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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
oder hören ganz auf, kein Wechsel mehr von Licht und Schatten,
und endlich langt die ganze Architektur, nur allein auf Nützlich-
keit beruhend, bei dem Idealstil des Büreaukratismus, beim
Casernenstil, an.

Wie die Malerei in ihren Gegenständen sich abschwächt,
haben wir schon oben angedeutet. Nach der großen lebensvollen
Historie des Rubens und seiner nächsten Schüler und Nachfolger
steigt sie in ihrer Neigung zum Genre, zur Landschaft, zum
Stillleben und zur Blumenmalerei herab, worin wir freilich auch
immerhin die leise Ahnung eines erwachenden Naturgefühls er-
kennen mögen. Daneben liegt, die Herrlichkeit Ludwigs XIV.
begleitend, die pathetische Historie Lebrun's, die nur zu gern,
Bewegung und Ausdruck übertreibend, das Maß des Schönen
überschritt. Im achtzehnten Jahrhundert tritt nun das Gegen-
theil ein. Wie im Hofleben und im geselligen Verkehr der höhe-
ren Stände die Leichtigkeit des Umgangs durch die immer enger
und bindender werdenden Formen der Etiquette beschränkt wird,
wie dem Körper in Haltung, beim Gehen, Stehen, Sitzen, im
Verbeugen die bestimmtesten Gesetze vorgeschrieben sind, Gesetze,
von deren Kenntniß und Beobachtung der Grad der Bildung
abhängig gemacht wird: so dringt etwas Aehnliches von Vor-
schriften und Regeln in die Kunst ein. Für die Composition
wird ein geometrisches Schema aufgestellt, man verlangt Com-
positionen nach der Diagonale, horizontale, pyramidale und wie
der Unsinn weiter lautet. In allem Einzelnen muß "die Schön-
heitslinie" herrschen, eine beliebig angenommene Wellenlinie, der
sich z. B. auch das Portrait in der Weise fügen muß, daß
Augen, Kopf, Schultern, Arme, Leib u. s. w. immer mit Nei-
gung nach rechts und links abwechseln. So wird zugleich "die
Ponderallinie" hergestellt, aus welcher ein Portrait nicht heraus-
fallen darf. Diese Zeit hielt es für nothwendig, wie es auch
Wolf in der Philosophie that, alle die einfachsten, selbstverständ-
lichsten Dinge in ein vernünftiges Schema zu bringen und auf
Regeln abzuziehen. Wie ernst man das meinte, geht daraus
hervor, daß selbst Hogarth, der geistreichste Künstler seines Jahr-

5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
oder hören ganz auf, kein Wechſel mehr von Licht und Schatten,
und endlich langt die ganze Architektur, nur allein auf Nützlich-
keit beruhend, bei dem Idealſtil des Büreaukratismus, beim
Caſernenſtil, an.

