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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
wie bisher und versah es mit den Seitenlocken und dem Chignon,
brachte aber obendrauf entweder einen Hut oder eine Haube
an, jenachdem man sich en neglige oder en grande parure
kleidete. Neglige ist nicht grade im heutigen Sinne zu verstehen,
sondern man nannte damals so jede Toilette, welche nicht fest-
liche Ballkleidung war oder zu Hofe getragen wurde. Da die
Hoftracht immer im Verhältniß mehr Stabilität hat, so ist es
vorzugsweise das Neglige im damaligen Sinne, an welchem die
Geschichte der Mode vor sich geht. Der Damenhut, wie er jetzt
auf's neue wieder aufkommt, ist nur eine Nachahmung des
männlichen, nicht aber des dreieckigen, sondern des runden Hutes,
wie wir ihn noch heute sehen, und der damals zuerst gegen die
Herrschaft des dreieckigen auf den Kampfplatz trat. Wir werden
darauf zurückkommen. Aber die Damen trugen ihn in weit viel-
facherer Gestalt als die Herren, und immer ziemlich grotesk, daß
er sich noch gegen die mächtige Frisur, die er decken sollte, in
einigem Ansehn halten konnte. Sie trugen ihn von Castor mit
hohem oder niedrigem Kopf, mit schmalem oder breitem, auch
rauhem Rande, a l'ourse genannt, und sie trugen ihn leichter
von Seide, Taffet, geflochtenem Stroh und anderen Stoffen.
Mit Rand und Kopf fingen sie ein launenhaft phantastisches
Spiel an und wußten hunderte von Formen herauszubringen,
denen sie Aehren, Blumen, Bänder und viel anderen Schmuck
hinzugesellten. Hier haben wir den Anfang des modernen Da-
menhutes, der nun in raschen Lebenszügen eine sehr wechselvolle
Geschichte betritt, die ihn am Ende auf den heutigen und viel-
leicht letzten Standpunkt gebracht hat, denn sein Kampf mit dem
"letzten Versuch", mit "Pamela" und ihrem Gelichter dürfte ein
verzweiflungsvoller sein.

Noch weit mannigfacher waren die Formen der Haube, und
man kann sagen, sie kannten gar keine Grenzen, denn da ihr
eigentliches Material fast nur ein Stück Zeug war, sei es nun
Seide, Atlas, der so beliebte Linon oder sonst irgend ein klarer,
feiner Stoff, so kam es nur darauf an, es in irgend eine Form
zu bringen und mit der Coiffüre zu verbinden. Regeln war

5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
wie bisher und verſah es mit den Seitenlocken und dem Chignon,
brachte aber obendrauf entweder einen Hut oder eine Haube
an, jenachdem man ſich en négligé oder en grande parure
kleidete. Negligé iſt nicht grade im heutigen Sinne zu verſtehen,
ſondern man nannte damals ſo jede Toilette, welche nicht feſt-
liche Ballkleidung war oder zu Hofe getragen wurde. Da die
Hoftracht immer im Verhältniß mehr Stabilität hat, ſo iſt es
vorzugsweiſe das Negligé im damaligen Sinne, an welchem die
Geſchichte der Mode vor ſich geht. Der Damenhut, wie er jetzt
auf’s neue wieder aufkommt, iſt nur eine Nachahmung des
männlichen, nicht aber des dreieckigen, ſondern des runden Hutes,
wie wir ihn noch heute ſehen, und der damals zuerſt gegen die
Herrſchaft des dreieckigen auf den Kampfplatz trat. Wir werden
darauf zurückkommen. Aber die Damen trugen ihn in weit viel-
facherer Geſtalt als die Herren, und immer ziemlich grotesk, daß
er ſich noch gegen die mächtige Friſur, die er decken ſollte, in
einigem Anſehn halten konnte. Sie trugen ihn von Caſtor mit
hohem oder niedrigem Kopf, mit ſchmalem oder breitem, auch
rauhem Rande, à l’ourse genannt, und ſie trugen ihn leichter
von Seide, Taffet, geflochtenem Stroh und anderen Stoffen.
Mit Rand und Kopf fingen ſie ein launenhaft phantaſtiſches
Spiel an und wußten hunderte von Formen herauszubringen,
denen ſie Aehren, Blumen, Bänder und viel anderen Schmuck
hinzugeſellten. Hier haben wir den Anfang des modernen Da-
menhutes, der nun in raſchen Lebenszügen eine ſehr wechſelvolle
Geſchichte betritt, die ihn am Ende auf den heutigen und viel-
leicht letzten Standpunkt gebracht hat, denn ſein Kampf mit dem
„letzten Verſuch“, mit „Pamela“ und ihrem Gelichter dürfte ein
verzweiflungsvoller ſein.

