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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
hunderts und der schärfste Beobachter der Lächerlichkeiten des-
selben, mit seinen überaus gründlichen Untersuchungen über die
Schönheitslinie diese Thorheit am eifrigsten trieb.

Es ist dieselbe Sucht zu schematisiren, oder wenn man will
dasselbe Schönheits- und Stilgefühl, welches im Militärwesen
den sogenannten Gamaschendienst hervorrief, der mit dem Zopf
und der Gleichmacherei dieser Zeit, die alles über einen Kamm
schor und die Menschen wie Bausteine behandelte, auf's engste
verschwistert ist. Die schnurgrade Linie der Fronte, die kerzen-
grade Haltung, die Höhengleichheit aller Köpfe und die exacten,
absolut gleichen Tempos, das ist's, was das Wesen des Sol-
daten ausmacht, welches in der Potsdamer Garde sprichwörtlich
sich idealisch verkörpert findet. Der Soldat ist absolut willenlos
und hat nicht Freiheit der Bewegung noch eine Ehre für sich.
Der Grenadier ist somit der völlige Gegensatz des flotten, freien
Landsknechts, der, obwohl er weiß, daß im Haufen die Macht
liegt, dennoch seine eigene Ehre und, den augenblicklichen Dienst
abgerechnet, auch seinen eigenen Willen sich bewahrt. Wie diese
beiden Typen der militärischen Welt den Gegensatz bilden, so
verhalten sich auch in der That die Reformationsperiode und das
achtzehnte Jahrhundert zu einander.

Es ist höchst bezeichnend, daß der erste Friedrich Wilhelm
von Preußen es sein mußte, trotz seiner deutschesten Gesinnung
und anerkannt tüchtigen Eigenschaften, welcher den Gamaschen-
dienst auf die Spitze trieb, denn er war zu gleicher Zeit der eigen-
willigste Autokrat und kann als der Erfinder des Zopfes be-
zeichnet werden, der ja allgemein als das prägnanteste Symbol
dieser Zeit gilt. Denn vergegenwärtigen wir uns die Gestalt
der Zopffrisur, die knappe Zusammenfassung der Haare, das
Süßlichkleine, Erzwungene und Affectirte, weiß angetüncht, mit
dem widerlichen Anhängsel im Nacken, das, ächt und unächt,
noch besonders gesteift wird, so haben wir Schwäche und Kleinig-
keitskrämerei, Pedanterie und Systemmacherei, den Gamaschen-
dienst und Manierirtheit mit einander verkörpert.

Und doch schlummert auch in ihm die Ahnung einer neuen

III. Die Neuzeit.
hunderts und der ſchärfſte Beobachter der Lächerlichkeiten deſ-
ſelben, mit ſeinen überaus gründlichen Unterſuchungen über die
Schönheitslinie dieſe Thorheit am eifrigſten trieb.

Es iſt dieſelbe Sucht zu ſchematiſiren, oder wenn man will
daſſelbe Schönheits- und Stilgefühl, welches im Militärweſen
den ſogenannten Gamaſchendienſt hervorrief, der mit dem Zopf
und der Gleichmacherei dieſer Zeit, die alles über einen Kamm
ſchor und die Menſchen wie Bauſteine behandelte, auf’s engſte
verſchwiſtert iſt. Die ſchnurgrade Linie der Fronte, die kerzen-
grade Haltung, die Höhengleichheit aller Köpfe und die exacten,
abſolut gleichen Tempos, das iſt’s, was das Weſen des Sol-
daten ausmacht, welches in der Potsdamer Garde ſprichwörtlich
ſich idealiſch verkörpert findet. Der Soldat iſt abſolut willenlos
und hat nicht Freiheit der Bewegung noch eine Ehre für ſich.
Der Grenadier iſt ſomit der völlige Gegenſatz des flotten, freien
Landsknechts, der, obwohl er weiß, daß im Haufen die Macht
liegt, dennoch ſeine eigene Ehre und, den augenblicklichen Dienſt
abgerechnet, auch ſeinen eigenen Willen ſich bewahrt. Wie dieſe
beiden Typen der militäriſchen Welt den Gegenſatz bilden, ſo
verhalten ſich auch in der That die Reformationsperiode und das
achtzehnte Jahrhundert zu einander.

