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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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sanctioniren! Die erste Stelle bezieht sich, wie schon Tertullian
und Hieronymus bemerkten, nur auf die menschenleere, nicht
aber bereits erfüllte Erde, nur auf den Anfang, nicht aber auf
das mit der unmittelbaren Erscheinung Gottes auf Erden ein-
getretne Ende der Welt. Und auch die zweite bezieht sich nur
auf das Alte Testament. Juden stellten die Frage: ob es auch
recht sei, daß sich ein Mensch scheide von seinem Weibe: die
zweckmäßigste Abfertigung dieser Frage war obige Antwort.
Wer einmal eine Ehe schließt, der soll sie auch heilig halten.
Schon der Blick nach einer andern ist Ehebruch. Die Ehe ist
an und für sich schon eine Concession gegen die Schwachheit
der Sinnlichkeit, ein Uebel, das daher so viel als möglich be-
schränkt werden muß. Die Unauflöslichkeit der Ehe ist ein
Nimbus, ein Heiligenschein, welcher gerade das Gegentheil
von Dem ausspricht, was die vom Scheine geblendeten und
perturbirten Köpfe dahinter suchen. Die Ehe ist an sich eine
Sünde, eine Schwachheit, die Dir nur unter der Bedingung
erlaubt und verziehen wird, daß Du Dich auf ein einziges --
bedenke es wohl! -- ein einziges Weib für immer beschränkst.
Kurz, die Ehe ist nur im Alten, aber nicht mehr im Neuen
Testament geheiligt: das N. T. kennt ein höheres, ein über-
natürliches
Princip, das Geheimniß der unbefleckten Jung-
fräulichkeit. "Wer es fassen mag, der fasse es." "Die Kin-
der dieser Welt freyen und lassen sich freyen
, welche
aber würdig sein werden, jene Welt zu erlangen in
der Auferstehung von den Todten, die werden weder
freyen, noch sich freyen lassen
. Denn sie können hinfort
nicht sterben, denn sie sind den Engeln gleich und Got-
tes Kinder
, dieweil sie Kinder sind der Auferstehung." Im
Himmel freyen sie also nicht; vom Himmel ist das Princip

ſanctioniren! Die erſte Stelle bezieht ſich, wie ſchon Tertullian
und Hieronymus bemerkten, nur auf die menſchenleere, nicht
aber bereits erfüllte Erde, nur auf den Anfang, nicht aber auf
das mit der unmittelbaren Erſcheinung Gottes auf Erden ein-
getretne Ende der Welt. Und auch die zweite bezieht ſich nur
auf das Alte Teſtament. Juden ſtellten die Frage: ob es auch
recht ſei, daß ſich ein Menſch ſcheide von ſeinem Weibe: die
zweckmäßigſte Abfertigung dieſer Frage war obige Antwort.
Wer einmal eine Ehe ſchließt, der ſoll ſie auch heilig halten.
Schon der Blick nach einer andern iſt Ehebruch. Die Ehe iſt
an und für ſich ſchon eine Conceſſion gegen die Schwachheit
der Sinnlichkeit, ein Uebel, das daher ſo viel als möglich be-
ſchränkt werden muß. Die Unauflöslichkeit der Ehe iſt ein
Nimbus, ein Heiligenſchein, welcher gerade das Gegentheil
von Dem ausſpricht, was die vom Scheine geblendeten und
perturbirten Köpfe dahinter ſuchen. Die Ehe iſt an ſich eine
Sünde, eine Schwachheit, die Dir nur unter der Bedingung
erlaubt und verziehen wird, daß Du Dich auf ein einziges —
bedenke es wohl! — ein einziges Weib für immer beſchränkſt.
Kurz, die Ehe iſt nur im Alten, aber nicht mehr im Neuen
Teſtament geheiligt: das N. T. kennt ein höheres, ein über-
natürliches
Princip, das Geheimniß der unbefleckten Jung-
fräulichkeit. „Wer es faſſen mag, der faſſe es.“ „Die Kin-
der dieſer Welt freyen und laſſen ſich freyen
, welche
aber würdig ſein werden, jene Welt zu erlangen in
der Auferſtehung von den Todten, die werden weder
freyen, noch ſich freyen laſſen
. Denn ſie können hinfort
nicht ſterben, denn ſie ſind den Engeln gleich und Got-
tes Kinder
, dieweil ſie Kinder ſind der Auferſtehung.“ Im
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[219/0237] ſanctioniren! Die erſte Stelle bezieht ſich, wie ſchon Tertullian und Hieronymus bemerkten, nur auf die menſchenleere, nicht aber bereits erfüllte Erde, nur auf den Anfang, nicht aber auf das mit der unmittelbaren Erſcheinung Gottes auf Erden ein- getretne Ende der Welt. Und auch die zweite bezieht ſich nur auf das Alte Teſtament. Juden ſtellten die Frage: ob es auch recht ſei, daß ſich ein Menſch ſcheide von ſeinem Weibe: die zweckmäßigſte Abfertigung dieſer Frage war obige Antwort. Wer einmal eine Ehe ſchließt, der ſoll ſie auch heilig halten. Schon der Blick nach einer andern iſt Ehebruch. Die Ehe iſt an und für ſich ſchon eine Conceſſion gegen die Schwachheit der Sinnlichkeit, ein Uebel, das daher ſo viel als möglich be- ſchränkt werden muß. Die Unauflöslichkeit der Ehe iſt ein Nimbus, ein Heiligenſchein, welcher gerade das Gegentheil von Dem ausſpricht, was die vom Scheine geblendeten und perturbirten Köpfe dahinter ſuchen. Die Ehe iſt an ſich eine Sünde, eine Schwachheit, die Dir nur unter der Bedingung erlaubt und verziehen wird, daß Du Dich auf ein einziges — bedenke es wohl! — ein einziges Weib für immer beſchränkſt. Kurz, die Ehe iſt nur im Alten, aber nicht mehr im Neuen Teſtament geheiligt: das N. T. kennt ein höheres, ein über- natürliches Princip, das Geheimniß der unbefleckten Jung- fräulichkeit. „Wer es faſſen mag, der faſſe es.“ „Die Kin- der dieſer Welt freyen und laſſen ſich freyen, welche aber würdig ſein werden, jene Welt zu erlangen in der Auferſtehung von den Todten, die werden weder freyen, noch ſich freyen laſſen. Denn ſie können hinfort nicht ſterben, denn ſie ſind den Engeln gleich und Got- tes Kinder, dieweil ſie Kinder ſind der Auferſtehung.“ Im Himmel freyen ſie alſo nicht; vom Himmel iſt das Princip

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/237>, abgerufen am 28.04.2024.