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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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andere Früchte. Noch andere Göttinnen genossen das Glück, in
dieser Weise gefeiert zu werden: es gab Coiffüren a la Ceres,
a la Calipso, a la Junon,
und selbst der Minerva Helm, aus
leichtem Seidenstoff kunstreich fabrizirt, mit Federn und rauhem
Busch, prangte auf Damenköpfen. Eine Dame gerieth auf den
Einfall, ihre Frisur mit einem Viermaster mit schwellenden Se-
geln zu krönen -- ein Gedanke, von dem man nicht weiß, ob er
ihrer Erfindungsgabe oder ihrem Geschmack mehr Ehre macht.
Eine andre baute sich oben ein Zelt mit wehender Fahne, eine
dritte einen vollständigen Blumengarten, eine vierte bekränzte
sich a la Victoire mit einem Wald von Eichen und Lorbeer.
Andere feierten berühmte Personen und nannten ihre Coiffüren
caprice de Voltaire oder chapeau a la Hamlet oder a la Bayard,
a la Randan,
letzte nach einer beliebten damaligen Schauspielerin;
nach der Oper gab es Coiffüren a la Tarare, a la Figaro u. a.
Was sich nur Bemerkenswerthes auf der Bühne des Lebens oder
der Breter ereignete, wurde auf diese Weise, man kann nicht
sagen, verewigt, denn schon der nächste Tag brachte eine andere
Neuigkeit, auch nicht der Nachwelt überliefert, wohl aber be-
schäftigte es die Damenköpfe in zwar äußerlicher, doch sehr
mühevoller Weise. Auch geistige und seelische Beziehungen
glaubte man in diesen Formen ausdrücken zu können; es gab
eine Frisur, die nannte man consideration, andere philosophale,
inclination, a la Philanthropine, a la bonne fortune
u. s. w.
Diese Namen lauten zwar alle französisch, aber keineswegs waren
die Pariserinnen die einzigen, welche den Ruhm der Erfindung
in Anspruch zu nehmen hatten; er wurde ihnen vielfach von den
Damen Wiens und Berlins und selbst von denen Leipzigs und
Frankfurts streitig gemacht. Später waren die deutschen Damen
ihrer eigenen Phantasie sogar völlig überlassen, als die Revo-
lution Frankreich ergriff und erst die Mode in Paris zum Still-
stand brachte und sie dann in eine andere Richtung hineinwarf.

Allmählig bilden sich aus der unübersehbaren, gesetzlosen
Fülle zwei Grundformen heraus, die freilich in sich wieder die
äußerste Willkür zulassen. Zwar thürmte man das Haar noch

III. Die Neuzeit.
andere Früchte. Noch andere Göttinnen genoſſen das Glück, in
dieſer Weiſe gefeiert zu werden: es gab Coiffüren à la Ceres,
à la Calipso, à la Junon,
und ſelbſt der Minerva Helm, aus
leichtem Seidenſtoff kunſtreich fabrizirt, mit Federn und rauhem
Buſch, prangte auf Damenköpfen. Eine Dame gerieth auf den
Einfall, ihre Friſur mit einem Viermaſter mit ſchwellenden Se-
geln zu krönen — ein Gedanke, von dem man nicht weiß, ob er
ihrer Erfindungsgabe oder ihrem Geſchmack mehr Ehre macht.
Eine andre baute ſich oben ein Zelt mit wehender Fahne, eine
dritte einen vollſtändigen Blumengarten, eine vierte bekränzte
ſich à la Victoire mit einem Wald von Eichen und Lorbeer.
Andere feierten berühmte Perſonen und nannten ihre Coiffüren
caprice de Voltaire oder chapeau à la Hamlet oder à la Bayard,
à la Randan,
letzte nach einer beliebten damaligen Schauſpielerin;
nach der Oper gab es Coiffüren à la Tarare, à la Figaro u. a.
Was ſich nur Bemerkenswerthes auf der Bühne des Lebens oder
der Breter ereignete, wurde auf dieſe Weiſe, man kann nicht
ſagen, verewigt, denn ſchon der nächſte Tag brachte eine andere
Neuigkeit, auch nicht der Nachwelt überliefert, wohl aber be-
ſchäftigte es die Damenköpfe in zwar äußerlicher, doch ſehr
mühevoller Weiſe. Auch geiſtige und ſeeliſche Beziehungen
glaubte man in dieſen Formen ausdrücken zu können; es gab
eine Friſur, die nannte man consideration, andere philosophale,
inclination, à la Philanthropine, à la bonne fortune
u. ſ. w.
Dieſe Namen lauten zwar alle franzöſiſch, aber keineswegs waren
die Pariſerinnen die einzigen, welche den Ruhm der Erfindung
in Anſpruch zu nehmen hatten; er wurde ihnen vielfach von den
Damen Wiens und Berlins und ſelbſt von denen Leipzigs und
Frankfurts ſtreitig gemacht. Später waren die deutſchen Damen
ihrer eigenen Phantaſie ſogar völlig überlaſſen, als die Revo-
lution Frankreich ergriff und erſt die Mode in Paris zum Still-
ſtand brachte und ſie dann in eine andere Richtung hineinwarf.

