Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. eine zweite Veränderung mit der Schaube vor sich gegangen: siewar kürzer geworden. In ihrer alten Länge bis auf die Füße herabreichend, hatte sie etwas Unmännliches, was der neuen Richtung nicht zusagen konnte. In den zwanziger Jahren war sie im Allgemeinen bis zu den Knieen verkürzt. An Weite frei- lich durfte sie schon der bauschigen Unterkleidung wegen nicht einbüßen, und zudem wurde das stolze stattliche Ansehen nur er- höht, wenn die pelzverbrämten Ränder vorn mit überreicher Fülle sich weit über einander schlagen ließen. Darin gefiel sich der Ritter wie der Kaufherr. Auch der Pelzkragen hatte an Größe eher gewonnen als verloren; er legte sich breit über die Schultern. In dieser Gestalt war die Schaube gegen das Ende der zwanziger Jahre zu großer Einheit gekommen und wurde so in allen Ständen, denen sie überhaupt zukam, getragen. Währenddeß war auch die Zerschlitzung zu völliger Allge- 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. eine zweite Veränderung mit der Schaube vor ſich gegangen: ſiewar kürzer geworden. In ihrer alten Länge bis auf die Füße herabreichend, hatte ſie etwas Unmännliches, was der neuen Richtung nicht zuſagen konnte. In den zwanziger Jahren war ſie im Allgemeinen bis zu den Knieen verkürzt. An Weite frei- lich durfte ſie ſchon der bauſchigen Unterkleidung wegen nicht einbüßen, und zudem wurde das ſtolze ſtattliche Anſehen nur er- höht, wenn die pelzverbrämten Ränder vorn mit überreicher Fülle ſich weit über einander ſchlagen ließen. Darin gefiel ſich der Ritter wie der Kaufherr. Auch der Pelzkragen hatte an Größe eher gewonnen als verloren; er legte ſich breit über die Schultern. In dieſer Geſtalt war die Schaube gegen das Ende der zwanziger Jahre zu großer Einheit gekommen und wurde ſo in allen Ständen, denen ſie überhaupt zukam, getragen. Währenddeß war auch die Zerſchlitzung zu völliger Allge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0067" n="55"/><fw place="top" type="header">1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.</fw><lb/> eine zweite Veränderung mit der Schaube vor ſich gegangen: ſie<lb/> war kürzer geworden. In ihrer alten Länge bis auf die Füße<lb/> herabreichend, hatte ſie etwas Unmännliches, was der neuen<lb/> Richtung nicht zuſagen konnte. In den zwanziger Jahren war<lb/> ſie im Allgemeinen bis zu den Knieen verkürzt. An Weite frei-<lb/> lich durfte ſie ſchon der bauſchigen Unterkleidung wegen nicht<lb/> einbüßen, und zudem wurde das ſtolze ſtattliche Anſehen nur er-<lb/> höht, wenn die pelzverbrämten Ränder vorn mit überreicher<lb/> Fülle ſich weit über einander ſchlagen ließen. Darin gefiel ſich<lb/> der Ritter wie der Kaufherr. Auch der Pelzkragen hatte an<lb/> Größe eher gewonnen als verloren; er legte ſich breit über die<lb/> Schultern. In dieſer Geſtalt war die Schaube gegen das Ende<lb/> der zwanziger Jahre zu großer Einheit gekommen und wurde ſo<lb/> in allen Ständen, denen ſie überhaupt zukam, getragen.