Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. Zeit. Es ist das Eigenhaar, welches mit ihm wieder zuEhren kommt, wie viel falsche Zöpfe auch im Nacken hingen. Er negirt das hohle, falsche Pathos der Perrücke, wie sich die Nüchternheit dem Schwulst und die altkluge "Aufklärung" dem Wust des Aberglaubens und der verkehrten Lebensverhältnisse entgegenstellt. Wie sehr auch diese Richtung Anfangs nur leise auftritt und bald sich in die Prosa des Lebens oder in Frivolität verrennt, so werden doch auch manche natürliche und einfach wahre Klänge angeschlagen wie in den Gedichten Günthers, und manches wahre und innige religiöse Gefühl dringt durch den Pietismus wieder in die erkalteten Herzen ein. Wir haben die Entstehung des eigentlichen Zopfes, wenn Friedrich Wilhelm I., ein ebenso großer Feind des dama- 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. Zeit. Es iſt das Eigenhaar, welches mit ihm wieder zuEhren kommt, wie viel falſche Zöpfe auch im Nacken hingen. Er negirt das hohle, falſche Pathos der Perrücke, wie ſich die Nüchternheit dem Schwulſt und die altkluge „Aufklärung“ dem Wuſt des Aberglaubens und der verkehrten Lebensverhältniſſe entgegenſtellt. Wie ſehr auch dieſe Richtung Anfangs nur leiſe auftritt und bald ſich in die Proſa des Lebens oder in Frivolität verrennt, ſo werden doch auch manche natürliche und einfach wahre Klänge angeſchlagen wie in den Gedichten Günthers, und manches wahre und innige religiöſe Gefühl dringt durch den Pietismus wieder in die erkalteten Herzen ein. Wir haben die Entſtehung des eigentlichen Zopfes, wenn Friedrich Wilhelm I., ein ebenſo großer Feind des dama- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0279" n="267"/><fw place="top" type="header">5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.</fw><lb/> Zeit. Es iſt das <hi rendition="#g">Eigenhaar</hi>, welches mit ihm wieder zu<lb/> Ehren kommt, wie viel falſche Zöpfe auch im Nacken hingen. Er<lb/> negirt das hohle, falſche Pathos der Perrücke, wie ſich die<lb/> Nüchternheit dem Schwulſt und die altkluge „Aufklärung“ dem<lb/> Wuſt des Aberglaubens und der verkehrten Lebensverhältniſſe<lb/> entgegenſtellt. Wie ſehr auch dieſe Richtung Anfangs nur leiſe<lb/> auftritt und bald ſich in die Proſa des Lebens oder in Frivolität<lb/> verrennt, ſo werden doch auch manche natürliche und einfach<lb/> wahre Klänge angeſchlagen wie in den Gedichten Günthers, und<lb/> manches wahre und innige religiöſe Gefühl dringt durch den<lb/> Pietismus wieder in die erkalteten Herzen ein.</p><lb/> <p>Wir haben die Entſtehung des eigentlichen Zopfes, wenn<lb/> wir von ſeinem Vorbilde, dem oben erwähnten Knoten der Per-<lb/> rücke, abſehen, beim Militär zu ſuchen und zwar zunächſt beim<lb/> preußiſchen. Der Soldat hatte überall bis in das 18. Jahr-<lb/> hundert hinein ſein mäßig langes Eigenhaar getragen und der<lb/> Reitersmann und der Grenadier dazu einen tüchtigen Schnurr-<lb/> bart behalten; die Perrücke als Ordonnanzſtück einzuführen, wie<lb/> gern man es auch geſehen hätte, erregte doch zu große finanzielle<lb/> Bedenken und ließ ſich daher höchſtens bei der Hofwache durch-<lb/> führen. Der Offizier freilich konnte eine Ausnahme machen,<lb/> und um’s Jahr 1700 trägt zum Beiſpiel der öſterreichiſche<lb/> General unter dem Hut mit der dreifachen Krämpe die große<lb/> Alongeperrücke, deren Flügel zuſammt den Zipfeln des zierlichen<lb/> Halstuchs über den Küraß und die eiſernen Schulterblätter<lb/> herabfallen — allerdings kein ſehr harmoniſches noch kriegeriſches<lb/> Bild; das Feldlager und der Salon treten hier in unmittelbarſte<lb/> Berührung mit einander.</p><lb/> <p>Friedrich Wilhelm <hi rendition="#aq">I.</hi>, ein ebenſo großer Feind des dama-<lb/> ligen Franzoſenthums, der geſellſchaftlichen Demoraliſation wie<lb/> der gewaltigen Staatsperrücke und des überflüſſigen Prunkes am<lb/> Hofe, reorganiſirte in dieſem Sinne, ſobald er zur Regirung<lb/> gekommen war. Er ſelbſt legte ſofort die Haarwolken ab und<lb/> trug nur noch eine kleine braune Stutzperrücke, die man den<lb/> „Muffer“ nannte; ganz vermochte auch er ſich nicht von der<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [267/0279]
5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
Zeit. Es iſt das Eigenhaar, welches mit ihm wieder zu
Ehren kommt, wie viel falſche Zöpfe auch im Nacken hingen. Er
negirt das hohle, falſche Pathos der Perrücke, wie ſich die
Nüchternheit dem Schwulſt und die altkluge „Aufklärung“ dem
Wuſt des Aberglaubens und der verkehrten Lebensverhältniſſe
entgegenſtellt. Wie ſehr auch dieſe Richtung Anfangs nur leiſe
auftritt und bald ſich in die Proſa des Lebens oder in Frivolität
verrennt, ſo werden doch auch manche natürliche und einfach
wahre Klänge angeſchlagen wie in den Gedichten Günthers, und
manches wahre und innige religiöſe Gefühl dringt durch den
Pietismus wieder in die erkalteten Herzen ein.
Wir haben die Entſtehung des eigentlichen Zopfes, wenn
wir von ſeinem Vorbilde, dem oben erwähnten Knoten der Per-
rücke, abſehen, beim Militär zu ſuchen und zwar zunächſt beim
preußiſchen. Der Soldat hatte überall bis in das 18. Jahr-
hundert hinein ſein mäßig langes Eigenhaar getragen und der
Reitersmann und der Grenadier dazu einen tüchtigen Schnurr-
bart behalten; die Perrücke als Ordonnanzſtück einzuführen, wie
gern man es auch geſehen hätte, erregte doch zu große finanzielle
Bedenken und ließ ſich daher höchſtens bei der Hofwache durch-
führen. Der Offizier freilich konnte eine Ausnahme machen,
und um’s Jahr 1700 trägt zum Beiſpiel der öſterreichiſche
General unter dem Hut mit der dreifachen Krämpe die große
Alongeperrücke, deren Flügel zuſammt den Zipfeln des zierlichen
Halstuchs über den Küraß und die eiſernen Schulterblätter
herabfallen — allerdings kein ſehr harmoniſches noch kriegeriſches
Bild; das Feldlager und der Salon treten hier in unmittelbarſte
Berührung mit einander.
Friedrich Wilhelm I., ein ebenſo großer Feind des dama-
ligen Franzoſenthums, der geſellſchaftlichen Demoraliſation wie
der gewaltigen Staatsperrücke und des überflüſſigen Prunkes am
Hofe, reorganiſirte in dieſem Sinne, ſobald er zur Regirung
gekommen war. Er ſelbſt legte ſofort die Haarwolken ab und
trug nur noch eine kleine braune Stutzperrücke, die man den
„Muffer“ nannte; ganz vermochte auch er ſich nicht von der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |