Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Die Neuzeit.
gemachte Sache, daß man zwar ein von der Natur wohlgebilde-
tes Frauenzimmer lobet, diejenige aber, die sie dabei mit einer
geschickten Taille versehen, den andern vorziehet. Absonderlich
hat das helle Perspectiv des männlichen Auges an uns wahrge-
nommen, daß uns etwas dicke Hüften einen sonderlichen Ornat
geben, mit wenigen, daß der etwas dicke Untertheil unseres Kör-
pers unsern Gang und Tanz sonderlich ziere und um ein großes
Theil ansehnlicher mache, als wenn ein Mägdchen wie ein Rock-
Stecken oder anatomirter Hering aussehe."

Wenn die Männer die vollen Hüften der Damen liebten,
so war ihnen schwerlich mit solchem falschen Ersatz gedient.
Aber das war nicht allein der Punkt des Angriffs und der Ver-
theidigung. In einem andern fliegenden Blatt von 1738 kom-
men im Zwiegespräch die folgenden Verse vor:

Erasto.
"Es ist doch wahr, daß diese Tracht
Das Weibsvolk ganz unkenntlich macht:
Sie sehen wie die kleinen Spinnen,
Die machen viel Gespinnst, und sitzen mitten drinnen.
Silinde.
"Nein! dieser Staat ist nicht zur Pracht,
Vielmehr ganz klüglich ausgedacht:
Die Damen dürfen nicht so schwitzen,
Die Arme könen sich auch auf die Sättel stützen.
Erasto.
"Und eben dieser Pomp und Paus
Sieht just als wie ein Nähpult aus;
Muß man dann nicht zur Schande sagen:
Das Frauenzimmer mag nicht mehr die Arme tragen?
Silinde.
"Die Arme thun's allein noch nit,
Der Fuß hat einen bessern Schritt:
Man kann auch viel geschwinder gehen,
Und darf die vielen Schürz' nicht heben und verdrehen."

Der Grund, welcher gewöhnlich zur Vertheidigung des

III. Die Neuzeit.
gemachte Sache, daß man zwar ein von der Natur wohlgebilde-
tes Frauenzimmer lobet, diejenige aber, die ſie dabei mit einer
geſchickten Taille verſehen, den andern vorziehet. Abſonderlich
hat das helle Perſpectiv des männlichen Auges an uns wahrge-
nommen, daß uns etwas dicke Hüften einen ſonderlichen Ornat
geben, mit wenigen, daß der etwas dicke Untertheil unſeres Kör-
pers unſern Gang und Tanz ſonderlich ziere und um ein großes
Theil anſehnlicher mache, als wenn ein Mägdchen wie ein Rock-
Stecken oder anatomirter Hering ausſehe.“

Wenn die Männer die vollen Hüften der Damen liebten,
ſo war ihnen ſchwerlich mit ſolchem falſchen Erſatz gedient.
Aber das war nicht allein der Punkt des Angriffs und der Ver-
theidigung. In einem andern fliegenden Blatt von 1738 kom-
men im Zwiegeſpräch die folgenden Verſe vor:

Eraſto.
„Es iſt doch wahr, daß dieſe Tracht
Das Weibsvolk ganz unkenntlich macht:
Sie ſehen wie die kleinen Spinnen,
Die machen viel Geſpinnſt, und ſitzen mitten drinnen.
Silinde.
„Nein! dieſer Staat iſt nicht zur Pracht,
Vielmehr ganz klüglich ausgedacht:
Die Damen dürfen nicht ſo ſchwitzen,
Die Arme könen ſich auch auf die Sättel ſtützen.
Eraſto.
„Und eben dieſer Pomp und Paus
Sieht juſt als wie ein Nähpult aus;
Muß man dann nicht zur Schande ſagen:
Das Frauenzimmer mag nicht mehr die Arme tragen?
Silinde.
„Die Arme thun’s allein noch nit,
Der Fuß hat einen beſſern Schritt:
Man kann auch viel geſchwinder gehen,
Und darf die vielen Schürz’ nicht heben und verdrehen.“

