigkeit, in welcher er diese Zwecke reali-
sirt, ist aber der Mensch zugleich, wie Etwas für sich, so
Etwas für Andere, für das Allgemeine, die Gattung. Wer
daher in dem Bewußtsein der Gattung als einer Realität
lebt, der hält sein Sein für Andere, sein öffentliches, gemein-
nütziges Sein für das Sein, welches eins ist mit dem Sein
seines Wesens, für sein unsterbliches Sein. Er lebt mit
ganzer Seele, mit ganzem Herzen für die Menschheit. Wie
könnte er eine besondere Existenz für sich noch im Rückhalt ha-
ben, wie sich von der Menschheit scheiden? Wie sollte er im
Tode verläugnen, was er im Leben bekräftigte? Aber sein
Glaube im Leben war: Nec sibi sed toti genitum se
credere mundo
.

Das himmlische Leben oder -- was wir hier nicht unter-
scheiden -- die persönliche Unsterblichkeit ist eine charakteri-
stische Lehre des Christenthums. Allerdings findet sie sich zum
Theil auch schon bei den heidnischen Philosophen, aber hier

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läugnen, in ſeinem Denken erniedrigen, was er durch die
That celebrirt, indem er mit Freuden demſelben ſeine Kräfte
weiht? Was ich gering ſchätze, wie kann ich dem meine Zeit,
meine Kräfte weihen? Muß ich dennoch, ſo iſt meine Thätig-
keit eine unglückliche, denn ich bin zerfallen mit mir ſelbſt.
Arbeiten iſt Dienen. Wie kann ich aber einem Gegenſtand
dienen, mich ihm ſubjiciren, wenn er mir nicht im Geiſte hoch
ſteht? Kurz, die Beſchäftigungen beſtimmen das Urtheil, die
Denkart, die Geſinnung des Menſchen. Und je höher die
Art der Beſchäftigung, deſto mehr identificirt ſich der
Menſch damit. Was überhaupt der Menſch zum weſentlichen
Zweck ſeines Lebens macht, das erklärt er für ſeine Seele;
denn es iſt das Princip der Bewegung in ihm. Durch ſeine
Zwecke, durch die Thätigkeit, in welcher er dieſe Zwecke reali-
ſirt, iſt aber der Menſch zugleich, wie Etwas für ſich, ſo
Etwas für Andere, für das Allgemeine, die Gattung. Wer
daher in dem Bewußtſein der Gattung als einer Realität
lebt, der hält ſein Sein für Andere, ſein öffentliches, gemein-
nütziges Sein für das Sein, welches eins iſt mit dem Sein
ſeines Weſens, für ſein unſterbliches Sein. Er lebt mit
ganzer Seele, mit ganzem Herzen für die Menſchheit. Wie
könnte er eine beſondere Exiſtenz für ſich noch im Rückhalt ha-
ben, wie ſich von der Menſchheit ſcheiden? Wie ſollte er im
Tode verläugnen, was er im Leben bekräftigte? Aber ſein
Glaube im Leben war: Nec sibi sed toti genitum se
credere mundo
.

Das himmliſche Leben oder — was wir hier nicht unter-
ſcheiden — die perſönliche Unſterblichkeit iſt eine charakteri-
ſtiſche Lehre des Chriſtenthums. Allerdings findet ſie ſich zum
Theil auch ſchon bei den heidniſchen Philoſophen, aber hier

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[227/0245] läugnen, in ſeinem Denken erniedrigen, was er durch die That celebrirt, indem er mit Freuden demſelben ſeine Kräfte weiht? Was ich gering ſchätze, wie kann ich dem meine Zeit, meine Kräfte weihen? Muß ich dennoch, ſo iſt meine Thätig- keit eine unglückliche, denn ich bin zerfallen mit mir ſelbſt. Arbeiten iſt Dienen. Wie kann ich aber einem Gegenſtand dienen, mich ihm ſubjiciren, wenn er mir nicht im Geiſte hoch ſteht? Kurz, die Beſchäftigungen beſtimmen das Urtheil, die Denkart, die Geſinnung des Menſchen. Und je höher die Art der Beſchäftigung, deſto mehr identificirt ſich der Menſch damit. Was überhaupt der Menſch zum weſentlichen Zweck ſeines Lebens macht, das erklärt er für ſeine Seele; denn es iſt das Princip der Bewegung in ihm. Durch ſeine Zwecke, durch die Thätigkeit, in welcher er dieſe Zwecke reali- ſirt, iſt aber der Menſch zugleich, wie Etwas für ſich, ſo Etwas für Andere, für das Allgemeine, die Gattung. Wer daher in dem Bewußtſein der Gattung als einer Realität lebt, der hält ſein Sein für Andere, ſein öffentliches, gemein- nütziges Sein für das Sein, welches eins iſt mit dem Sein ſeines Weſens, für ſein unſterbliches Sein. Er lebt mit ganzer Seele, mit ganzem Herzen für die Menſchheit. Wie könnte er eine beſondere Exiſtenz für ſich noch im Rückhalt ha- ben, wie ſich von der Menſchheit ſcheiden? Wie ſollte er im Tode verläugnen, was er im Leben bekräftigte? Aber ſein Glaube im Leben war: Nec sibi sed toti genitum se credere mundo. Das himmliſche Leben oder — was wir hier nicht unter- ſcheiden — die perſönliche Unſterblichkeit iſt eine charakteri- ſtiſche Lehre des Chriſtenthums. Allerdings findet ſie ſich zum Theil auch ſchon bei den heidniſchen Philoſophen, aber hier 15*

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/245>, abgerufen am 27.04.2024.