Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Die Neuzeit.
Symbol ihres ganzen inneren Zustandes finden. In Verfassung
und Lebensformen erstarrt, aus denen der Geist, die Bewegung
und Fortbildung gewichen ist, können sie doch die Anforderungen
der neuen Zeit nicht abweisen und müssen es sich gefallen lassen,
daß beides, das Alte und das Neue, sich neben einander und
mit einander einzurichten sucht, wie wunderlich es auch oft her-
gehen mag. Das ist nicht anders, wenn wir einen Raths-
herrn in seiner vermeintlich stolzen und ehrwürdigen Tracht sehen,
wie sie allen diesen Städten, Lübeck, Hamburg, Augsburg,
Nürnberg u. a. gemeinsam ist. Derselbe trägt wirklich noch die
alte Schaube als sein eigentliches Staats- und Ehrenkleid --
wir erkennen sie auf's deutlichste --, aber es ist vorbei mit der
alten Pracht und Herrlichkeit. Was wir erblicken, ist nur ein
Schatten von dem mächtig breiten Pelzüberwurf, dem Symbol
des alten stolzbewußten Patrizierthums: ein dünner seidner Rock
ohne Taille mit kurzen, zierlich benähten Schulterärmeln, aus
denen die mächtig breiten Palten oder Aermelumschläge des fran-
zösischen Justaucorps, das er darunter trägt, sich hervordrängen.
Um den Hals sitzt fast breiter als je die spanische Krause, und
darauf legen sich, in ihrem Flusse gehemmt, die Flügellocken der
Perrücke, die in der modischen Welt ja selbst den letzten Rest des
Kragens vernichtet hatte. Um die widerspruchsvolle Mischung
zu erhöhen, sitzt auf der Perrücke noch der steife spanische Hut
von Seide, mit spitzem, rings um in Falten gelegtem Kopfe
und breiterem Rande. Das ist eine wunderliche Tracht, auf
welche die antiquarische Partei, über ihr Alter in arger Täu-
schung befangen, dennoch stolz ist und welche sie bezeichnet als
"wohl recht eine Krone und Zierde der löblichen Antiquität, ja
gleichsam eine unauslöschlich brennende Glorfackel von dem aller-
ältesten Anfang." Um so stolzer ist sie darauf, als sie sich nicht
verhehlen kann, daß das Neue immer mehr Boden gewinnt, wie
die folgende Stelle zeigt, welche im Jahr 1669 in Nürnberg ge-
schrieben wurde: "Und obzwar wohl die allschädlichen Schaben
französischer und anderer unziemlicher Kleidermoden bei ge-
ringeren Standstrachten etlichermaßen ziemlich in die altehr-

III. Die Neuzeit.
Symbol ihres ganzen inneren Zuſtandes finden. In Verfaſſung
und Lebensformen erſtarrt, aus denen der Geiſt, die Bewegung
und Fortbildung gewichen iſt, können ſie doch die Anforderungen
der neuen Zeit nicht abweiſen und müſſen es ſich gefallen laſſen,
daß beides, das Alte und das Neue, ſich neben einander und
mit einander einzurichten ſucht, wie wunderlich es auch oft her-
gehen mag. Das iſt nicht anders, wenn wir einen Raths-
herrn in ſeiner vermeintlich ſtolzen und ehrwürdigen Tracht ſehen,
wie ſie allen dieſen Städten, Lübeck, Hamburg, Augsburg,
Nürnberg u. a. gemeinſam iſt. Derſelbe trägt wirklich noch die
alte Schaube als ſein eigentliches Staats- und Ehrenkleid —
wir erkennen ſie auf’s deutlichſte —, aber es iſt vorbei mit der
alten Pracht und Herrlichkeit. Was wir erblicken, iſt nur ein
Schatten von dem mächtig breiten Pelzüberwurf, dem Symbol
des alten ſtolzbewußten Patrizierthums: ein dünner ſeidner Rock
ohne Taille mit kurzen, zierlich benähten Schulterärmeln, aus
denen die mächtig breiten Palten oder Aermelumſchläge des fran-
zöſiſchen Juſtaucorps, das er darunter trägt, ſich hervordrängen.
