herab, zwei "Brustlocken" umspielen den Busen, während die Haare des Hinterhauptes frei den Rücken herabfallen, was man a la Conseillere nannte, oder gewöhnlicher mit den Spitzen von unten wieder aufgenommen und im Nacken als Chignon befestigt sind. Später umfaßte der Chignon auch andere Formen.
Innerhalb dieser allgemeinen Umrisse aber, in welchen die Phantasie von der Mode gebannt gehalten wurde, herrschte wei- ter kein Gesetz, und es ergingen sich darin die Launen der Damen und Haarkünstler mit einer Freiheit oder vielmehr einer Will- kür, welche weitaus alles überbot, was nur das funfzehnte Jahr- hundert von abenteuerlichen und mißgestalteten Kopftrachten zu Tage gefördert hatte. Der Begriff einer Haarfrisur oder Kopf- bedeckung hört ganz auf; was der Caprice einfällt, mag die Mythologie, die Geschichte, die Natur oder sonst die umgeben- den Dinge den Gedanken leihen, es findet sein Andenken, sein Ehrendenkmal, sein Abbild auf dem Kopf der Damen. Einmal erfunden und mit Mühe und Noth hergestellt, fehlt es alsobald nicht an Nachahmerinnen, und mit der Schnelligkeit der Mode fliegt die neue Erfindung durch die civilisirte Welt, um schon am nächsten Tage von einem andern Haargebäude wieder verdrängt zu werden. Denn in der That gebiert jeder Tag nicht bloß eine, sondern eine Menge solcher Ungestalten, da jede tonangebende Dame, jeder Haarkünstler zu solcher Erfindung befähigt war, und nur die immerwährende Neuheit ihren Modeeinfluß sicherte.
Obwohl es ebensowohl unmöglich ist, die Menge der ein- ander drängenden und vertreibenden Coiffüren anzugeben, wie durch die Beschreibung ein Bild der abenteuerlichen Gestalten entstehen zu lassen, will ich doch einiger dieser Sonderbarkeiten beispielsweise näher gedenken. Die Dame, welche sich a la Flore coiffirte, trug hoch oben auf der starrenden Frisur einen aus den Haarflechten -- wir wollen aber nicht behaupten, daß es ächte waren -- künstlich gewundenen Korb, der mit natürlichen Blu- men aller Art angefüllt war. Aehnlich war die Frisur a la Pomone; der Korb oder die Schüssel war aus Taffet fabrizirt, und darin lagen im Weinlaub Trauben, Limonien, Birnen und
5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
herab, zwei „Bruſtlocken“ umſpielen den Buſen, während die Haare des Hinterhauptes frei den Rücken herabfallen, was man à la Conseillère nannte, oder gewöhnlicher mit den Spitzen von unten wieder aufgenommen und im Nacken als Chignon befeſtigt ſind. Später umfaßte der Chignon auch andere Formen.
Innerhalb dieſer allgemeinen Umriſſe aber, in welchen die Phantaſie von der Mode gebannt gehalten wurde, herrſchte wei- ter kein Geſetz, und es ergingen ſich darin die Launen der Damen und Haarkünſtler mit einer Freiheit oder vielmehr einer Will- kür, welche weitaus alles überbot, was nur das funfzehnte Jahr- hundert von abenteuerlichen und mißgeſtalteten Kopftrachten zu Tage gefördert hatte. Der Begriff einer Haarfriſur oder Kopf- bedeckung hört ganz auf; was der Caprice einfällt, mag die Mythologie, die Geſchichte, die Natur oder ſonſt die umgeben- den Dinge den Gedanken leihen, es findet ſein Andenken, ſein Ehrendenkmal, ſein Abbild auf dem Kopf der Damen. Einmal erfunden und mit Mühe und Noth hergeſtellt, fehlt es alſobald nicht an Nachahmerinnen, und mit der Schnelligkeit der Mode fliegt die neue Erfindung durch die civiliſirte Welt, um ſchon am nächſten Tage von einem andern Haargebäude wieder verdrängt zu werden. Denn in der That gebiert jeder Tag nicht bloß eine, ſondern eine Menge ſolcher Ungeſtalten, da jede tonangebende Dame, jeder Haarkünſtler zu ſolcher Erfindung befähigt war, und nur die immerwährende Neuheit ihren Modeeinfluß ſicherte.
