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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
Dagegen blüht noch die Jugend aufs üppigste in stutzerhafter
Zierlichkeit; die Ahnungen von einer kriegerischen, lustigen, an
Abenteuern, aber auch an Noth und Gefahren reichen Zeit schei-
nen noch nicht in ihnen aufgestiegen zu sein. Doch beginnen sich
schon wieder die Blößen zu verhüllen; die nackten Arme sind
ganz verschwunden, und Nacken und Schultern sind wenigstens
theilweise durch ein Mäntelchen mit kleinem stehenden Kragen
verdeckt, welches von hinten her über beide Schultern gelegt ist,
an den Seiten zwar kaum die Schenkel erreicht, mit spitzen Zip-
feln aber vorn bis gegen die Kniee herabfällt. Es ist faltenlos,
hellfarbig und auch aus mehreren senkrechten Streifen rundum
zusammengesetzt. Das Hemd macht noch immer keine Anstalt,
wieder bis zum Halse hinaufzugehen.

Von nun an geht es aber rasch vorwärts im Geiste der neuen
Zeit, und zehn Jahre später ist fast alles schon vollendet. Hans
Burgkmairs großer Triumphzug, dessen Zeichnungen im Jahre
1515 begonnen wurden, giebt zu erkennen, wie weit die bürger-
liche Kleidung damals von der Aufschlitzung ergriffen war.
Schon umziehen sich die Kniee mit einem Kranz von schleifen-
artigen, zerschlitzten Bändern und an den Schenkeln erblicken wir
bereits die Anfänge der ganzen Musterung, wie wir sie bei den
Landsknechten haben kennen lernen. Fast noch mehr ist das
Wamms umgestaltet worden, dessen Aermel bereits so weit sind,
daß es auf die Schaube umgestaltend einzuwirken beginnt. In
der langen ehrbaren Form, wie dieses Oberkleid in das sechs-
zehnte Jahrhundert herübergekommen war, hatte es gewöhnlich
lange Aermel gehabt, die, mit doppelter Oeffnung versehen, meist
nur als Hängeärmel benutzt wurden; die Arme finden sich dann
durch das obere Loch durchgesteckt. Rundum hatten diese Oeff-
nungen an ihren oft zackig ausgeschnittenen Rändern reichen Be-
satz gehabt. Bei der großen Weite der Aermel des Wammses
mit ihren faltigen Schlitzen wurden die hängenden der Schaube
sehr unbequem, und man entledigte sich ihrer ganz und machte
die Oeffnung um so größer. Doch finden sich noch in den zwan-
ziger Jahren beide Moden neben einander. Fast früher noch war

III. Die Neuzeit.
Dagegen blüht noch die Jugend aufs üppigſte in ſtutzerhafter
Zierlichkeit; die Ahnungen von einer kriegeriſchen, luſtigen, an
Abenteuern, aber auch an Noth und Gefahren reichen Zeit ſchei-
nen noch nicht in ihnen aufgeſtiegen zu ſein. Doch beginnen ſich
ſchon wieder die Blößen zu verhüllen; die nackten Arme ſind
ganz verſchwunden, und Nacken und Schultern ſind wenigſtens
theilweiſe durch ein Mäntelchen mit kleinem ſtehenden Kragen
verdeckt, welches von hinten her über beide Schultern gelegt iſt,
an den Seiten zwar kaum die Schenkel erreicht, mit ſpitzen Zip-
feln aber vorn bis gegen die Kniee herabfällt. Es iſt faltenlos,
hellfarbig und auch aus mehreren ſenkrechten Streifen rundum
zuſammengeſetzt. Das Hemd macht noch immer keine Anſtalt,
wieder bis zum Halſe hinaufzugehen.

