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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Bewußtsein des Andern gebunden. Wo darum dem Men-
schen nicht die Gattung als Gattung Gegenstand ist, da
wird ihm die Gattung als Gott Gegenstand. Den Man-
gel des Begriffs der Gattung ergänzt er durch den Begriff
Gottes, als des Wesens, welches frei ist von den Schranken
und Mängeln, die das Individuum, und, nach seiner Meinung,
die das Individuum mit der Gattung identificirt, die Gattung
selbst drücken. Aber dieses von den Schranken der Individuen
freie, unbeschränkte Wesen ist eben nichts andres als die Gat-
tung, welche die Unendlichkeit ihres Wesens darin offenbart,
daß sie sich in unbeschränkt vielen und verschiedenartigen In-
dividuen verwirklicht. Wären alle Menschen absolut gleich,
so wäre allerdings kein Unterschied zwischen der Gattung und
dem Individuum. Aber dann wäre auch das Dasein vieler
Menschen ein reiner Luxus. Ein Einziger genügte hinläng-
lich dem Zweck der Gattung. Alle miteinander hätten an dem
Einen, der das Glück der Existenz genösse, ihren hinreichenden
Ersatzmann.

Allerdings ist das Wesen der Menschen Eines, aber
dieses Wesen ist unendlich; sein wirkliches Dasein daher
unendliche, sich gegenseitig ergänzende Verschiedenartigkeit, um
den Reichthum des Wesens zu offenbaren. Die Einheit im
Wesen ist Mannigfaltigkeit im Dasein. Zwischen Mir
und dem Andern -- aber der Andere ist der Repräsentant der
Gattung, auch wenn er nur Einer ist, er ersetzt mir das Be-
dürfniß nach vielen Andern, hat für mich universelle
Bedeutung, ist der Deputirte der Menschheit, der in ihrem
Namen zu mir Einsamen spricht, ich habe daher, auch nur
mit Einem verbunden, ein gemeinsames, menschliches Leben --
zwischen Mir und dem Andern findet daher ein wesentlicher,

Feuerbach. 14

Bewußtſein des Andern gebunden. Wo darum dem Men-
ſchen nicht die Gattung als Gattung Gegenſtand iſt, da
wird ihm die Gattung als Gott Gegenſtand. Den Man-
gel des Begriffs der Gattung ergänzt er durch den Begriff
Gottes, als des Weſens, welches frei iſt von den Schranken
und Mängeln, die das Individuum, und, nach ſeiner Meinung,
die das Individuum mit der Gattung identificirt, die Gattung
ſelbſt drücken. Aber dieſes von den Schranken der Individuen
freie, unbeſchränkte Weſen iſt eben nichts andres als die Gat-
tung, welche die Unendlichkeit ihres Weſens darin offenbart,
daß ſie ſich in unbeſchränkt vielen und verſchiedenartigen In-
dividuen verwirklicht. Wären alle Menſchen abſolut gleich,
ſo wäre allerdings kein Unterſchied zwiſchen der Gattung und
dem Individuum. Aber dann wäre auch das Daſein vieler
Menſchen ein reiner Luxus. Ein Einziger genügte hinläng-
lich dem Zweck der Gattung. Alle miteinander hätten an dem
Einen, der das Glück der Exiſtenz genöſſe, ihren hinreichenden
Erſatzmann.

Allerdings iſt das Weſen der Menſchen Eines, aber
dieſes Weſen iſt unendlich; ſein wirkliches Daſein daher
unendliche, ſich gegenſeitig ergänzende Verſchiedenartigkeit, um
den Reichthum des Weſens zu offenbaren. Die Einheit im
Weſen iſt Mannigfaltigkeit im Daſein. Zwiſchen Mir
und dem Andern — aber der Andere iſt der Repräſentant der
Gattung, auch wenn er nur Einer iſt, er erſetzt mir das Be-
dürfniß nach vielen Andern, hat für mich univerſelle
Bedeutung, iſt der Deputirte der Menſchheit, der in ihrem
Namen zu mir Einſamen ſpricht, ich habe daher, auch nur
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zwiſchen Mir und dem Andern findet daher ein weſentlicher,

Feuerbach. 14
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[209/0227] Bewußtſein des Andern gebunden. Wo darum dem Men- ſchen nicht die Gattung als Gattung Gegenſtand iſt, da wird ihm die Gattung als Gott Gegenſtand. Den Man- gel des Begriffs der Gattung ergänzt er durch den Begriff Gottes, als des Weſens, welches frei iſt von den Schranken und Mängeln, die das Individuum, und, nach ſeiner Meinung, die das Individuum mit der Gattung identificirt, die Gattung ſelbſt drücken. Aber dieſes von den Schranken der Individuen freie, unbeſchränkte Weſen iſt eben nichts andres als die Gat- tung, welche die Unendlichkeit ihres Weſens darin offenbart, daß ſie ſich in unbeſchränkt vielen und verſchiedenartigen In- dividuen verwirklicht. Wären alle Menſchen abſolut gleich, ſo wäre allerdings kein Unterſchied zwiſchen der Gattung und dem Individuum. Aber dann wäre auch das Daſein vieler Menſchen ein reiner Luxus. Ein Einziger genügte hinläng- lich dem Zweck der Gattung. Alle miteinander hätten an dem Einen, der das Glück der Exiſtenz genöſſe, ihren hinreichenden Erſatzmann. Allerdings iſt das Weſen der Menſchen Eines, aber dieſes Weſen iſt unendlich; ſein wirkliches Daſein daher unendliche, ſich gegenſeitig ergänzende Verſchiedenartigkeit, um den Reichthum des Weſens zu offenbaren. Die Einheit im Weſen iſt Mannigfaltigkeit im Daſein. Zwiſchen Mir und dem Andern — aber der Andere iſt der Repräſentant der Gattung, auch wenn er nur Einer iſt, er erſetzt mir das Be- dürfniß nach vielen Andern, hat für mich univerſelle Bedeutung, iſt der Deputirte der Menſchheit, der in ihrem Namen zu mir Einſamen ſpricht, ich habe daher, auch nur mit Einem verbunden, ein gemeinſames, menſchliches Leben — zwiſchen Mir und dem Andern findet daher ein weſentlicher, Feuerbach. 14

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/227>, abgerufen am 21.11.2024.