Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

der Geschlechtsliebe als ein irdisches, weltliches aus-
geschlossen
. Aber das himmlische Leben ist das wahre, das
beständige, ewige Leben des Christen. Warum soll also ich,
der ich für den Himmel bestimmt bin, ein Band knüpfen, das
in meiner wahren Bestimmung aufgelöst ist? Warum soll ich,
der ich an sich, der Potenz nach ein himmlisches Wesen bin,
nicht hier schon diese Möglichkeit verwirklichen*)? Ja die Ehe
ist schon aus meinem Sinne, meinem Herzen verbannt,
indem sie aus dem Himmel, dem wesentlichen Gegenstand
meines Glaubens, Hoffens und Lebens verstoßen ist. Wie
kann in meinem vom Himmel erfüllten Herzen noch ein irdi-
sches Weib Platz haben? Wie kann ich mein Herz zwischen
Gott und dem Menschen theilen? Die Liebe des Christen zu
Gott ist nicht eine abstracte oder allgemeine Liebe, wie die Liebe
zur Wahrheit, zur Gerechtigkeit, zur Wissenschaft; sie ist die
Liebe zu einem subjectiven, persönlichen Gott, also selbst
eine subjective persönliche Liebe
. Ein wesentliches Attri-
but dieser Liebe ist es, daß sie eine ausschließliche, eifer-
süchtige
Liebe ist, denn ihr Gegenstand ist ein persönliches
und zugleich das höchste Wesen, dem kein andres gleich
kommt. "Halte Dich zu Jesus (aber Jesus Christus ist der
Gott des Christen) im Leben und im Tode; verlaß Dich auf
seine Treue: er allein kann Dir helfen, wenn Dich Alles ver-
läßt. Dein Geliebter hat die Eigenschaft, daß er keinen An-
dern neben sich dulden will: er allein will Dein Herz haben,
allein in Deiner Seele wie ein König auf seinem Throne herr-

*) Praesumendum est hos qui intra Paradisum recipi volunt,
tandem debere cessare ab ea re, a qua Paradisus intactus
est. Tertullian. de exhort. cast. c.
13.

der Geſchlechtsliebe als ein irdiſches, weltliches aus-
geſchloſſen
. Aber das himmliſche Leben iſt das wahre, das
beſtändige, ewige Leben des Chriſten. Warum ſoll alſo ich,
der ich für den Himmel beſtimmt bin, ein Band knüpfen, das
in meiner wahren Beſtimmung aufgelöſt iſt? Warum ſoll ich,
der ich an ſich, der Potenz nach ein himmliſches Weſen bin,
nicht hier ſchon dieſe Möglichkeit verwirklichen*)? Ja die Ehe
iſt ſchon aus meinem Sinne, meinem Herzen verbannt,
indem ſie aus dem Himmel, dem weſentlichen Gegenſtand
meines Glaubens, Hoffens und Lebens verſtoßen iſt. Wie
kann in meinem vom Himmel erfüllten Herzen noch ein irdi-
ſches Weib Platz haben? Wie kann ich mein Herz zwiſchen
Gott und dem Menſchen theilen? Die Liebe des Chriſten zu
Gott iſt nicht eine abſtracte oder allgemeine Liebe, wie die Liebe
zur Wahrheit, zur Gerechtigkeit, zur Wiſſenſchaft; ſie iſt die
Liebe zu einem ſubjectiven, perſönlichen Gott, alſo ſelbſt
eine ſubjective perſönliche Liebe
. Ein weſentliches Attri-
but dieſer Liebe iſt es, daß ſie eine ausſchließliche, eifer-
ſüchtige
Liebe iſt, denn ihr Gegenſtand iſt ein perſönliches
und zugleich das höchſte Weſen, dem kein andres gleich
kommt. „Halte Dich zu Jeſus (aber Jeſus Chriſtus iſt der
Gott des Chriſten) im Leben und im Tode; verlaß Dich auf
ſeine Treue: er allein kann Dir helfen, wenn Dich Alles ver-
läßt. Dein Geliebter hat die Eigenſchaft, daß er keinen An-
dern neben ſich dulden will: er allein will Dein Herz haben,
allein in Deiner Seele wie ein König auf ſeinem Throne herr-