Obwohl es ebenſowohl unmöglich iſt, die Menge der ein- ander drängenden und vertreibenden Coiffüren anzugeben, wie durch die Beſchreibung ein Bild der abenteuerlichen Geſtalten entſtehen zu laſſen, will ich doch einiger dieſer Sonderbarkeiten beiſpielsweiſe näher gedenken. Die Dame, welche ſich à la Flore coiffirte, trug hoch oben auf der ſtarrenden Friſur einen aus den Haarflechten — wir wollen aber nicht behaupten, daß es ächte waren — künſtlich gewundenen Korb, der mit natürlichen Blu- men aller Art angefüllt war. Aehnlich war die Friſur à la Pomone; der Korb oder die Schüſſel war aus Taffet fabrizirt, und darin lagen im Weinlaub Trauben, Limonien, Birnen und
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5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
herab, zwei „Bruſtlocken“ umſpielen den Buſen, während die
Haare des Hinterhauptes frei den Rücken herabfallen, was man
à la Conseillère nannte, oder gewöhnlicher mit den Spitzen von
unten wieder aufgenommen und im Nacken als Chignon befeſtigt
ſind. Später umfaßte der Chignon auch andere Formen.
Innerhalb dieſer allgemeinen Umriſſe aber, in welchen die
Phantaſie von der Mode gebannt gehalten wurde, herrſchte wei-
ter kein Geſetz, und es ergingen ſich darin die Launen der Damen
und Haarkünſtler mit einer Freiheit oder vielmehr einer Will-
kür, welche weitaus alles überbot, was nur das funfzehnte Jahr-
hundert von abenteuerlichen und mißgeſtalteten Kopftrachten zu
Tage gefördert hatte. Der Begriff einer Haarfriſur oder Kopf-
bedeckung hört ganz auf; was der Caprice einfällt, mag die
Mythologie, die Geſchichte, die Natur oder ſonſt die umgeben-
den Dinge den Gedanken leihen, es findet ſein Andenken, ſein
Ehrendenkmal, ſein Abbild auf dem Kopf der Damen. Einmal
erfunden und mit Mühe und Noth hergeſtellt, fehlt es alſobald
nicht an Nachahmerinnen, und mit der Schnelligkeit der Mode
fliegt die neue Erfindung durch die civiliſirte Welt, um ſchon am
nächſten Tage von einem andern Haargebäude wieder verdrängt
zu werden. Denn in der That gebiert jeder Tag nicht bloß eine,
ſondern eine Menge ſolcher Ungeſtalten, da jede tonangebende
Dame, jeder Haarkünſtler zu ſolcher Erfindung befähigt war,
und nur die immerwährende Neuheit ihren Modeeinfluß ſicherte.
Obwohl es ebenſowohl unmöglich iſt, die Menge der ein-
ander drängenden und vertreibenden Coiffüren anzugeben, wie
durch die Beſchreibung ein Bild der abenteuerlichen Geſtalten
entſtehen zu laſſen, will ich doch einiger dieſer Sonderbarkeiten
beiſpielsweiſe näher gedenken. Die Dame, welche ſich à la Flore
coiffirte, trug hoch oben auf der ſtarrenden Friſur einen aus den
Haarflechten — wir wollen aber nicht behaupten, daß es ächte
waren — künſtlich gewundenen Korb, der mit natürlichen Blu-
men aller Art angefüllt war. Aehnlich war die Friſur à la
Pomone; der Korb oder die Schüſſel war aus Taffet fabrizirt,
und darin lagen im Weinlaub Trauben, Limonien, Birnen und
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/291>, abgerufen am 28.07.2024.
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