Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.III. Die Neuzeit. niemand unterworfen. Zu weiterem Schmuck gesellten sichdann noch Blumen, Bänder, Perlschnüre, Blonden und derglei- chen wie beim Hut hinzu. Von dieser Willkür und Mannigfal- tigkeit ist es nicht möglich, selbst durch einzelne Bilder einen hin- länglichen Begriff entstehen zu lassen: die Kopftrachten drängten sich in diesen Jahren, namentlich von 1780 bis in die neunziger hinein, in dem Maße hervor, daß sie fast den allein interessiren- den Gegenstand der Modejournale auszumachen schienen. Wenn die Haube zur grande parure gehörte, so war sie Als die hohen Hauben in ihre Blüthezeit traten, näherte III. Die Neuzeit. niemand unterworfen. Zu weiterem Schmuck geſellten ſichdann noch Blumen, Bänder, Perlſchnüre, Blonden und derglei- chen wie beim Hut hinzu. Von dieſer Willkür und Mannigfal- tigkeit iſt es nicht möglich, ſelbſt durch einzelne Bilder einen hin- länglichen Begriff entſtehen zu laſſen: die Kopftrachten drängten ſich in dieſen Jahren, namentlich von 1780 bis in die neunziger hinein, in dem Maße hervor, daß ſie faſt den allein intereſſiren- den Gegenſtand der Modejournale auszumachen ſchienen. Wenn die Haube zur grande parure gehörte, ſo war ſie Als die hohen Hauben in ihre Blüthezeit traten, näherte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0294" n="282"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Die Neuzeit.</fw><lb/> niemand unterworfen. Zu weiterem Schmuck geſellten ſich<lb/> dann noch Blumen, Bänder, Perlſchnüre, Blonden und derglei-<lb/> chen wie beim Hut hinzu. Von dieſer Willkür und Mannigfal-<lb/> tigkeit iſt es nicht möglich, ſelbſt durch einzelne Bilder einen hin-<lb/> länglichen Begriff entſtehen zu laſſen: die Kopftrachten drängten<lb/> ſich in dieſen Jahren, namentlich von 1780 bis in die neunziger<lb/> hinein, in dem Maße hervor, daß ſie faſt den allein intereſſiren-<lb/> den Gegenſtand der Modejournale auszumachen ſchienen.</p><lb/> <p>Wenn die Haube zur <hi rendition="#aq">grande parure</hi> gehörte, ſo war ſie<lb/> deßhalb doch nicht vom Neglig<hi rendition="#aq">é</hi> ausgeſchloſſen, vielmehr gab es<lb/> Formen derſelben, welche grade dieſes im heutigen Sinne be-<lb/> zeichneten. Das waren z. B. die <hi rendition="#g">Dormeuſen</hi> und <hi rendition="#g">Baig-<lb/> neuſen</hi>, Hauben, welche ältere Damen oder Bürgerfrauen der<lb/> größeren Einfachheit und Bequemlichkeit halber trugen, aber<lb/> auch vornehme Damen aufſetzten, wenn ſie, z. B. in der Kirche<lb/> oder auf Promenaden, durch abſichtliches Neglig<hi rendition="#aq">é</hi> ſich von den<lb/> geputzten Bürgerinnen unterſcheiden wollten. Im Allgemeinen<lb/> trug der Hut, namentlich der Caſtor, damals noch etwas revolu-<lb/> tionären oder emancipationsſüchtigen Charakter, etwas frei- oder<lb/> ſchöngeiſtig Stutzerhaftes, was wir in der Männerwelt noch<lb/> näher werden kennen lernen. Einer Art von Hauben, welche<lb/> auch zur höchſten Toilette gültig war, müſſen wir noch beſon-<lb/> ders gedenken, das ſind alle die Formen, welche man <hi rendition="#aq">à la Turque</hi><lb/> nannte, und deren ſcheinbares Vorbild der Turban war. Wir<lb/> ſagen ſcheinbares, denn man hätte ihn kaum ohne es zu wiſſen<lb/> in dieſem weißen oder farbigen Stoff erkannt, der ſich nicht um<lb/> die Stirn, ſondern um die Friſur einen oder anderthalb Fuß<lb/> höher in phantaſtiſcher Weiſe herumſchlang. Die Vorliebe für<lb/> das <hi rendition="#aq">à la Turque,</hi> welches auch auf die Robe überging und ſich<lb/> noch länger in wechſelnden Formen gegenüber dem <hi rendition="#aq">à la Grecque</hi><lb/> erhielt, verdankt ihre Entſtehung dem Intereſſe, welches man<lb/> in der Friedenszeit der achtziger Jahre an dem Türkenkriege<lb/> nahm.</p><lb/> <p>Als die hohen Hauben in ihre Blüthezeit traten, näherte<lb/> ſich der <hi rendition="#g">Reifrock</hi>, wenigſtens bei dem gewöhnlichen Anzug,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [282/0294]
III. Die Neuzeit.
niemand unterworfen. Zu weiterem Schmuck geſellten ſich
dann noch Blumen, Bänder, Perlſchnüre, Blonden und derglei-
chen wie beim Hut hinzu. Von dieſer Willkür und Mannigfal-
tigkeit iſt es nicht möglich, ſelbſt durch einzelne Bilder einen hin-
länglichen Begriff entſtehen zu laſſen: die Kopftrachten drängten
ſich in dieſen Jahren, namentlich von 1780 bis in die neunziger
hinein, in dem Maße hervor, daß ſie faſt den allein intereſſiren-
den Gegenſtand der Modejournale auszumachen ſchienen.
Wenn die Haube zur grande parure gehörte, ſo war ſie
deßhalb doch nicht vom Negligé ausgeſchloſſen, vielmehr gab es
Formen derſelben, welche grade dieſes im heutigen Sinne be-
zeichneten. Das waren z. B. die Dormeuſen und Baig-
neuſen, Hauben, welche ältere Damen oder Bürgerfrauen der
größeren Einfachheit und Bequemlichkeit halber trugen, aber
auch vornehme Damen aufſetzten, wenn ſie, z. B. in der Kirche
oder auf Promenaden, durch abſichtliches Negligé ſich von den
geputzten Bürgerinnen unterſcheiden wollten. Im Allgemeinen
trug der Hut, namentlich der Caſtor, damals noch etwas revolu-
tionären oder emancipationsſüchtigen Charakter, etwas frei- oder
ſchöngeiſtig Stutzerhaftes, was wir in der Männerwelt noch
näher werden kennen lernen. Einer Art von Hauben, welche
auch zur höchſten Toilette gültig war, müſſen wir noch beſon-
ders gedenken, das ſind alle die Formen, welche man à la Turque
nannte, und deren ſcheinbares Vorbild der Turban war. Wir
ſagen ſcheinbares, denn man hätte ihn kaum ohne es zu wiſſen
in dieſem weißen oder farbigen Stoff erkannt, der ſich nicht um
die Stirn, ſondern um die Friſur einen oder anderthalb Fuß
höher in phantaſtiſcher Weiſe herumſchlang. Die Vorliebe für
das à la Turque, welches auch auf die Robe überging und ſich
noch länger in wechſelnden Formen gegenüber dem à la Grecque
erhielt, verdankt ihre Entſtehung dem Intereſſe, welches man
in der Friedenszeit der achtziger Jahre an dem Türkenkriege
nahm.
Als die hohen Hauben in ihre Blüthezeit traten, näherte
ſich der Reifrock, wenigſtens bei dem gewöhnlichen Anzug,
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