Der Grund, welcher gewöhnlich zur Vertheidigung des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0296" n="284"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Die Neuzeit.</fw><lb/>
gemachte Sache, daß man zwar ein von der Natur wohlgebilde-<lb/>
tes Frauenzimmer lobet, diejenige aber, die &#x017F;ie dabei mit einer<lb/>
ge&#x017F;chickten Taille ver&#x017F;ehen, den andern vorziehet. Ab&#x017F;onderlich<lb/>
hat das helle Per&#x017F;pectiv des männlichen Auges an uns wahrge-<lb/>
nommen, daß uns etwas dicke Hüften einen &#x017F;onderlichen Ornat<lb/>
geben, mit wenigen, daß der etwas dicke Untertheil un&#x017F;eres Kör-<lb/>
pers un&#x017F;ern Gang und Tanz &#x017F;onderlich ziere und um ein großes<lb/>
Theil an&#x017F;ehnlicher mache, als wenn ein Mägdchen wie ein Rock-<lb/>
Stecken oder anatomirter Hering aus&#x017F;ehe.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Wenn die Männer die vollen Hüften der Damen liebten,<lb/>
&#x017F;o war ihnen &#x017F;chwerlich mit &#x017F;olchem fal&#x017F;chen Er&#x017F;atz gedient.<lb/>
Aber das war nicht allein der Punkt des Angriffs und der Ver-<lb/>
theidigung. In einem andern fliegenden Blatt von 1738 kom-<lb/>
men im Zwiege&#x017F;präch die folgenden Ver&#x017F;e vor:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <head><hi rendition="#g">Era&#x017F;to</hi>.</head><lb/>
            <l>&#x201E;Es i&#x017F;t doch wahr, daß die&#x017F;e Tracht</l><lb/>
            <l>Das Weibsvolk ganz unkenntlich macht:</l><lb/>
            <l>Sie &#x017F;ehen wie die kleinen Spinnen,</l><lb/>
            <l>Die machen viel Ge&#x017F;pinn&#x017F;t, und &#x017F;itzen mitten drinnen.</l>
          </lg><lb/>
          <lg type="poem">
            <head><hi rendition="#g">Silinde</hi>.</head><lb/>
            <l>&#x201E;Nein! die&#x017F;er Staat i&#x017F;t nicht zur Pracht,</l><lb/>
            <l>Vielmehr ganz klüglich ausgedacht:</l><lb/>
            <l>Die Damen dürfen nicht &#x017F;o &#x017F;chwitzen,</l><lb/>
            <l>Die Arme könen &#x017F;ich auch auf die Sättel &#x017F;tützen.</l>
          </lg><lb/>
          <lg type="poem">
            <head><hi rendition="#g">Era&#x017F;to</hi>.</head><lb/>
            <l>&#x201E;Und eben die&#x017F;er Pomp und Paus</l><lb/>
            <l>Sieht ju&#x017F;t als wie ein Nähpult aus;</l><lb/>
            <l>Muß man dann nicht zur Schande &#x017F;agen:</l><lb/>
            <l>Das Frauenzimmer mag nicht mehr die Arme tragen?</l>
          </lg><lb/>
          <lg type="poem">
            <head><hi rendition="#g">Silinde</hi>.</head><lb/>
            <l>&#x201E;Die Arme thun&#x2019;s allein noch nit,</l><lb/>
            <l>Der Fuß hat einen be&#x017F;&#x017F;ern Schritt:</l><lb/>
            <l>Man kann auch viel ge&#x017F;chwinder gehen,</l><lb/>
            <l>Und darf die vielen Schürz&#x2019; nicht heben und verdrehen.&#x201C;</l>
          </lg><lb/>
          <p>Der Grund, welcher gewöhnlich zur Vertheidigung des<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[284/0296] III. Die Neuzeit. gemachte Sache, daß man zwar ein von der Natur wohlgebilde- tes Frauenzimmer lobet, diejenige aber, die ſie dabei mit einer geſchickten Taille verſehen, den andern vorziehet. Abſonderlich hat das helle Perſpectiv des männlichen Auges an uns wahrge- nommen, daß uns etwas dicke Hüften einen ſonderlichen Ornat geben, mit wenigen, daß der etwas dicke Untertheil unſeres Kör- pers unſern Gang und Tanz ſonderlich ziere und um ein großes Theil anſehnlicher mache, als wenn ein Mägdchen wie ein Rock- Stecken oder anatomirter Hering ausſehe.“ Wenn die Männer die vollen Hüften der Damen liebten, ſo war ihnen ſchwerlich mit ſolchem falſchen Erſatz gedient. Aber das war nicht allein der Punkt des Angriffs und der Ver- theidigung. In einem andern fliegenden Blatt von 1738 kom- men im Zwiegeſpräch die folgenden Verſe vor: Eraſto. „Es iſt doch wahr, daß dieſe Tracht Das Weibsvolk ganz unkenntlich macht: Sie ſehen wie die kleinen Spinnen, Die machen viel Geſpinnſt, und ſitzen mitten drinnen. Silinde. „Nein! dieſer Staat iſt nicht zur Pracht, Vielmehr ganz klüglich ausgedacht: Die Damen dürfen nicht ſo ſchwitzen, Die Arme könen ſich auch auf die Sättel ſtützen. Eraſto. „Und eben dieſer Pomp und Paus Sieht juſt als wie ein Nähpult aus; Muß man dann nicht zur Schande ſagen: Das Frauenzimmer mag nicht mehr die Arme tragen? Silinde. „Die Arme thun’s allein noch nit, Der Fuß hat einen beſſern Schritt: Man kann auch viel geſchwinder gehen, Und darf die vielen Schürz’ nicht heben und verdrehen.“ Der Grund, welcher gewöhnlich zur Vertheidigung des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/296
Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/296>, abgerufen am 09.05.2024.