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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
Reifrocks vorgebracht wird, daß er kühl halte und vor der Hitze
des Sommers schütze, wird an anderer Stelle mit folgenden
Versen abgelehnt:

"Wie kommt es, daß man auch im Winter also gehet,
Wann oft ein rauher Nord auf unsre Glieder wehet?
Warum legt man alsdenn den Reifrock nicht von sich?
Doch nein, es kann nicht sein, denn jetzt besinn' ich mich,
Weßwegen ich nur dies zu einer Nachricht melde:
Was vor die Hitze hilft, das hilft auch vor die Kälte."

Weitere Vorwürfe vom Standpunkt der Männer aus erfah-
ren wir in einem andern fliegenden Blatt, welches schon der zwei-
ten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts angehört und allzufrüh
den Reifrock bereits wieder verbannt glaubt. Der dazu gehörige
Kupferstich stellt dar, wie ein mächtiger Reifrock von zwei Män-
nern mit einer Stange auf den Schultern zum Thore hinaus-
getragen wird. Unter den begleitenden Versen finden sich die
folgenden:

"Den Reifrock pfleget man vorjetzt sehr weit zu nehmen,
Daß sich die Glocken selbst vor ihnen müssen schämen;
Weil sie bei Weitem nicht von solchem Umfang seyn;
Zwei Reifröck' nehmen just die breiten Gassen ein.
"Dann sieht man eine Dam' jetzt in die Kirche gehen,
So muß sie sich halb rechts und bald halb links verdrehen,
Bis sie sich durch die Leut', mit ihrem Reifrock schwenkt,
Und mit viel Müh und Schweiß zu ihrem Stuhl hindrängt.
"In Kutschen sehen sie, als wie die Wolkensitzer,
Man sieht von ihrem Aug kaum einen scharfen Blitzer;
Dieweil der Reifrock sich in alle Höh' erstreckt,
So, daß er manchesmal das halb Gesicht bedeckt.
"Es kann kein Cavalier mehr neben ihnen gehen,
Er muß beinah drei Schritt vom Frauenzimmer stehen;
So, daß ja, wann er will von ihnen einen Kuß,
Er solchen mit Gefahr des Lebens wagen muß.
"Denn wer das Honig will von ihren Lippen saugen,
Der muß jetzt Stühl und Bänk und Feuerleitern brauchen,
Bis er zum Purpurmund nur hingelangen kann,
Und mit viel Angst und Müh sein Opfer bringet an."

5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
Reifrocks vorgebracht wird, daß er kühl halte und vor der Hitze
des Sommers ſchütze, wird an anderer Stelle mit folgenden
Verſen abgelehnt:

„Wie kommt es, daß man auch im Winter alſo gehet,
Wann oft ein rauher Nord auf unſre Glieder wehet?
Warum legt man alsdenn den Reifrock nicht von ſich?
Doch nein, es kann nicht ſein, denn jetzt beſinn’ ich mich,
Weßwegen ich nur dies zu einer Nachricht melde:
Was vor die Hitze hilft, das hilft auch vor die Kälte.“

Weitere Vorwürfe vom Standpunkt der Männer aus erfah-
ren wir in einem andern fliegenden Blatt, welches ſchon der zwei-
ten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts angehört und allzufrüh
den Reifrock bereits wieder verbannt glaubt. Der dazu gehörige
Kupferſtich ſtellt dar, wie ein mächtiger Reifrock von zwei Män-
nern mit einer Stange auf den Schultern zum Thore hinaus-
getragen wird. Unter den begleitenden Verſen finden ſich die
folgenden:

„Den Reifrock pfleget man vorjetzt ſehr weit zu nehmen,
Daß ſich die Glocken ſelbſt vor ihnen müſſen ſchämen;
Weil ſie bei Weitem nicht von ſolchem Umfang ſeyn;
Zwei Reifröck’ nehmen juſt die breiten Gaſſen ein.
„Dann ſieht man eine Dam’ jetzt in die Kirche gehen,
So muß ſie ſich halb rechts und bald halb links verdrehen,
Bis ſie ſich durch die Leut’, mit ihrem Reifrock ſchwenkt,
Und mit viel Müh und Schweiß zu ihrem Stuhl hindrängt.
„In Kutſchen ſehen ſie, als wie die Wolkenſitzer,
Man ſieht von ihrem Aug kaum einen ſcharfen Blitzer;
Dieweil der Reifrock ſich in alle Höh’ erſtreckt,
So, daß er manchesmal das halb Geſicht bedeckt.
„Es kann kein Cavalier mehr neben ihnen gehen,
Er muß beinah drei Schritt vom Frauenzimmer ſtehen;
So, daß ja, wann er will von ihnen einen Kuß,
Er ſolchen mit Gefahr des Lebens wagen muß.
„Denn wer das Honig will von ihren Lippen ſaugen,
Der muß jetzt Stühl und Bänk und Feuerleitern brauchen,
Bis er zum Purpurmund nur hingelangen kann,
Und mit viel Angſt und Müh ſein Opfer bringet an.“
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[285/0297] 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. Reifrocks vorgebracht wird, daß er kühl halte und vor der Hitze des Sommers ſchütze, wird an anderer Stelle mit folgenden Verſen abgelehnt: „Wie kommt es, daß man auch im Winter alſo gehet, Wann oft ein rauher Nord auf unſre Glieder wehet? Warum legt man alsdenn den Reifrock nicht von ſich? Doch nein, es kann nicht ſein, denn jetzt beſinn’ ich mich, Weßwegen ich nur dies zu einer Nachricht melde: Was vor die Hitze hilft, das hilft auch vor die Kälte.“ Weitere Vorwürfe vom Standpunkt der Männer aus erfah- ren wir in einem andern fliegenden Blatt, welches ſchon der zwei- ten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts angehört und allzufrüh den Reifrock bereits wieder verbannt glaubt. Der dazu gehörige Kupferſtich ſtellt dar, wie ein mächtiger Reifrock von zwei Män- nern mit einer Stange auf den Schultern zum Thore hinaus- getragen wird. Unter den begleitenden Verſen finden ſich die folgenden: „Den Reifrock pfleget man vorjetzt ſehr weit zu nehmen, Daß ſich die Glocken ſelbſt vor ihnen müſſen ſchämen; Weil ſie bei Weitem nicht von ſolchem Umfang ſeyn; Zwei Reifröck’ nehmen juſt die breiten Gaſſen ein. „Dann ſieht man eine Dam’ jetzt in die Kirche gehen, So muß ſie ſich halb rechts und bald halb links verdrehen, Bis ſie ſich durch die Leut’, mit ihrem Reifrock ſchwenkt, Und mit viel Müh und Schweiß zu ihrem Stuhl hindrängt. „In Kutſchen ſehen ſie, als wie die Wolkenſitzer, Man ſieht von ihrem Aug kaum einen ſcharfen Blitzer; Dieweil der Reifrock ſich in alle Höh’ erſtreckt, So, daß er manchesmal das halb Geſicht bedeckt. „Es kann kein Cavalier mehr neben ihnen gehen, Er muß beinah drei Schritt vom Frauenzimmer ſtehen; So, daß ja, wann er will von ihnen einen Kuß, Er ſolchen mit Gefahr des Lebens wagen muß. „Denn wer das Honig will von ihren Lippen ſaugen, Der muß jetzt Stühl und Bänk und Feuerleitern brauchen, Bis er zum Purpurmund nur hingelangen kann, Und mit viel Angſt und Müh ſein Opfer bringet an.“

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/297>, abgerufen am 09.05.2024.