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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
und die Geckenhaftigkeit noch in reicher Blüthe standen, zu völ-
lig glattem Gesicht und nacktem Hals, der weiteren Entblößung
nicht zu gedenken, ein langes, in künstlichen Locken über die
Schultern fallendes Haar die allgemeine Männertracht war.
Selbst der würdige Handwerksmeister, und nicht bloß der schmucke
Geselle, trägt sich so, wenn auch die dunkle, pelzgeränderte
Schaube weit und formlos, aber ehrbar den ganzen Körper um-
hüllt. Aber schon auf der Scheide des Jahrhunderts erkennen
wir die Dämmerung der neuen Zeit: hier und da beginnt das
Haar die Schultern und den Rücken zu verlassen, selbst Köpfe
mit kurzem Haar werden sichtbar, und vereinzelte Bärte tauchen
auf, erst noch in sehr verschiedener Gestalt, Knebelbärte, Voll-
bärte, lang und gestutzt, halbe Bärte, d. h. nur auf der einen
Seite des Gesichts, die andre aber geschoren, denn theils ist die
rechte Form noch nicht gleich gefunden, theils klebt ihnen noch
ein Stück der alten phantastisch eitlen Lust an Seltsamkeiten an.
Die Sittenprediger, die Vertheidiger des Alten, also des glatten
Gesichts, bemerken das sofort und rügen die neue Sitte. Sie
sehen darin nur neuen Zuwachs zu der alten Modenmenge und
vermögen bei so stutzerhaftem Auftreten freilich nicht zu erkennen,
daß ein andrer Geist, ein männlicher, im Werden ist und zur
Erscheinung ringt. So sieht Geiler von Kaisersberg in seinen
Predigten über das Narrenschiff die Sache an. "Es sein andere",
sagt er, "die tragen Bärt us üppiger Ehr, sie wöllen sein Ehr
haben, und daß man mit dem Finger uff sie zög (diciet hic est).
Das sein groß Narren, sie haben als viel Narrenschellen, als
manch Haar sie um das Maul und um das Kinn haben. So sie
kein Tugend noch Weisheit in ihnen haben, davon sie ruhmreich
möchten sein, so wöllen sie von dem Bart gelobet sein, daß sie
etwas sonderlichs haben." Dann heißt es ferner: "Also wird
es unsern gebärtechten Narren auch gon, wann sie von Sonder-
heit des Bartes glorieren, heimlich von dem höllischen Löwen
werden sie gefangen; sie sein die, die nüt ehrlichs und mannlichs
verbringen, so glorieren sie in den kleinen Dingen als in dem
Bart, sie sein weibisch Mann, glorieren wie die Weiber in Kränz-

III. Die Neuzeit.
und die Geckenhaftigkeit noch in reicher Blüthe ſtanden, zu völ-
lig glattem Geſicht und nacktem Hals, der weiteren Entblößung
nicht zu gedenken, ein langes, in künſtlichen Locken über die
Schultern fallendes Haar die allgemeine Männertracht war.
Selbſt der würdige Handwerksmeiſter, und nicht bloß der ſchmucke
Geſelle, trägt ſich ſo, wenn auch die dunkle, pelzgeränderte
Schaube weit und formlos, aber ehrbar den ganzen Körper um-
hüllt. Aber ſchon auf der Scheide des Jahrhunderts erkennen
wir die Dämmerung der neuen Zeit: hier und da beginnt das
Haar die Schultern und den Rücken zu verlaſſen, ſelbſt Köpfe
mit kurzem Haar werden ſichtbar, und vereinzelte Bärte tauchen
auf, erſt noch in ſehr verſchiedener Geſtalt, Knebelbärte, Voll-
bärte, lang und geſtutzt, halbe Bärte, d. h. nur auf der einen
Seite des Geſichts, die andre aber geſchoren, denn theils iſt die
rechte Form noch nicht gleich gefunden, theils klebt ihnen noch
ein Stück der alten phantaſtiſch eitlen Luſt an Seltſamkeiten an.