Wie die Malerei in ihren Gegenſtänden ſich abſchwächt,
haben wir ſchon oben angedeutet. Nach der großen lebensvollen
Hiſtorie des Rubens und ſeiner nächſten Schüler und Nachfolger
ſteigt ſie in ihrer Neigung zum Genre, zur Landſchaft, zum
Stillleben und zur Blumenmalerei herab, worin wir freilich auch
immerhin die leiſe Ahnung eines erwachenden Naturgefühls er-
kennen mögen. Daneben liegt, die Herrlichkeit Ludwigs XIV.
begleitend, die pathetiſche Hiſtorie Lebrun’s, die nur zu gern,
Bewegung und Ausdruck übertreibend, das Maß des Schönen
überſchritt. Im achtzehnten Jahrhundert tritt nun das Gegen-
theil ein. Wie im Hofleben und im geſelligen Verkehr der höhe-
ren Stände die Leichtigkeit des Umgangs durch die immer enger
und bindender werdenden Formen der Etiquette beſchränkt wird,
wie dem Körper in Haltung, beim Gehen, Stehen, Sitzen, im
Verbeugen die beſtimmteſten Geſetze vorgeſchrieben ſind, Geſetze,
von deren Kenntniß und Beobachtung der Grad der Bildung
abhängig gemacht wird: ſo dringt etwas Aehnliches von Vor-
ſchriften und Regeln in die Kunſt ein. Für die Compoſition
wird ein geometriſches Schema aufgeſtellt, man verlangt Com-
poſitionen nach der Diagonale, horizontale, pyramidale und wie
der Unſinn weiter lautet. In allem Einzelnen muß „die Schön-
heitslinie“ herrſchen, eine beliebig angenommene Wellenlinie, der
ſich z. B. auch das Portrait in der Weiſe fügen muß, daß
Augen, Kopf, Schultern, Arme, Leib u. ſ. w. immer mit Nei-
gung nach rechts und links abwechſeln. So wird zugleich „die
Ponderallinie“ hergeſtellt, aus welcher ein Portrait nicht heraus-
fallen darf. Dieſe Zeit hielt es für nothwendig, wie es auch
Wolf in der Philoſophie that, alle die einfachſten, ſelbſtverſtänd-
lichſten Dinge in ein vernünftiges Schema zu bringen und auf
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[265/0277] 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. oder hören ganz auf, kein Wechſel mehr von Licht und Schatten, und endlich langt die ganze Architektur, nur allein auf Nützlich- keit beruhend, bei dem Idealſtil des Büreaukratismus, beim Caſernenſtil, an. Wie die Malerei in ihren Gegenſtänden ſich abſchwächt, haben wir ſchon oben angedeutet. Nach der großen lebensvollen Hiſtorie des Rubens und ſeiner nächſten Schüler und Nachfolger ſteigt ſie in ihrer Neigung zum Genre, zur Landſchaft, zum Stillleben und zur Blumenmalerei herab, worin wir freilich auch immerhin die leiſe Ahnung eines erwachenden Naturgefühls er- kennen mögen. Daneben liegt, die Herrlichkeit Ludwigs XIV. begleitend, die pathetiſche Hiſtorie Lebrun’s, die nur zu gern, Bewegung und Ausdruck übertreibend, das Maß des Schönen überſchritt. Im achtzehnten Jahrhundert tritt nun das Gegen- theil ein. Wie im Hofleben und im geſelligen Verkehr der höhe- ren Stände die Leichtigkeit des Umgangs durch die immer enger und bindender werdenden Formen der Etiquette beſchränkt wird, wie dem Körper in Haltung, beim Gehen, Stehen, Sitzen, im Verbeugen die beſtimmteſten Geſetze vorgeſchrieben ſind, Geſetze, von deren Kenntniß und Beobachtung der Grad der Bildung abhängig gemacht wird: ſo dringt etwas Aehnliches von Vor- ſchriften und Regeln in die Kunſt ein. Für die Compoſition wird ein geometriſches Schema aufgeſtellt, man verlangt Com- poſitionen nach der Diagonale, horizontale, pyramidale und wie der Unſinn weiter lautet. In allem Einzelnen muß „die Schön- heitslinie“ herrſchen, eine beliebig angenommene Wellenlinie, der ſich z. B. auch das Portrait in der Weiſe fügen muß, daß Augen, Kopf, Schultern, Arme, Leib u. ſ. w. immer mit Nei- gung nach rechts und links abwechſeln. So wird zugleich „die Ponderallinie“ hergeſtellt, aus welcher ein Portrait nicht heraus- fallen darf. Dieſe Zeit hielt es für nothwendig, wie es auch Wolf in der Philoſophie that, alle die einfachſten, ſelbſtverſtänd- lichſten Dinge in ein vernünftiges Schema zu bringen und auf Regeln abzuziehen. Wie ernſt man das meinte, geht daraus hervor, daß ſelbſt Hogarth, der geiſtreichſte Künſtler ſeines Jahr-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/277>, abgerufen am 09.05.2024.