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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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mehr ein Object der Phantasie ist. Gott ist nur der im-
plicirte, involvirte Himmel
, der wirkliche Himmel der
explicirte Gott. Gegenwärtig ist Gott das Himmelreich,
in Zukunft der Himmel Gott. Gott ist die Bürgschaft, die,
aber noch abstracte, Präsenz und Existenz der Zukunft
-- der anticipirte compendiöse Himmel. Unser eignes
zukünftiges, aber von uns, wie wir gegenwärtig in dieser
Welt, in diesem Leibe existiren, unterschiednes, nur ideal gegen-
ständliches Wesen ist Gott -- Gott ist der Gattungsbegriff,
der sich dort erst realisiren, individualisiren wird. Gott ist die
himmlische, reine, freie Wesenheit, die dort als himmlische
reine Wesen existiren wird, die Seligkeit, die dort in einer
Fülle seliger Individuen sich entfaltet. Gott ist also nichts
andres als der Begriff oder das Wesen des absoluten, des
seligen, himmlischen Lebens, das aber hier selbst noch zusam-
mengefaßt wird in eine ideale Persönlichkeit. Deutlich genug
ist dieß ausgesprochen in dem Glauben, daß das selige Leben
die Einheit mit Gott ist. Hier sind wir unterschieden und
getrennt von Gott, dort fällt die Scheidewand; hier sind wir
Menschen, dort Götter; hier ist die Gottheit ein Monopol, dort
ein Gemeingut; hier eine abstracte Einheit, dort eine concrete
Vielheit*).

*) Bene dicitur, quod tunc plene videbimus eum sicuti est, cum
similes ei erimus, h. e. erimus quod ipse est. Quibus enim
potestas data est filios Dei fieri, data est potestas, non quidem ut
sint Deus, sed sint tamen quod Deus est: sint sancti, futuri plene
beati, quod Deus est
. Nec aliunde hic sancti, nec ibi futuri
beati, quam ex Deo qui eorum et sanctitas et beatitudo est,
De vita solitaria
(Unter den unächten Schriften des h. Bernhard).
Finis autem bonae voluntatis beatitudo est: vita aeterna ipse
Deus. Augustin
.
(bei Petrus Lomb. l. II. dist. 38. c. 1.)

mehr ein Object der Phantaſie iſt. Gott iſt nur der im-
plicirte, involvirte Himmel
, der wirkliche Himmel der
explicirte Gott. Gegenwärtig iſt Gott das Himmelreich,
in Zukunft der Himmel Gott. Gott iſt die Bürgſchaft, die,
aber noch abſtracte, Präſenz und Exiſtenz der Zukunft
— der anticipirte compendiöſe Himmel. Unſer eignes
zukünftiges, aber von uns, wie wir gegenwärtig in dieſer
Welt, in dieſem Leibe exiſtiren, unterſchiednes, nur ideal gegen-
ſtändliches Weſen iſt Gott — Gott iſt der Gattungsbegriff,
der ſich dort erſt realiſiren, individualiſiren wird. Gott iſt die
himmliſche, reine, freie Weſenheit, die dort als himmliſche
reine Weſen exiſtiren wird, die Seligkeit, die dort in einer
Fülle ſeliger Individuen ſich entfaltet. Gott iſt alſo nichts
andres als der Begriff oder das Weſen des abſoluten, des
ſeligen, himmliſchen Lebens, das aber hier ſelbſt noch zuſam-
mengefaßt wird in eine ideale Perſönlichkeit. Deutlich genug
iſt dieß ausgeſprochen in dem Glauben, daß das ſelige Leben
die Einheit mit Gott iſt. Hier ſind wir unterſchieden und
getrennt von Gott, dort fällt die Scheidewand; hier ſind wir
Menſchen, dort Götter; hier iſt die Gottheit ein Monopol, dort
ein Gemeingut; hier eine abſtracte Einheit, dort eine concrete
Vielheit*).

*) Bene dicitur, quod tunc plene videbimus eum sicuti est, cum
similes ei erimus, h. e. erimus quod ipse est. Quibus enim
potestas data est filios Dei fieri, data est potestas, non quidem ut
sint Deus, sed sint tamen quod Deus est: sint sancti, futuri plene
beati, quod Deus est
. Nec aliunde hic sancti, nec ibi futuri
beati, quam ex Deo qui eorum et sanctitas et beatitudo est,
De vita solitaria
(Unter den unächten Schriften des h. Bernhard).
Finis autem bonae voluntatis beatitudo est: vita aeterna ipse
Deus. Augustin
.
(bei Petrus Lomb. l. II. dist. 38. c. 1.)
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[229/0247] mehr ein Object der Phantaſie iſt. Gott iſt nur der im- plicirte, involvirte Himmel, der wirkliche Himmel der explicirte Gott. Gegenwärtig iſt Gott das Himmelreich, in Zukunft der Himmel Gott. Gott iſt die Bürgſchaft, die, aber noch abſtracte, Präſenz und Exiſtenz der Zukunft — der anticipirte compendiöſe Himmel. Unſer eignes zukünftiges, aber von uns, wie wir gegenwärtig in dieſer Welt, in dieſem Leibe exiſtiren, unterſchiednes, nur ideal gegen- ſtändliches Weſen iſt Gott — Gott iſt der Gattungsbegriff, der ſich dort erſt realiſiren, individualiſiren wird. Gott iſt die himmliſche, reine, freie Weſenheit, die dort als himmliſche reine Weſen exiſtiren wird, die Seligkeit, die dort in einer Fülle ſeliger Individuen ſich entfaltet. Gott iſt alſo nichts andres als der Begriff oder das Weſen des abſoluten, des ſeligen, himmliſchen Lebens, das aber hier ſelbſt noch zuſam- mengefaßt wird in eine ideale Perſönlichkeit. Deutlich genug iſt dieß ausgeſprochen in dem Glauben, daß das ſelige Leben die Einheit mit Gott iſt. Hier ſind wir unterſchieden und getrennt von Gott, dort fällt die Scheidewand; hier ſind wir Menſchen, dort Götter; hier iſt die Gottheit ein Monopol, dort ein Gemeingut; hier eine abſtracte Einheit, dort eine concrete Vielheit *). *) Bene dicitur, quod tunc plene videbimus eum sicuti est, cum similes ei erimus, h. e. erimus quod ipse est. Quibus enim potestas data est filios Dei fieri, data est potestas, non quidem ut sint Deus, sed sint tamen quod Deus est: sint sancti, futuri plene beati, quod Deus est. Nec aliunde hic sancti, nec ibi futuri beati, quam ex Deo qui eorum et sanctitas et beatitudo est, De vita solitaria (Unter den unächten Schriften des h. Bernhard). Finis autem bonae voluntatis beatitudo est: vita aeterna ipse Deus. Augustin. (bei Petrus Lomb. l. II. dist. 38. c. 1.)

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/247>, abgerufen am 28.04.2024.