Die Sittenprediger, die Vertheidiger des Alten, alſo des glatten
Geſichts, bemerken das ſofort und rügen die neue Sitte. Sie
ſehen darin nur neuen Zuwachs zu der alten Modenmenge und
vermögen bei ſo ſtutzerhaftem Auftreten freilich nicht zu erkennen,
daß ein andrer Geiſt, ein männlicher, im Werden iſt und zur
Erſcheinung ringt. So ſieht Geiler von Kaiſersberg in ſeinen
Predigten über das Narrenſchiff die Sache an. „Es ſein andere“,
ſagt er, „die tragen Bärt us üppiger Ehr, ſie wöllen ſein Ehr
haben, und daß man mit dem Finger uff ſie zög (diciet hic est).
Das ſein groß Narren, ſie haben als viel Narrenſchellen, als
manch Haar ſie um das Maul und um das Kinn haben. So ſie
kein Tugend noch Weisheit in ihnen haben, davon ſie ruhmreich
möchten ſein, ſo wöllen ſie von dem Bart gelobet ſein, daß ſie
etwas ſonderlichs haben.“ Dann heißt es ferner: „Alſo wird
es unſern gebärtechten Narren auch gon, wann ſie von Sonder-
heit des Bartes glorieren, heimlich von dem hölliſchen Löwen
werden ſie gefangen; ſie ſein die, die nüt ehrlichs und mannlichs
verbringen, ſo glorieren ſie in den kleinen Dingen als in dem
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[20/0032] III. Die Neuzeit. und die Geckenhaftigkeit noch in reicher Blüthe ſtanden, zu völ- lig glattem Geſicht und nacktem Hals, der weiteren Entblößung nicht zu gedenken, ein langes, in künſtlichen Locken über die Schultern fallendes Haar die allgemeine Männertracht war. Selbſt der würdige Handwerksmeiſter, und nicht bloß der ſchmucke Geſelle, trägt ſich ſo, wenn auch die dunkle, pelzgeränderte Schaube weit und formlos, aber ehrbar den ganzen Körper um- hüllt. Aber ſchon auf der Scheide des Jahrhunderts erkennen wir die Dämmerung der neuen Zeit: hier und da beginnt das Haar die Schultern und den Rücken zu verlaſſen, ſelbſt Köpfe mit kurzem Haar werden ſichtbar, und vereinzelte Bärte tauchen auf, erſt noch in ſehr verſchiedener Geſtalt, Knebelbärte, Voll- bärte, lang und geſtutzt, halbe Bärte, d. h. nur auf der einen Seite des Geſichts, die andre aber geſchoren, denn theils iſt die rechte Form noch nicht gleich gefunden, theils klebt ihnen noch ein Stück der alten phantaſtiſch eitlen Luſt an Seltſamkeiten an. Die Sittenprediger, die Vertheidiger des Alten, alſo des glatten Geſichts, bemerken das ſofort und rügen die neue Sitte. Sie ſehen darin nur neuen Zuwachs zu der alten Modenmenge und vermögen bei ſo ſtutzerhaftem Auftreten freilich nicht zu erkennen, daß ein andrer Geiſt, ein männlicher, im Werden iſt und zur Erſcheinung ringt. So ſieht Geiler von Kaiſersberg in ſeinen Predigten über das Narrenſchiff die Sache an. „Es ſein andere“, ſagt er, „die tragen Bärt us üppiger Ehr, ſie wöllen ſein Ehr haben, und daß man mit dem Finger uff ſie zög (diciet hic est). Das ſein groß Narren, ſie haben als viel Narrenſchellen, als manch Haar ſie um das Maul und um das Kinn haben. So ſie kein Tugend noch Weisheit in ihnen haben, davon ſie ruhmreich möchten ſein, ſo wöllen ſie von dem Bart gelobet ſein, daß ſie etwas ſonderlichs haben.“ Dann heißt es ferner: „Alſo wird es unſern gebärtechten Narren auch gon, wann ſie von Sonder- heit des Bartes glorieren, heimlich von dem hölliſchen Löwen werden ſie gefangen; ſie ſein die, die nüt ehrlichs und mannlichs verbringen, ſo glorieren ſie in den kleinen Dingen als in dem Bart, ſie ſein weibiſch Mann, glorieren wie die Weiber in Kränz-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/32>, abgerufen am 27.11.2024.