Allmählig bilden ſich aus der unüberſehbaren, geſetzloſen
Fülle zwei Grundformen heraus, die freilich in ſich wieder die
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[280/0292] III. Die Neuzeit. andere Früchte. Noch andere Göttinnen genoſſen das Glück, in dieſer Weiſe gefeiert zu werden: es gab Coiffüren à la Ceres, à la Calipso, à la Junon, und ſelbſt der Minerva Helm, aus leichtem Seidenſtoff kunſtreich fabrizirt, mit Federn und rauhem Buſch, prangte auf Damenköpfen. Eine Dame gerieth auf den Einfall, ihre Friſur mit einem Viermaſter mit ſchwellenden Se- geln zu krönen — ein Gedanke, von dem man nicht weiß, ob er ihrer Erfindungsgabe oder ihrem Geſchmack mehr Ehre macht. Eine andre baute ſich oben ein Zelt mit wehender Fahne, eine dritte einen vollſtändigen Blumengarten, eine vierte bekränzte ſich à la Victoire mit einem Wald von Eichen und Lorbeer. Andere feierten berühmte Perſonen und nannten ihre Coiffüren caprice de Voltaire oder chapeau à la Hamlet oder à la Bayard, à la Randan, letzte nach einer beliebten damaligen Schauſpielerin; nach der Oper gab es Coiffüren à la Tarare, à la Figaro u. a. Was ſich nur Bemerkenswerthes auf der Bühne des Lebens oder der Breter ereignete, wurde auf dieſe Weiſe, man kann nicht ſagen, verewigt, denn ſchon der nächſte Tag brachte eine andere Neuigkeit, auch nicht der Nachwelt überliefert, wohl aber be- ſchäftigte es die Damenköpfe in zwar äußerlicher, doch ſehr mühevoller Weiſe. Auch geiſtige und ſeeliſche Beziehungen glaubte man in dieſen Formen ausdrücken zu können; es gab eine Friſur, die nannte man consideration, andere philosophale, inclination, à la Philanthropine, à la bonne fortune u. ſ. w. Dieſe Namen lauten zwar alle franzöſiſch, aber keineswegs waren die Pariſerinnen die einzigen, welche den Ruhm der Erfindung in Anſpruch zu nehmen hatten; er wurde ihnen vielfach von den Damen Wiens und Berlins und ſelbſt von denen Leipzigs und Frankfurts ſtreitig gemacht. Später waren die deutſchen Damen ihrer eigenen Phantaſie ſogar völlig überlaſſen, als die Revo- lution Frankreich ergriff und erſt die Mode in Paris zum Still- ſtand brachte und ſie dann in eine andere Richtung hineinwarf. Allmählig bilden ſich aus der unüberſehbaren, geſetzloſen Fülle zwei Grundformen heraus, die freilich in ſich wieder die äußerſte Willkür zulaſſen. Zwar thürmte man das Haar noch

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/292>, abgerufen am 09.05.2024.