Von nun an geht es aber raſch vorwärts im Geiſte der neuen
Zeit, und zehn Jahre ſpäter iſt faſt alles ſchon vollendet. Hans
Burgkmairs großer Triumphzug, deſſen Zeichnungen im Jahre
1515 begonnen wurden, giebt zu erkennen, wie weit die bürger-
liche Kleidung damals von der Aufſchlitzung ergriffen war.
Schon umziehen ſich die Kniee mit einem Kranz von ſchleifen-
artigen, zerſchlitzten Bändern und an den Schenkeln erblicken wir
bereits die Anfänge der ganzen Muſterung, wie wir ſie bei den
Landsknechten haben kennen lernen. Faſt noch mehr iſt das
Wamms umgeſtaltet worden, deſſen Aermel bereits ſo weit ſind,
daß es auf die Schaube umgeſtaltend einzuwirken beginnt. In
der langen ehrbaren Form, wie dieſes Oberkleid in das ſechs-
zehnte Jahrhundert herübergekommen war, hatte es gewöhnlich
lange Aermel gehabt, die, mit doppelter Oeffnung verſehen, meiſt
nur als Hängeärmel benutzt wurden; die Arme finden ſich dann
durch das obere Loch durchgeſteckt. Rundum hatten dieſe Oeff-
nungen an ihren oft zackig ausgeſchnittenen Rändern reichen Be-
ſatz gehabt. Bei der großen Weite der Aermel des Wammſes
mit ihren faltigen Schlitzen wurden die hängenden der Schaube
ſehr unbequem, und man entledigte ſich ihrer ganz und machte
die Oeffnung um ſo größer. Doch finden ſich noch in den zwan-
ziger Jahren beide Moden neben einander. Faſt früher noch war

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[54/0066] III. Die Neuzeit. Dagegen blüht noch die Jugend aufs üppigſte in ſtutzerhafter Zierlichkeit; die Ahnungen von einer kriegeriſchen, luſtigen, an Abenteuern, aber auch an Noth und Gefahren reichen Zeit ſchei- nen noch nicht in ihnen aufgeſtiegen zu ſein. Doch beginnen ſich ſchon wieder die Blößen zu verhüllen; die nackten Arme ſind ganz verſchwunden, und Nacken und Schultern ſind wenigſtens theilweiſe durch ein Mäntelchen mit kleinem ſtehenden Kragen verdeckt, welches von hinten her über beide Schultern gelegt iſt, an den Seiten zwar kaum die Schenkel erreicht, mit ſpitzen Zip- feln aber vorn bis gegen die Kniee herabfällt. Es iſt faltenlos, hellfarbig und auch aus mehreren ſenkrechten Streifen rundum zuſammengeſetzt. Das Hemd macht noch immer keine Anſtalt, wieder bis zum Halſe hinaufzugehen. Von nun an geht es aber raſch vorwärts im Geiſte der neuen Zeit, und zehn Jahre ſpäter iſt faſt alles ſchon vollendet. Hans Burgkmairs großer Triumphzug, deſſen Zeichnungen im Jahre 1515 begonnen wurden, giebt zu erkennen, wie weit die bürger- liche Kleidung damals von der Aufſchlitzung ergriffen war. Schon umziehen ſich die Kniee mit einem Kranz von ſchleifen- artigen, zerſchlitzten Bändern und an den Schenkeln erblicken wir bereits die Anfänge der ganzen Muſterung, wie wir ſie bei den Landsknechten haben kennen lernen. Faſt noch mehr iſt das Wamms umgeſtaltet worden, deſſen Aermel bereits ſo weit ſind, daß es auf die Schaube umgeſtaltend einzuwirken beginnt. In der langen ehrbaren Form, wie dieſes Oberkleid in das ſechs- zehnte Jahrhundert herübergekommen war, hatte es gewöhnlich lange Aermel gehabt, die, mit doppelter Oeffnung verſehen, meiſt nur als Hängeärmel benutzt wurden; die Arme finden ſich dann durch das obere Loch durchgeſteckt. Rundum hatten dieſe Oeff- nungen an ihren oft zackig ausgeſchnittenen Rändern reichen Be- ſatz gehabt. Bei der großen Weite der Aermel des Wammſes mit ihren faltigen Schlitzen wurden die hängenden der Schaube ſehr unbequem, und man entledigte ſich ihrer ganz und machte die Oeffnung um ſo größer. Doch finden ſich noch in den zwan- ziger Jahren beide Moden neben einander. Faſt früher noch war

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/66>, abgerufen am 27.04.2024.