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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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rer Menschen. Der Mensch daher, der seine Mannheit nicht
negirt, der sich fühlt als Mann und dieses Gefühl als ein
natur- und gesetzmäßiges Gefühl anerkennt, der weiß und fühlt
sich als ein Theilwesen, welches eines andern Theilwesens
zur Hervorbringung des Ganzen, der wahren Menschheit,
bedarf. Der Christ dagegen erfaßt sich in seiner überschwäng-
lichen, transcendenten Subjectivität als ein für sich selbst
vollkommnes Wesen. Aber dieser Anschauung war der Ge-
schlechtstrieb entgegen; er stand mit seinem Ideal, seinem höch-
sten Wesen in Widerspruch; der Christ mußte daher diesen
Trieb negiren.

Wohl empfand auch der Christ das Bedürfniß der Ge-
schlechterliebe, aber nur als ein seiner himmlischen Bestimmung
widersprechendes, nur natürliches -- natürlich in dem gemei-
nen, verächtlichen Sinne, den dieses Wort im Christenthum
hat -- nicht als ein moralisches, inniges Bedürfniß, nicht als ein,
um mich so auszudrücken, metaphysisches, d. i. wesentliches Bedürf-
niß, welches der Mensch aber nur da empfinden kann, wo er die
Geschlechtsdifferenz nicht von sich absondert, sondern vielmehr zu
seinem innern Wesen rechnet. Heilig ist darum nicht die Ehe im
Christenthume -- wenigstens nur scheinbar, illusorisch --
denn das natürliche Princip der Ehe, die Geschlechterliebe
-- mag auch die bürgerliche Ehe unzählige Mal diesem Prin-
cip widersprechen -- ist im Christenthum ein unheiliges,
vom Himmel ausgeschlossenes. Was aber der Mensch
von seinem Himmel ausschließt, das schließt er von
seinem wahren Wesen aus*). Der Himmel ist sein Schatz-

*) Dieß läßt sich auch so ausdrücken: die Ehe hat im Christen-
thum nur eine moralische, aber keine religiöse Bedeutung, kein

rer Menſchen. Der Menſch daher, der ſeine Mannheit nicht
negirt, der ſich fühlt als Mann und dieſes Gefühl als ein
natur- und geſetzmäßiges Gefühl anerkennt, der weiß und fühlt
ſich als ein Theilweſen, welches eines andern Theilweſens
zur Hervorbringung des Ganzen, der wahren Menſchheit,
bedarf. Der Chriſt dagegen erfaßt ſich in ſeiner überſchwäng-
lichen, transcendenten Subjectivität als ein für ſich ſelbſt
vollkommnes Weſen. Aber dieſer Anſchauung war der Ge-
ſchlechtstrieb entgegen; er ſtand mit ſeinem Ideal, ſeinem höch-
ſten Weſen in Widerſpruch; der Chriſt mußte daher dieſen
Trieb negiren.

Wohl empfand auch der Chriſt das Bedürfniß der Ge-
ſchlechterliebe, aber nur als ein ſeiner himmliſchen Beſtimmung
widerſprechendes, nur natürliches — natürlich in dem gemei-
nen, verächtlichen Sinne, den dieſes Wort im Chriſtenthum
hat — nicht als ein moraliſches, inniges Bedürfniß, nicht als ein,
um mich ſo auszudrücken, metaphyſiſches, d. i. weſentliches Bedürf-
niß, welches der Menſch aber nur da empfinden kann, wo er die
Geſchlechtsdifferenz nicht von ſich abſondert, ſondern vielmehr zu
ſeinem innern Weſen rechnet. Heilig iſt darum nicht die Ehe im
Chriſtenthume — wenigſtens nur ſcheinbar, illuſoriſch
denn das natürliche Princip der Ehe, die Geſchlechterliebe
— mag auch die bürgerliche Ehe unzählige Mal dieſem Prin-
cip widerſprechen — iſt im Chriſtenthum ein unheiliges,
vom Himmel ausgeſchloſſenes. Was aber der Menſch
von ſeinem Himmel ausſchließt, das ſchließt er von
ſeinem wahren Weſen aus*). Der Himmel iſt ſein Schatz-

*) Dieß läßt ſich auch ſo ausdrücken: die Ehe hat im Chriſten-
thum nur eine moraliſche, aber keine religiöſe Bedeutung, kein
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[223/0241] rer Menſchen. Der Menſch daher, der ſeine Mannheit nicht negirt, der ſich fühlt als Mann und dieſes Gefühl als ein natur- und geſetzmäßiges Gefühl anerkennt, der weiß und fühlt ſich als ein Theilweſen, welches eines andern Theilweſens zur Hervorbringung des Ganzen, der wahren Menſchheit, bedarf. Der Chriſt dagegen erfaßt ſich in ſeiner überſchwäng- lichen, transcendenten Subjectivität als ein für ſich ſelbſt vollkommnes Weſen. Aber dieſer Anſchauung war der Ge- ſchlechtstrieb entgegen; er ſtand mit ſeinem Ideal, ſeinem höch- ſten Weſen in Widerſpruch; der Chriſt mußte daher dieſen Trieb negiren. Wohl empfand auch der Chriſt das Bedürfniß der Ge- ſchlechterliebe, aber nur als ein ſeiner himmliſchen Beſtimmung widerſprechendes, nur natürliches — natürlich in dem gemei- nen, verächtlichen Sinne, den dieſes Wort im Chriſtenthum hat — nicht als ein moraliſches, inniges Bedürfniß, nicht als ein, um mich ſo auszudrücken, metaphyſiſches, d. i. weſentliches Bedürf- niß, welches der Menſch aber nur da empfinden kann, wo er die Geſchlechtsdifferenz nicht von ſich abſondert, ſondern vielmehr zu ſeinem innern Weſen rechnet. Heilig iſt darum nicht die Ehe im Chriſtenthume — wenigſtens nur ſcheinbar, illuſoriſch — denn das natürliche Princip der Ehe, die Geſchlechterliebe — mag auch die bürgerliche Ehe unzählige Mal dieſem Prin- cip widerſprechen — iſt im Chriſtenthum ein unheiliges, vom Himmel ausgeſchloſſenes. Was aber der Menſch von ſeinem Himmel ausſchließt, das ſchließt er von ſeinem wahren Weſen aus *). Der Himmel iſt ſein Schatz- *) Dieß läßt ſich auch ſo ausdrücken: die Ehe hat im Chriſten- thum nur eine moraliſche, aber keine religiöſe Bedeutung, kein

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/241>, abgerufen am 28.04.2024.