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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
Zeit. Es ist das Eigenhaar, welches mit ihm wieder zu
Ehren kommt, wie viel falsche Zöpfe auch im Nacken hingen. Er
negirt das hohle, falsche Pathos der Perrücke, wie sich die
Nüchternheit dem Schwulst und die altkluge "Aufklärung" dem
Wust des Aberglaubens und der verkehrten Lebensverhältnisse
entgegenstellt. Wie sehr auch diese Richtung Anfangs nur leise
auftritt und bald sich in die Prosa des Lebens oder in Frivolität
verrennt, so werden doch auch manche natürliche und einfach
wahre Klänge angeschlagen wie in den Gedichten Günthers, und
manches wahre und innige religiöse Gefühl dringt durch den
Pietismus wieder in die erkalteten Herzen ein.

Wir haben die Entstehung des eigentlichen Zopfes, wenn
wir von seinem Vorbilde, dem oben erwähnten Knoten der Per-
rücke, absehen, beim Militär zu suchen und zwar zunächst beim
preußischen. Der Soldat hatte überall bis in das 18. Jahr-
hundert hinein sein mäßig langes Eigenhaar getragen und der
Reitersmann und der Grenadier dazu einen tüchtigen Schnurr-
bart behalten; die Perrücke als Ordonnanzstück einzuführen, wie
gern man es auch gesehen hätte, erregte doch zu große finanzielle
Bedenken und ließ sich daher höchstens bei der Hofwache durch-
führen. Der Offizier freilich konnte eine Ausnahme machen,
und um's Jahr 1700 trägt zum Beispiel der österreichische
General unter dem Hut mit der dreifachen Krämpe die große
Alongeperrücke, deren Flügel zusammt den Zipfeln des zierlichen
Halstuchs über den Küraß und die eisernen Schulterblätter
herabfallen -- allerdings kein sehr harmonisches noch kriegerisches
Bild; das Feldlager und der Salon treten hier in unmittelbarste
Berührung mit einander.

Friedrich Wilhelm I., ein ebenso großer Feind des dama-
ligen Franzosenthums, der gesellschaftlichen Demoralisation wie
der gewaltigen Staatsperrücke und des überflüssigen Prunkes am
Hofe, reorganisirte in diesem Sinne, sobald er zur Regirung
gekommen war. Er selbst legte sofort die Haarwolken ab und
trug nur noch eine kleine braune Stutzperrücke, die man den
"Muffer" nannte; ganz vermochte auch er sich nicht von der

5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
Zeit. Es iſt das Eigenhaar, welches mit ihm wieder zu
Ehren kommt, wie viel falſche Zöpfe auch im Nacken hingen. Er
negirt das hohle, falſche Pathos der Perrücke, wie ſich die
Nüchternheit dem Schwulſt und die altkluge „Aufklärung“ dem
Wuſt des Aberglaubens und der verkehrten Lebensverhältniſſe
entgegenſtellt. Wie ſehr auch dieſe Richtung Anfangs nur leiſe
auftritt und bald ſich in die Proſa des Lebens oder in Frivolität
verrennt, ſo werden doch auch manche natürliche und einfach
wahre Klänge angeſchlagen wie in den Gedichten Günthers, und
manches wahre und innige religiöſe Gefühl dringt durch den
Pietismus wieder in die erkalteten Herzen ein.

Wir haben die Entſtehung des eigentlichen Zopfes, wenn
wir von ſeinem Vorbilde, dem oben erwähnten Knoten der Per-
rücke, abſehen, beim Militär zu ſuchen und zwar zunächſt beim
preußiſchen. Der Soldat hatte überall bis in das 18. Jahr-
hundert hinein ſein mäßig langes Eigenhaar getragen und der
Reitersmann und der Grenadier dazu einen tüchtigen Schnurr-
bart behalten; die Perrücke als Ordonnanzſtück einzuführen, wie
gern man es auch geſehen hätte, erregte doch zu große finanzielle
Bedenken und ließ ſich daher höchſtens bei der Hofwache durch-
führen. Der Offizier freilich konnte eine Ausnahme machen,
und um’s Jahr 1700 trägt zum Beiſpiel der öſterreichiſche
General unter dem Hut mit der dreifachen Krämpe die große
Alongeperrücke, deren Flügel zuſammt den Zipfeln des zierlichen
Halstuchs über den Küraß und die eiſernen Schulterblätter
herabfallen — allerdings kein ſehr harmoniſches noch kriegeriſches
Bild; das Feldlager und der Salon treten hier in unmittelbarſte
Berührung mit einander.

Friedrich Wilhelm I., ein ebenſo großer Feind des dama-
ligen Franzoſenthums, der geſellſchaftlichen Demoraliſation wie
der gewaltigen Staatsperrücke und des überflüſſigen Prunkes am
Hofe, reorganiſirte in dieſem Sinne, ſobald er zur Regirung
gekommen war. Er ſelbſt legte ſofort die Haarwolken ab und
trug nur noch eine kleine braune Stutzperrücke, die man den
„Muffer“ nannte; ganz vermochte auch er ſich nicht von der

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[267/0279] 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. Zeit. Es iſt das Eigenhaar, welches mit ihm wieder zu Ehren kommt, wie viel falſche Zöpfe auch im Nacken hingen. Er negirt das hohle, falſche Pathos der Perrücke, wie ſich die Nüchternheit dem Schwulſt und die altkluge „Aufklärung“ dem Wuſt des Aberglaubens und der verkehrten Lebensverhältniſſe entgegenſtellt. Wie ſehr auch dieſe Richtung Anfangs nur leiſe auftritt und bald ſich in die Proſa des Lebens oder in Frivolität verrennt, ſo werden doch auch manche natürliche und einfach wahre Klänge angeſchlagen wie in den Gedichten Günthers, und manches wahre und innige religiöſe Gefühl dringt durch den Pietismus wieder in die erkalteten Herzen ein. Wir haben die Entſtehung des eigentlichen Zopfes, wenn wir von ſeinem Vorbilde, dem oben erwähnten Knoten der Per- rücke, abſehen, beim Militär zu ſuchen und zwar zunächſt beim preußiſchen. Der Soldat hatte überall bis in das 18. Jahr- hundert hinein ſein mäßig langes Eigenhaar getragen und der Reitersmann und der Grenadier dazu einen tüchtigen Schnurr- bart behalten; die Perrücke als Ordonnanzſtück einzuführen, wie gern man es auch geſehen hätte, erregte doch zu große finanzielle Bedenken und ließ ſich daher höchſtens bei der Hofwache durch- führen. Der Offizier freilich konnte eine Ausnahme machen, und um’s Jahr 1700 trägt zum Beiſpiel der öſterreichiſche General unter dem Hut mit der dreifachen Krämpe die große Alongeperrücke, deren Flügel zuſammt den Zipfeln des zierlichen Halstuchs über den Küraß und die eiſernen Schulterblätter herabfallen — allerdings kein ſehr harmoniſches noch kriegeriſches Bild; das Feldlager und der Salon treten hier in unmittelbarſte Berührung mit einander. Friedrich Wilhelm I., ein ebenſo großer Feind des dama- ligen Franzoſenthums, der geſellſchaftlichen Demoraliſation wie der gewaltigen Staatsperrücke und des überflüſſigen Prunkes am Hofe, reorganiſirte in dieſem Sinne, ſobald er zur Regirung gekommen war. Er ſelbſt legte ſofort die Haarwolken ab und trug nur noch eine kleine braune Stutzperrücke, die man den „Muffer“ nannte; ganz vermochte auch er ſich nicht von der

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/279>, abgerufen am 26.11.2024.