Noch weit mannigfacher waren die Formen der Haube, und
man kann ſagen, ſie kannten gar keine Grenzen, denn da ihr
eigentliches Material faſt nur ein Stück Zeug war, ſei es nun
Seide, Atlas, der ſo beliebte Linon oder ſonſt irgend ein klarer,
feiner Stoff, ſo kam es nur darauf an, es in irgend eine Form
zu bringen und mit der Coiffüre zu verbinden. Regeln war

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[281/0293] 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. wie bisher und verſah es mit den Seitenlocken und dem Chignon, brachte aber obendrauf entweder einen Hut oder eine Haube an, jenachdem man ſich en négligé oder en grande parure kleidete. Negligé iſt nicht grade im heutigen Sinne zu verſtehen, ſondern man nannte damals ſo jede Toilette, welche nicht feſt- liche Ballkleidung war oder zu Hofe getragen wurde. Da die Hoftracht immer im Verhältniß mehr Stabilität hat, ſo iſt es vorzugsweiſe das Negligé im damaligen Sinne, an welchem die Geſchichte der Mode vor ſich geht. Der Damenhut, wie er jetzt auf’s neue wieder aufkommt, iſt nur eine Nachahmung des männlichen, nicht aber des dreieckigen, ſondern des runden Hutes, wie wir ihn noch heute ſehen, und der damals zuerſt gegen die Herrſchaft des dreieckigen auf den Kampfplatz trat. Wir werden darauf zurückkommen. Aber die Damen trugen ihn in weit viel- facherer Geſtalt als die Herren, und immer ziemlich grotesk, daß er ſich noch gegen die mächtige Friſur, die er decken ſollte, in einigem Anſehn halten konnte. Sie trugen ihn von Caſtor mit hohem oder niedrigem Kopf, mit ſchmalem oder breitem, auch rauhem Rande, à l’ourse genannt, und ſie trugen ihn leichter von Seide, Taffet, geflochtenem Stroh und anderen Stoffen. Mit Rand und Kopf fingen ſie ein launenhaft phantaſtiſches Spiel an und wußten hunderte von Formen herauszubringen, denen ſie Aehren, Blumen, Bänder und viel anderen Schmuck hinzugeſellten. Hier haben wir den Anfang des modernen Da- menhutes, der nun in raſchen Lebenszügen eine ſehr wechſelvolle Geſchichte betritt, die ihn am Ende auf den heutigen und viel- leicht letzten Standpunkt gebracht hat, denn ſein Kampf mit dem „letzten Verſuch“, mit „Pamela“ und ihrem Gelichter dürfte ein verzweiflungsvoller ſein. Noch weit mannigfacher waren die Formen der Haube, und man kann ſagen, ſie kannten gar keine Grenzen, denn da ihr eigentliches Material faſt nur ein Stück Zeug war, ſei es nun Seide, Atlas, der ſo beliebte Linon oder ſonſt irgend ein klarer, feiner Stoff, ſo kam es nur darauf an, es in irgend eine Form zu bringen und mit der Coiffüre zu verbinden. Regeln war

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/293>, abgerufen am 09.05.2024.