*) Praesumendum est hos qui intra Paradisum recipi volunt,
tandem debere cessare ab ea re, a qua Paradisus intactus
est. Tertullian. de exhort. cast. c.
13.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0238" n="220"/>
der Ge&#x017F;chlechtsliebe</hi> als ein <hi rendition="#g">irdi&#x017F;ches, weltliches aus-<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en</hi>. Aber das himmli&#x017F;che Leben i&#x017F;t das <hi rendition="#g">wahre</hi>, das<lb/>
be&#x017F;tändige, ewige Leben des Chri&#x017F;ten. Warum &#x017F;oll al&#x017F;o ich,<lb/>
der ich für den Himmel be&#x017F;timmt bin, ein Band knüpfen, das<lb/>
in meiner wahren Be&#x017F;timmung aufgelö&#x017F;t i&#x017F;t? Warum &#x017F;oll ich,<lb/>
der ich an &#x017F;ich, der Potenz nach ein himmli&#x017F;ches We&#x017F;en bin,<lb/>
nicht hier &#x017F;chon die&#x017F;e Möglichkeit verwirklichen<note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq">Praesumendum est hos qui <hi rendition="#g">intra</hi> Paradisum recipi volunt,<lb/>
tandem debere <hi rendition="#g">cessare ab ea re, a qua Paradisus intactus</hi><lb/>
est. <hi rendition="#g">Tertullian. de exhort. cast</hi>. c.</hi> 13.</note>? Ja die Ehe<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;chon aus <hi rendition="#g">meinem Sinne, meinem Herzen verbannt</hi>,<lb/>
indem &#x017F;ie aus dem <hi rendition="#g">Himmel</hi>, dem we&#x017F;entlichen Gegen&#x017F;tand<lb/>
meines Glaubens, Hoffens und Lebens ver&#x017F;toßen i&#x017F;t. Wie<lb/>
kann in meinem vom Himmel erfüllten Herzen noch ein irdi-<lb/>
&#x017F;ches Weib Platz haben? Wie kann ich mein Herz zwi&#x017F;chen<lb/>
Gott und dem Men&#x017F;chen theilen? Die Liebe des Chri&#x017F;ten zu<lb/>
Gott i&#x017F;t nicht eine ab&#x017F;tracte oder allgemeine Liebe, wie die Liebe<lb/>
zur Wahrheit, zur Gerechtigkeit, zur Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft; &#x017F;ie i&#x017F;t die<lb/>
Liebe zu einem <hi rendition="#g">&#x017F;ubjectiven, per&#x017F;önlichen Gott</hi>, al&#x017F;o <hi rendition="#g">&#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
eine &#x017F;ubjective per&#x017F;önliche Liebe</hi>. Ein we&#x017F;entliches Attri-<lb/>
but die&#x017F;er Liebe i&#x017F;t es, daß &#x017F;ie eine <hi rendition="#g">aus&#x017F;chließliche, eifer-<lb/>
&#x017F;üchtige</hi> Liebe i&#x017F;t, denn ihr Gegen&#x017F;tand i&#x017F;t ein <hi rendition="#g">per&#x017F;önliches</hi><lb/>
und <hi rendition="#g">zugleich</hi> das <hi rendition="#g">höch&#x017F;te</hi> We&#x017F;en, dem <hi rendition="#g">kein andres gleich</hi><lb/>
kommt. &#x201E;Halte Dich zu Je&#x017F;us (aber Je&#x017F;us Chri&#x017F;tus i&#x017F;t der<lb/>
Gott des Chri&#x017F;ten) im Leben und im Tode; verlaß Dich auf<lb/>
&#x017F;eine Treue: er allein kann Dir helfen, wenn Dich Alles ver-<lb/>
läßt. Dein Geliebter hat die Eigen&#x017F;chaft, daß er keinen An-<lb/>
dern neben &#x017F;ich dulden will: <hi rendition="#g">er allein</hi> will Dein Herz haben,<lb/>
allein in Deiner Seele wie ein König auf &#x017F;einem Throne herr-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[220/0238] der Geſchlechtsliebe als ein irdiſches, weltliches aus- geſchloſſen. Aber das himmliſche Leben iſt das wahre, das beſtändige, ewige Leben des Chriſten. Warum ſoll alſo ich, der ich für den Himmel beſtimmt bin, ein Band knüpfen, das in meiner wahren Beſtimmung aufgelöſt iſt? Warum ſoll ich, der ich an ſich, der Potenz nach ein himmliſches Weſen bin, nicht hier ſchon dieſe Möglichkeit verwirklichen *)? Ja die Ehe iſt ſchon aus meinem Sinne, meinem Herzen verbannt, indem ſie aus dem Himmel, dem weſentlichen Gegenſtand meines Glaubens, Hoffens und Lebens verſtoßen iſt. Wie kann in meinem vom Himmel erfüllten Herzen noch ein irdi- ſches Weib Platz haben? Wie kann ich mein Herz zwiſchen Gott und dem Menſchen theilen? Die Liebe des Chriſten zu Gott iſt nicht eine abſtracte oder allgemeine Liebe, wie die Liebe zur Wahrheit, zur Gerechtigkeit, zur Wiſſenſchaft; ſie iſt die Liebe zu einem ſubjectiven, perſönlichen Gott, alſo ſelbſt eine ſubjective perſönliche Liebe. Ein weſentliches Attri- but dieſer Liebe iſt es, daß ſie eine ausſchließliche, eifer- ſüchtige Liebe iſt, denn ihr Gegenſtand iſt ein perſönliches und zugleich das höchſte Weſen, dem kein andres gleich kommt. „Halte Dich zu Jeſus (aber Jeſus Chriſtus iſt der Gott des Chriſten) im Leben und im Tode; verlaß Dich auf ſeine Treue: er allein kann Dir helfen, wenn Dich Alles ver- läßt. Dein Geliebter hat die Eigenſchaft, daß er keinen An- dern neben ſich dulden will: er allein will Dein Herz haben, allein in Deiner Seele wie ein König auf ſeinem Throne herr- *) Praesumendum est hos qui intra Paradisum recipi volunt, tandem debere cessare ab ea re, a qua Paradisus intactus est. Tertullian. de exhort. cast. c. 13.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/238
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/238>, abgerufen am 27.04.2024.