Gnade. Und Abraham glaubte, der Natur zum Trotz. Darum wurde ihm auch dieser Glaube zur Gerechtigkeit, zum Ver- dienst angerechnet; denn es gehört viele Kraft der Subjectivi- tät dazu, etwas im Widerspruch mit Erfahrung, wenigstens vernünftiger, gesetzmäßiger Erfahrung dennoch als gewiß an- zunehmen. Aber was war denn der Gegenstand dieser gött- lichen Verheißung? Nachkommenschaft: der Gegenstand eines menschlichen Wunsches. Und woran glaubte Abraham, wenn er Jehovah glaubte? an ein Wesen, welches alles vermag, alle menschlichen Wünsche erfüllen kann. "Sollte dem Herrn etwas unmöglich sein*)?"
Doch wozu versteigen wir uns bis zu Abraham hinauf? Die schlagendsten Beweise haben wir ja viel näher. Das Wunder speist Hungrige, heilt von Natur Blinde, Taube, Lahme, errettet aus Lebensgefahren, belebt selbst Todte auf die Bitten ihrer Verwandten. Es befriedigt also menschliche Wün- sche -- Wünsche, die aber zugleich, zwar nicht immer an sich selbst, wie der Wunsch, den Todten zu beleben, doch inso- fern, als sie die Wundermacht, wunderbare Hülfe ansprechen, transcendente, supranaturalistische Wünsche sind. Aber das Wunder unterscheidet sich dadurch von der natur- und vernunftgemäßen Befriedigungsweise menschlicher Wünsche und Bedürfnisse, daß es die Wünsche des Menschen auf eine dem Wesen des Wunsches entsprechende, auf die wünschens- wertheste Weise befriedigt. Der Wunsch bindet sich an keine Schranke, kein Gesetz: er ist ungeduldig; er will unverzüg- lich, augenblicklich erfüllt sein. Und siehe da! so schnell als der Wunsch, so schnell ist das Wunder. Die Wunderkraft rea-
*) 1. Mose 18, 14.
Gnade. Und Abraham glaubte, der Natur zum Trotz. Darum wurde ihm auch dieſer Glaube zur Gerechtigkeit, zum Ver- dienſt angerechnet; denn es gehört viele Kraft der Subjectivi- tät dazu, etwas im Widerſpruch mit Erfahrung, wenigſtens vernünftiger, geſetzmäßiger Erfahrung dennoch als gewiß an- zunehmen. Aber was war denn der Gegenſtand dieſer gött- lichen Verheißung? Nachkommenſchaft: der Gegenſtand eines menſchlichen Wunſches. Und woran glaubte Abraham, wenn er Jehovah glaubte? an ein Weſen, welches alles vermag, alle menſchlichen Wünſche erfüllen kann. „Sollte dem Herrn etwas unmöglich ſein*)?“
Doch wozu verſteigen wir uns bis zu Abraham hinauf? Die ſchlagendſten Beweiſe haben wir ja viel näher. Das Wunder ſpeiſt Hungrige, heilt von Natur Blinde, Taube, Lahme, errettet aus Lebensgefahren, belebt ſelbſt Todte auf die Bitten ihrer Verwandten. Es befriedigt alſo menſchliche Wün- ſche — Wünſche, die aber zugleich, zwar nicht immer an ſich ſelbſt, wie der Wunſch, den Todten zu beleben, doch inſo- fern, als ſie die Wundermacht, wunderbare Hülfe anſprechen, transcendente, ſupranaturaliſtiſche Wünſche ſind. Aber das Wunder unterſcheidet ſich dadurch von der natur- und vernunftgemäßen Befriedigungsweiſe menſchlicher Wünſche und Bedürfniſſe, daß es die Wünſche des Menſchen auf eine dem Weſen des Wunſches entſprechende, auf die wünſchens- wertheſte Weiſe befriedigt. Der Wunſch bindet ſich an keine Schranke, kein Geſetz: er iſt ungeduldig; er will unverzüg- lich, augenblicklich erfüllt ſein. Und ſiehe da! ſo ſchnell als der Wunſch, ſo ſchnell iſt das Wunder. Die Wunderkraft rea-
*) 1. Moſe 18, 14.
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Gnade. Und Abraham glaubte, der Natur zum Trotz. Darum
wurde ihm auch dieſer Glaube zur Gerechtigkeit, zum Ver-
dienſt angerechnet; denn es gehört viele Kraft der Subjectivi-
tät dazu, etwas im Widerſpruch mit Erfahrung, wenigſtens
vernünftiger, geſetzmäßiger Erfahrung dennoch als gewiß an-
zunehmen. Aber was war denn der Gegenſtand dieſer gött-
lichen Verheißung? Nachkommenſchaft: der Gegenſtand eines
menſchlichen Wunſches. Und woran glaubte Abraham, wenn
er Jehovah glaubte? an ein Weſen, welches alles vermag,
alle menſchlichen Wünſche erfüllen kann. „Sollte dem Herrn
etwas unmöglich ſein *)?“
Doch wozu verſteigen wir uns bis zu Abraham hinauf?
Die ſchlagendſten Beweiſe haben wir ja viel näher. Das
Wunder ſpeiſt Hungrige, heilt von Natur Blinde, Taube,
Lahme, errettet aus Lebensgefahren, belebt ſelbſt Todte auf die
Bitten ihrer Verwandten. Es befriedigt alſo menſchliche Wün-
ſche — Wünſche, die aber zugleich, zwar nicht immer an ſich
ſelbſt, wie der Wunſch, den Todten zu beleben, doch inſo-
fern, als ſie die Wundermacht, wunderbare Hülfe anſprechen,
transcendente, ſupranaturaliſtiſche Wünſche ſind. Aber
das Wunder unterſcheidet ſich dadurch von der natur- und
vernunftgemäßen Befriedigungsweiſe menſchlicher Wünſche und
Bedürfniſſe, daß es die Wünſche des Menſchen auf eine dem
Weſen des Wunſches entſprechende, auf die wünſchens-
wertheſte Weiſe befriedigt. Der Wunſch bindet ſich an keine
Schranke, kein Geſetz: er iſt ungeduldig; er will unverzüg-
lich, augenblicklich erfüllt ſein. Und ſiehe da! ſo ſchnell als
der Wunſch, ſo ſchnell iſt das Wunder. Die Wunderkraft rea-
*) 1. Moſe 18, 14.
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/185>, abgerufen am 04.12.2024.
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