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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
getragen, nicht selten in sonderbarer Zusammenstellung mit an-
dern Stücken der russischen Nationaltracht. Da verbot der Kai-
ser sie für ganz Rußland ohne alle Ausnahme und mit solcher
Strenge, daß er selbst einen englischen Offizier über die Gränze
escortiren ließ, der mit einem runden Hut, damals einem Or-
donnanzstück seiner Uniform, in Petersburg auf der Parade er-
schienen war.

Gegen die allgemeine Strömung der Zeit waren alle solche
Mittel vergebens: der runde Hut gelangte schon in den ersten
Jahren des neunzehnten Jahrhunderts zu allgemeiner Anerken-
nung in Deutschland. Wie sehr er seitdem auf den Köpfen fest-
gewurzelt ist, obwohl man ihm weder Schönheit noch Zweck-
mäßigkeit nachrühmen kann, zeigt der neuste Kampf der Gegen-
wart, den er mit dem kleinen grauen Schlapphut auszufechten
hat. Der letztere hat ganz dieselbe Geschichte durchzumachen wie
der runde Cylinderhut in den letzten Jahrzehnten des vorigen
Jahrhunderts, und es dürfte kein Zweifel sein, daß er, seiner
politischen Anrüchigkeit nunmehr entledigt, den Sieg davon
tragen wird.

Der Krieg um den Hut ist wie der Kampf mit der Haupt-
armee; mit der Niederlage des dreieckigen fallen der Puder, der
Zopf, auch der kleine fingerlange, und die deutschen Köpfe
werden "tituficirt." Desgleichen verdrängen Stiefel und lan-
ges Beinkleid die Schuhe, Strümpfe und die Kniehose aus dem
gewöhnlichen Leben; nur zu Hofe gehen sie noch. Natürlich blei-
ben eine Menge Pedanten und alter Herren übrig, welche an
den Erinnerungen und Ueberresten ihrer goldenen galanten Ju-
gendzeit festhalten. Ein Hauptereigniß war es, als König
Friedrich Wilhelm II. schon im Sommer 1797 im Bade zu Pyr-
mont in Pantalons erschien.

Man kann etwa das Jahr 1804 oder 1805 als den Zeit-
punkt betrachten, in welchem das neue Costüm, seiner revolu-
tionären Bedeutung enthoben, zu einer Herrschaft kam, an deren
Umsturz Niemand mehr denken konnte. Die schweren Kriege
Preußens und Oesterreichs befreiten auch die Armee vom Zopf.

III. Die Neuzeit.
getragen, nicht ſelten in ſonderbarer Zuſammenſtellung mit an-
dern Stücken der ruſſiſchen Nationaltracht. Da verbot der Kai-
ſer ſie für ganz Rußland ohne alle Ausnahme und mit ſolcher
Strenge, daß er ſelbſt einen engliſchen Offizier über die Gränze
escortiren ließ, der mit einem runden Hut, damals einem Or-
donnanzſtück ſeiner Uniform, in Petersburg auf der Parade er-
ſchienen war.

Gegen die allgemeine Strömung der Zeit waren alle ſolche
Mittel vergebens: der runde Hut gelangte ſchon in den erſten
Jahren des neunzehnten Jahrhunderts zu allgemeiner Anerken-
nung in Deutſchland. Wie ſehr er ſeitdem auf den Köpfen feſt-
gewurzelt iſt, obwohl man ihm weder Schönheit noch Zweck-
mäßigkeit nachrühmen kann, zeigt der neuſte Kampf der Gegen-
wart, den er mit dem kleinen grauen Schlapphut auszufechten
hat. Der letztere hat ganz dieſelbe Geſchichte durchzumachen wie
der runde Cylinderhut in den letzten Jahrzehnten des vorigen
Jahrhunderts, und es dürfte kein Zweifel ſein, daß er, ſeiner
politiſchen Anrüchigkeit nunmehr entledigt, den Sieg davon
tragen wird.

