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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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linge dieser Welt ansehen*)." Die Liebe zu Gott als einem
persönlichen Wesen ist also eine eigentliche, förmliche,
persönliche, ausschließliche Liebe
. Wie kann ich also
Gott, sage Gott, und zugleich ein sterbliches Weib lieben.
Setze ich dadurch nicht Gott auf gleichen Fuß mit dem Weib?
Nein! einer Seele, die Gott wahrhaft liebt, ist die Liebe
zum Weibe eine Unmöglichkeit -- ein Ehebruch. Wer ein
Weib hat, sagt der Apostel Paulus -- den man nicht unrich-
tig den eigentlichen Stifter des Christenthums genannt hat --
denket, was des Weibes ist, wer keines hat, denkt nur, was
des Herrn ist. Der Verheirathete denkt daran, daß er dem
Weibe gefalle, der Unverheirathete daran, daß er Gott gefalle.

Der wahre Christ hat, wie kein Bedürfniß der Bildung,
weil diese ein dem Gemüthe widerliches, weltliches Princip ist,
so auch kein Bedürfniß der (natürlichen) Liebe. Gott ersetzt
ihm den Mangel, das Bedürfniß der Bildung, Gott deßglei-
chen den Mangel, das Bedürfniß der Liebe, des Weibes, der
Familie. Der Christ identificirt unmittelbar mit dem Indivi-
duum die Gattung: er streift daher die Geschlechtsdifferenz
als einen lästigen, zufälligen Anhang von sich ab. Mann und
Weib zusammen machen erst den wirklichen Menschen aus, Mann
und Weib zusammen ist die Existenz der Gattung -- denn
ihre Verbindung ist die Quelle der Vielheit, die Quelle ande-

*) Thomas a Kempis de imit. (l. II. c. 7. c. 8. l. III. c. 5.
c. 34. c. 53. c. 59.) Felix illa conscientia et beata virginitas, in
cujus corde praeter amorem Christi .... nullus alius ver-
satur amor. Hieronymus
. (Demetriadi, virgini Deo conse-
cratae
.)
Aber freilich das ist wieder eine sehr abstracte Liebe, die
im Zeitalter der Versöhnung, wo Christus und Belial ein Herz und
eine Seele sind, nicht mehr schmeckt. O wie bitter ist die Wahrheit!

linge dieſer Welt anſehen*).“ Die Liebe zu Gott als einem
perſönlichen Weſen iſt alſo eine eigentliche, förmliche,
perſönliche, ausſchließliche Liebe
. Wie kann ich alſo
Gott, ſage Gott, und zugleich ein ſterbliches Weib lieben.
Setze ich dadurch nicht Gott auf gleichen Fuß mit dem Weib?
Nein! einer Seele, die Gott wahrhaft liebt, iſt die Liebe
zum Weibe eine Unmöglichkeit — ein Ehebruch. Wer ein
Weib hat, ſagt der Apoſtel Paulus — den man nicht unrich-
tig den eigentlichen Stifter des Chriſtenthums genannt hat —
denket, was des Weibes iſt, wer keines hat, denkt nur, was
des Herrn iſt. Der Verheirathete denkt daran, daß er dem
Weibe gefalle, der Unverheirathete daran, daß er Gott gefalle.

Der wahre Chriſt hat, wie kein Bedürfniß der Bildung,
weil dieſe ein dem Gemüthe widerliches, weltliches Princip iſt,
ſo auch kein Bedürfniß der (natürlichen) Liebe. Gott erſetzt
ihm den Mangel, das Bedürfniß der Bildung, Gott deßglei-
chen den Mangel, das Bedürfniß der Liebe, des Weibes, der
Familie. Der Chriſt identificirt unmittelbar mit dem Indivi-
duum die Gattung: er ſtreift daher die Geſchlechtsdifferenz
als einen läſtigen, zufälligen Anhang von ſich ab. Mann und
Weib zuſammen machen erſt den wirklichen Menſchen aus, Mann
und Weib zuſammen iſt die Exiſtenz der Gattung — denn
ihre Verbindung iſt die Quelle der Vielheit, die Quelle ande-

*) Thomas a Kempis de imit. (l. II. c. 7. c. 8. l. III. c. 5.
c. 34. c. 53. c. 59.) Felix illa conscientia et beata virginitas, in
cujus corde praeter amorem Christi .... nullus alius ver-
satur amor. Hieronymus
. (Demetriadi, virgini Deo conse-
cratae
.)
Aber freilich das iſt wieder eine ſehr abſtracte Liebe, die
im Zeitalter der Verſöhnung, wo Chriſtus und Belial ein Herz und
eine Seele ſind, nicht mehr ſchmeckt. O wie bitter iſt die Wahrheit!
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[222/0240] linge dieſer Welt anſehen *).“ Die Liebe zu Gott als einem perſönlichen Weſen iſt alſo eine eigentliche, förmliche, perſönliche, ausſchließliche Liebe. Wie kann ich alſo Gott, ſage Gott, und zugleich ein ſterbliches Weib lieben. Setze ich dadurch nicht Gott auf gleichen Fuß mit dem Weib? Nein! einer Seele, die Gott wahrhaft liebt, iſt die Liebe zum Weibe eine Unmöglichkeit — ein Ehebruch. Wer ein Weib hat, ſagt der Apoſtel Paulus — den man nicht unrich- tig den eigentlichen Stifter des Chriſtenthums genannt hat — denket, was des Weibes iſt, wer keines hat, denkt nur, was des Herrn iſt. Der Verheirathete denkt daran, daß er dem Weibe gefalle, der Unverheirathete daran, daß er Gott gefalle. Der wahre Chriſt hat, wie kein Bedürfniß der Bildung, weil dieſe ein dem Gemüthe widerliches, weltliches Princip iſt, ſo auch kein Bedürfniß der (natürlichen) Liebe. Gott erſetzt ihm den Mangel, das Bedürfniß der Bildung, Gott deßglei- chen den Mangel, das Bedürfniß der Liebe, des Weibes, der Familie. Der Chriſt identificirt unmittelbar mit dem Indivi- duum die Gattung: er ſtreift daher die Geſchlechtsdifferenz als einen läſtigen, zufälligen Anhang von ſich ab. Mann und Weib zuſammen machen erſt den wirklichen Menſchen aus, Mann und Weib zuſammen iſt die Exiſtenz der Gattung — denn ihre Verbindung iſt die Quelle der Vielheit, die Quelle ande- *) Thomas a Kempis de imit. (l. II. c. 7. c. 8. l. III. c. 5. c. 34. c. 53. c. 59.) Felix illa conscientia et beata virginitas, in cujus corde praeter amorem Christi .... nullus alius ver- satur amor. Hieronymus. (Demetriadi, virgini Deo conse- cratae.) Aber freilich das iſt wieder eine ſehr abſtracte Liebe, die im Zeitalter der Verſöhnung, wo Chriſtus und Belial ein Herz und eine Seele ſind, nicht mehr ſchmeckt. O wie bitter iſt die Wahrheit!

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/240>, abgerufen am 28.04.2024.