</p><lb/> <p>Währenddeß war auch die Zerſchlitzung zu völliger Allge-<lb/> meingültigkeit gelangt, wenn auch natürlich der Gebrauch hier<lb/> ein beſchränkter, dort ein erweiterter war. Gegen das Jahr 1530<lb/> legen ſich in allen Ständen die weiten, in Wülſten herumge-<lb/> ſchlitzten Aermel des Wammſes aus den Armlöchern der Schaube<lb/> heraus, und wenn dieſelbe aus einander ſchlägt, ſehen wir dar-<lb/> unter mannigfache bunte Muſterung, die bei manchem Herrn<lb/> vornehmen und reichen Standes ſtark an landsknechtiſche Will-<lb/> kür erinnert. Schon geht auch der Handwerksgeſell mit geſchlitz-<lb/> tem Wamms und gleicher Hoſe zur Arbeit. Die weiten Aermel<lb/> freilich kann er nicht gebrauchen; ſein Wamms iſt ärmellos und<lb/> ſtatt derſelben umzieht die Schultern ein ſchmaler zerſchlitzter<lb/> Wulſt, aus dem das Hemd bis zum Handgelenk hervortritt. Noch<lb/> im Jahr 1518 hatten die öſterreichiſchen Landſtände in der vor-<lb/> geſchlagenen Luxusordnung die Abſicht gehabt, alle „getheilten,<lb/> zerſtückten Kleider“ zu verbieten; es wäre umſonſt geweſen,<lb/> wenn auch ihr Wille zum Geſetz erhoben worden. Die große<lb/> Reichsordnung von 1530 ſchränkt das Verbot auf die niedern<lb/> Stände ein: den Bauern ſoll Hoſe und Wamms „in alle Weg<lb/> unzertheilt, unzerſchnitten und unzerſtückelt“ ſein, und desglei-<lb/> chen werden den „gemeinen Bürgern, Handwerkern und gemeinen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [55/0067]
1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
eine zweite Veränderung mit der Schaube vor ſich gegangen: ſie
war kürzer geworden. In ihrer alten Länge bis auf die Füße
herabreichend, hatte ſie etwas Unmännliches, was der neuen
Richtung nicht zuſagen konnte. In den zwanziger Jahren war
ſie im Allgemeinen bis zu den Knieen verkürzt. An Weite frei-
lich durfte ſie ſchon der bauſchigen Unterkleidung wegen nicht
einbüßen, und zudem wurde das ſtolze ſtattliche Anſehen nur er-
höht, wenn die pelzverbrämten Ränder vorn mit überreicher
Fülle ſich weit über einander ſchlagen ließen. Darin gefiel ſich
der Ritter wie der Kaufherr. Auch der Pelzkragen hatte an
Größe eher gewonnen als verloren; er legte ſich breit über die
Schultern. In dieſer Geſtalt war die Schaube gegen das Ende
der zwanziger Jahre zu großer Einheit gekommen und wurde ſo
in allen Ständen, denen ſie überhaupt zukam, getragen.
Währenddeß war auch die Zerſchlitzung zu völliger Allge-
meingültigkeit gelangt, wenn auch natürlich der Gebrauch hier
ein beſchränkter, dort ein erweiterter war. Gegen das Jahr 1530
legen ſich in allen Ständen die weiten, in Wülſten herumge-
ſchlitzten Aermel des Wammſes aus den Armlöchern der Schaube
heraus, und wenn dieſelbe aus einander ſchlägt, ſehen wir dar-
unter mannigfache bunte Muſterung, die bei manchem Herrn
vornehmen und reichen Standes ſtark an landsknechtiſche Will-
kür erinnert. Schon geht auch der Handwerksgeſell mit geſchlitz-
tem Wamms und gleicher Hoſe zur Arbeit. Die weiten Aermel
freilich kann er nicht gebrauchen; ſein Wamms iſt ärmellos und
ſtatt derſelben umzieht die Schultern ein ſchmaler zerſchlitzter
Wulſt, aus dem das Hemd bis zum Handgelenk hervortritt. Noch
im Jahr 1518 hatten die öſterreichiſchen Landſtände in der vor-
geſchlagenen Luxusordnung die Abſicht gehabt, alle „getheilten,
zerſtückten Kleider“ zu verbieten; es wäre umſonſt geweſen,
wenn auch ihr Wille zum Geſetz erhoben worden. Die große
Reichsordnung von 1530 ſchränkt das Verbot auf die niedern
Stände ein: den Bauern ſoll Hoſe und Wamms „in alle Weg
unzertheilt, unzerſchnitten und unzerſtückelt“ ſein, und desglei-
chen werden den „gemeinen Bürgern, Handwerkern und gemeinen
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