Der Krieg um den Hut iſt wie der Kampf mit der Haupt-
armee; mit der Niederlage des dreieckigen fallen der Puder, der
Zopf, auch der kleine fingerlange, und die deutſchen Köpfe
werden „tituficirt.“ Desgleichen verdrängen Stiefel und lan-
ges Beinkleid die Schuhe, Strümpfe und die Kniehoſe aus dem
gewöhnlichen Leben; nur zu Hofe gehen ſie noch. Natürlich blei-
ben eine Menge Pedanten und alter Herren übrig, welche an
den Erinnerungen und Ueberreſten ihrer goldenen galanten Ju-
gendzeit feſthalten. Ein Hauptereigniß war es, als König
Friedrich Wilhelm II. ſchon im Sommer 1797 im Bade zu Pyr-
mont in Pantalons erſchien.

Man kann etwa das Jahr 1804 oder 1805 als den Zeit-
punkt betrachten, in welchem das neue Coſtüm, ſeiner revolu-
tionären Bedeutung enthoben, zu einer Herrſchaft kam, an deren
Umſturz Niemand mehr denken konnte. Die ſchweren Kriege
Preußens und Oeſterreichs befreiten auch die Armee vom Zopf.

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[320/0332] III. Die Neuzeit. getragen, nicht ſelten in ſonderbarer Zuſammenſtellung mit an- dern Stücken der ruſſiſchen Nationaltracht. Da verbot der Kai- ſer ſie für ganz Rußland ohne alle Ausnahme und mit ſolcher Strenge, daß er ſelbſt einen engliſchen Offizier über die Gränze escortiren ließ, der mit einem runden Hut, damals einem Or- donnanzſtück ſeiner Uniform, in Petersburg auf der Parade er- ſchienen war. Gegen die allgemeine Strömung der Zeit waren alle ſolche Mittel vergebens: der runde Hut gelangte ſchon in den erſten Jahren des neunzehnten Jahrhunderts zu allgemeiner Anerken- nung in Deutſchland. Wie ſehr er ſeitdem auf den Köpfen feſt- gewurzelt iſt, obwohl man ihm weder Schönheit noch Zweck- mäßigkeit nachrühmen kann, zeigt der neuſte Kampf der Gegen- wart, den er mit dem kleinen grauen Schlapphut auszufechten hat. Der letztere hat ganz dieſelbe Geſchichte durchzumachen wie der runde Cylinderhut in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts, und es dürfte kein Zweifel ſein, daß er, ſeiner politiſchen Anrüchigkeit nunmehr entledigt, den Sieg davon tragen wird. Der Krieg um den Hut iſt wie der Kampf mit der Haupt- armee; mit der Niederlage des dreieckigen fallen der Puder, der Zopf, auch der kleine fingerlange, und die deutſchen Köpfe werden „tituficirt.“ Desgleichen verdrängen Stiefel und lan- ges Beinkleid die Schuhe, Strümpfe und die Kniehoſe aus dem gewöhnlichen Leben; nur zu Hofe gehen ſie noch. Natürlich blei- ben eine Menge Pedanten und alter Herren übrig, welche an den Erinnerungen und Ueberreſten ihrer goldenen galanten Ju- gendzeit feſthalten. Ein Hauptereigniß war es, als König Friedrich Wilhelm II. ſchon im Sommer 1797 im Bade zu Pyr- mont in Pantalons erſchien. Man kann etwa das Jahr 1804 oder 1805 als den Zeit- punkt betrachten, in welchem das neue Coſtüm, ſeiner revolu- tionären Bedeutung enthoben, zu einer Herrſchaft kam, an deren Umſturz Niemand mehr denken konnte. Die ſchweren Kriege Preußens und Oeſterreichs befreiten auch die Armee vom Zopf.

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/332>, abgerufen am 24.11.2024.