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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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des Glaubens, welches sich durch alle seine Gegenstände bis
ins Speciellste hinein bestätigen läßt, ist: daß das ist, was
der Mensch wünscht -- er wünscht unsterblich zu sein, also
ist er unsterblich; er wünscht, daß ein Wesen sei, welches
alles vermag, was der Natur und Vernunft unmög-
lich ist
, also existirt ein solches Wesen; er wünscht, daß eine
Welt sei, welche den Wünschen des Gemüths entspricht, eine
Welt der unbeschränkten Subjectivität, d. i. der unge-
störten Empfindung, der ununterbrochnen Seligkeit; nun exi-
stirt aber dennoch eine dieser subjectiven Welt entgegengesetzte
Welt, also muß diese Welt vergehen -- so nothwendig ver-
gehen als nothwendig ein Gott, das absolute Wesen der Sub-
jectivität, besteht. Glaube, Liebe, Hoffnung ist die christliche
Dreieinigkeit. Die Hoffnung bezieht sich auf die Erfüllung
der Verheißungen -- der Wünsche, die noch nicht erfüllt
sind, aber erfüllt werden; die Liebe auf das Wesen, wel-
ches diese Verheißungen gibt und erfüllt, der Glaube auf die
Verheißungen, die Wünsche, welche bereits erfüllt, histo-
rische Thatsachen
sind.

Das Wunder ist ein wesentlicher Gegenstand des Chri-
stenthums, wesentlicher Glaubensinhalt. Aber was ist das Wun-
der? Ein realisirter supranaturalistischer Wunsch --
sonst nichts. Der Apostel Paulus erläutert das Wesen des
christlichen Glaubens an dem Beispiel Abrahams. Abraham
konnte auf natürlichem Wege nimmer auf Nachkommenschaft
hoffen. Jehovah verhieß sie ihm gleichwohl aus besonderer

mehr sein. Daß überhaupt in der Bibel ein sehr nahes Weltende er-
wartet und prophezeiht, obgleich nicht Tag und Stunde bestimmt wird,
kann nur ein Lügner oder ein Blinder läugnen. S. hierüber auch
Lützelberger's Schriften.

des Glaubens, welches ſich durch alle ſeine Gegenſtände bis
ins Speciellſte hinein beſtätigen läßt, iſt: daß das iſt, was
der Menſch wünſcht — er wünſcht unſterblich zu ſein, alſo
iſt er unſterblich; er wünſcht, daß ein Weſen ſei, welches
alles vermag, was der Natur und Vernunft unmög-
lich iſt
, alſo exiſtirt ein ſolches Weſen; er wünſcht, daß eine
Welt ſei, welche den Wünſchen des Gemüths entſpricht, eine
Welt der unbeſchränkten Subjectivität, d. i. der unge-
ſtörten Empfindung, der ununterbrochnen Seligkeit; nun exi-
ſtirt aber dennoch eine dieſer ſubjectiven Welt entgegengeſetzte
Welt, alſo muß dieſe Welt vergehen — ſo nothwendig ver-
gehen als nothwendig ein Gott, das abſolute Weſen der Sub-
jectivität, beſteht. Glaube, Liebe, Hoffnung iſt die chriſtliche
Dreieinigkeit. Die Hoffnung bezieht ſich auf die Erfüllung
der Verheißungen — der Wünſche, die noch nicht erfüllt
ſind, aber erfüllt werden; die Liebe auf das Weſen, wel-
ches dieſe Verheißungen gibt und erfüllt, der Glaube auf die
Verheißungen, die Wünſche, welche bereits erfüllt, hiſto-
riſche Thatſachen
ſind.

Das Wunder iſt ein weſentlicher Gegenſtand des Chri-
ſtenthums, weſentlicher Glaubensinhalt. Aber was iſt das Wun-
der? Ein realiſirter ſupranaturaliſtiſcher Wunſch
ſonſt nichts. Der Apoſtel Paulus erläutert das Weſen des
chriſtlichen Glaubens an dem Beiſpiel Abrahams. Abraham
konnte auf natürlichem Wege nimmer auf Nachkommenſchaft
hoffen. Jehovah verhieß ſie ihm gleichwohl aus beſonderer

mehr ſein. Daß überhaupt in der Bibel ein ſehr nahes Weltende er-
wartet und prophezeiht, obgleich nicht Tag und Stunde beſtimmt wird,
kann nur ein Lügner oder ein Blinder läugnen. S. hierüber auch
Lützelberger’s Schriften.
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[166/0184] des Glaubens, welches ſich durch alle ſeine Gegenſtände bis ins Speciellſte hinein beſtätigen läßt, iſt: daß das iſt, was der Menſch wünſcht — er wünſcht unſterblich zu ſein, alſo iſt er unſterblich; er wünſcht, daß ein Weſen ſei, welches alles vermag, was der Natur und Vernunft unmög- lich iſt, alſo exiſtirt ein ſolches Weſen; er wünſcht, daß eine Welt ſei, welche den Wünſchen des Gemüths entſpricht, eine Welt der unbeſchränkten Subjectivität, d. i. der unge- ſtörten Empfindung, der ununterbrochnen Seligkeit; nun exi- ſtirt aber dennoch eine dieſer ſubjectiven Welt entgegengeſetzte Welt, alſo muß dieſe Welt vergehen — ſo nothwendig ver- gehen als nothwendig ein Gott, das abſolute Weſen der Sub- jectivität, beſteht. Glaube, Liebe, Hoffnung iſt die chriſtliche Dreieinigkeit. Die Hoffnung bezieht ſich auf die Erfüllung der Verheißungen — der Wünſche, die noch nicht erfüllt ſind, aber erfüllt werden; die Liebe auf das Weſen, wel- ches dieſe Verheißungen gibt und erfüllt, der Glaube auf die Verheißungen, die Wünſche, welche bereits erfüllt, hiſto- riſche Thatſachen ſind. Das Wunder iſt ein weſentlicher Gegenſtand des Chri- ſtenthums, weſentlicher Glaubensinhalt. Aber was iſt das Wun- der? Ein realiſirter ſupranaturaliſtiſcher Wunſch — ſonſt nichts. Der Apoſtel Paulus erläutert das Weſen des chriſtlichen Glaubens an dem Beiſpiel Abrahams. Abraham konnte auf natürlichem Wege nimmer auf Nachkommenſchaft hoffen. Jehovah verhieß ſie ihm gleichwohl aus beſonderer *) *) mehr ſein. Daß überhaupt in der Bibel ein ſehr nahes Weltende er- wartet und prophezeiht, obgleich nicht Tag und Stunde beſtimmt wird, kann nur ein Lügner oder ein Blinder läugnen. S. hierüber auch Lützelberger’s Schriften.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/184>, abgerufen am 01.05.2024.