Es iſt höchſt bezeichnend, daß der erſte Friedrich Wilhelm
von Preußen es ſein mußte, trotz ſeiner deutſcheſten Geſinnung
und anerkannt tüchtigen Eigenſchaften, welcher den Gamaſchen-
dienſt auf die Spitze trieb, denn er war zu gleicher Zeit der eigen-
willigſte Autokrat und kann als der Erfinder des Zopfes be-
zeichnet werden, der ja allgemein als das prägnanteſte Symbol
dieſer Zeit gilt. Denn vergegenwärtigen wir uns die Geſtalt
der Zopffriſur, die knappe Zuſammenfaſſung der Haare, das
Süßlichkleine, Erzwungene und Affectirte, weiß angetüncht, mit
dem widerlichen Anhängſel im Nacken, das, ächt und unächt,
noch beſonders geſteift wird, ſo haben wir Schwäche und Kleinig-
keitskrämerei, Pedanterie und Syſtemmacherei, den Gamaſchen-
dienſt und Manierirtheit mit einander verkörpert.

Und doch ſchlummert auch in ihm die Ahnung einer neuen

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[266/0278] III. Die Neuzeit. hunderts und der ſchärfſte Beobachter der Lächerlichkeiten deſ- ſelben, mit ſeinen überaus gründlichen Unterſuchungen über die Schönheitslinie dieſe Thorheit am eifrigſten trieb. Es iſt dieſelbe Sucht zu ſchematiſiren, oder wenn man will daſſelbe Schönheits- und Stilgefühl, welches im Militärweſen den ſogenannten Gamaſchendienſt hervorrief, der mit dem Zopf und der Gleichmacherei dieſer Zeit, die alles über einen Kamm ſchor und die Menſchen wie Bauſteine behandelte, auf’s engſte verſchwiſtert iſt. Die ſchnurgrade Linie der Fronte, die kerzen- grade Haltung, die Höhengleichheit aller Köpfe und die exacten, abſolut gleichen Tempos, das iſt’s, was das Weſen des Sol- daten ausmacht, welches in der Potsdamer Garde ſprichwörtlich ſich idealiſch verkörpert findet. Der Soldat iſt abſolut willenlos und hat nicht Freiheit der Bewegung noch eine Ehre für ſich. Der Grenadier iſt ſomit der völlige Gegenſatz des flotten, freien Landsknechts, der, obwohl er weiß, daß im Haufen die Macht liegt, dennoch ſeine eigene Ehre und, den augenblicklichen Dienſt abgerechnet, auch ſeinen eigenen Willen ſich bewahrt. Wie dieſe beiden Typen der militäriſchen Welt den Gegenſatz bilden, ſo verhalten ſich auch in der That die Reformationsperiode und das achtzehnte Jahrhundert zu einander. Es iſt höchſt bezeichnend, daß der erſte Friedrich Wilhelm von Preußen es ſein mußte, trotz ſeiner deutſcheſten Geſinnung und anerkannt tüchtigen Eigenſchaften, welcher den Gamaſchen- dienſt auf die Spitze trieb, denn er war zu gleicher Zeit der eigen- willigſte Autokrat und kann als der Erfinder des Zopfes be- zeichnet werden, der ja allgemein als das prägnanteſte Symbol dieſer Zeit gilt. Denn vergegenwärtigen wir uns die Geſtalt der Zopffriſur, die knappe Zuſammenfaſſung der Haare, das Süßlichkleine, Erzwungene und Affectirte, weiß angetüncht, mit dem widerlichen Anhängſel im Nacken, das, ächt und unächt, noch beſonders geſteift wird, ſo haben wir Schwäche und Kleinig- keitskrämerei, Pedanterie und Syſtemmacherei, den Gamaſchen- dienſt und Manierirtheit mit einander verkörpert. Und doch ſchlummert auch in ihm die Ahnung einer neuen

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/278>, abgerufen am 26.11.2024.