Um den Hals ſitzt faſt breiter als je die ſpaniſche Krauſe, und
darauf legen ſich, in ihrem Fluſſe gehemmt, die Flügellocken der
Perrücke, die in der modiſchen Welt ja ſelbſt den letzten Reſt des
Kragens vernichtet hatte. Um die widerſpruchsvolle Miſchung
zu erhöhen, ſitzt auf der Perrücke noch der ſteife ſpaniſche Hut
von Seide, mit ſpitzem, rings um in Falten gelegtem Kopfe
und breiterem Rande. Das iſt eine wunderliche Tracht, auf
welche die antiquariſche Partei, über ihr Alter in arger Täu-
ſchung befangen, dennoch ſtolz iſt und welche ſie bezeichnet als
„wohl recht eine Krone und Zierde der löblichen Antiquität, ja
gleichſam eine unauslöſchlich brennende Glorfackel von dem aller-
älteſten Anfang.“ Um ſo ſtolzer iſt ſie darauf, als ſie ſich nicht
verhehlen kann, daß das Neue immer mehr Boden gewinnt, wie
die folgende Stelle zeigt, welche im Jahr 1669 in Nürnberg ge-
ſchrieben wurde: „Und obzwar wohl die allſchädlichen Schaben
franzöſiſcher und anderer unziemlicher Kleidermoden bei ge-
ringeren Standstrachten etlichermaßen ziemlich in die altehr-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0270" n="258"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Die Neuzeit.</fw><lb/>
Symbol ihres ganzen inneren Zu&#x017F;tandes finden. In Verfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
und Lebensformen er&#x017F;tarrt, aus denen der Gei&#x017F;t, die Bewegung<lb/>
und Fortbildung gewichen i&#x017F;t, können &#x017F;ie doch die Anforderungen<lb/>
der neuen Zeit nicht abwei&#x017F;en und mü&#x017F;&#x017F;en es &#x017F;ich gefallen la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
daß beides, das Alte und das Neue, &#x017F;ich neben einander und<lb/>
mit einander einzurichten &#x017F;ucht, wie wunderlich es auch oft her-<lb/>
gehen mag. Das i&#x017F;t nicht anders, wenn wir einen Raths-<lb/>
herrn in &#x017F;einer vermeintlich &#x017F;tolzen und ehrwürdigen Tracht &#x017F;ehen,<lb/>
wie &#x017F;ie allen die&#x017F;en Städten, Lübeck, Hamburg, Augsburg,<lb/>
Nürnberg u. a. gemein&#x017F;am i&#x017F;t. Der&#x017F;elbe trägt wirklich noch die<lb/>
alte Schaube als &#x017F;ein eigentliches Staats- und Ehrenkleid &#x2014;<lb/>
wir erkennen &#x017F;ie auf&#x2019;s deutlich&#x017F;te &#x2014;, aber es i&#x017F;t vorbei mit der<lb/>
alten Pracht und Herrlichkeit. Was wir erblicken, i&#x017F;t nur ein<lb/>
Schatten von dem mächtig breiten Pelzüberwurf, dem Symbol<lb/>
des alten &#x017F;tolzbewußten Patrizierthums: ein dünner &#x017F;eidner Rock<lb/>
ohne Taille mit kurzen, zierlich benähten Schulterärmeln, aus<lb/>
denen die mächtig breiten Palten oder Aermelum&#x017F;chläge des fran-<lb/>&#x017F;i&#x017F;chen Ju&#x017F;taucorps, das er darunter trägt, &#x017F;ich hervordrängen.<lb/>
Um den Hals &#x017F;itzt fa&#x017F;t breiter als je die &#x017F;pani&#x017F;che Krau&#x017F;e, und<lb/>
darauf legen &#x017F;ich, in ihrem Flu&#x017F;&#x017F;e gehemmt, die Flügellocken der<lb/>
Perrücke, die in der modi&#x017F;chen Welt ja &#x017F;elb&#x017F;t den letzten Re&#x017F;t des<lb/>
Kragens vernichtet hatte. Um die wider&#x017F;pruchsvolle Mi&#x017F;chung<lb/>
zu erhöhen, &#x017F;itzt auf der Perrücke noch der &#x017F;teife &#x017F;pani&#x017F;che Hut<lb/>
von Seide, mit &#x017F;pitzem, rings um in Falten gelegtem Kopfe<lb/>
und breiterem Rande. Das i&#x017F;t eine wunderliche Tracht, auf<lb/>
welche die antiquari&#x017F;che Partei, über ihr Alter in arger Täu-<lb/>
&#x017F;chung befangen, dennoch &#x017F;tolz i&#x017F;t und welche &#x017F;ie bezeichnet als<lb/>
&#x201E;wohl recht eine Krone und Zierde der löblichen Antiquität, ja<lb/>
gleich&#x017F;am eine unauslö&#x017F;chlich brennende Glorfackel von dem aller-<lb/>
älte&#x017F;ten Anfang.&#x201C; Um &#x017F;o &#x017F;tolzer i&#x017F;t &#x017F;ie darauf, als &#x017F;ie &#x017F;ich nicht<lb/>
verhehlen kann, daß das Neue immer mehr Boden gewinnt, wie<lb/>
die folgende Stelle zeigt, welche im Jahr 1669 in Nürnberg ge-<lb/>
&#x017F;chrieben wurde: &#x201E;Und obzwar wohl die all&#x017F;chädlichen Schaben<lb/>
franzö&#x017F;i&#x017F;cher und anderer unziemlicher Kleidermoden bei ge-<lb/>
ringeren Standstrachten etlichermaßen ziemlich in die altehr-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[258/0270] III. Die Neuzeit. Symbol ihres ganzen inneren Zuſtandes finden. In Verfaſſung und Lebensformen erſtarrt, aus denen der Geiſt, die Bewegung und Fortbildung gewichen iſt, können ſie doch die Anforderungen der neuen Zeit nicht abweiſen und müſſen es ſich gefallen laſſen, daß beides, das Alte und das Neue, ſich neben einander und mit einander einzurichten ſucht, wie wunderlich es auch oft her- gehen mag. Das iſt nicht anders, wenn wir einen Raths- herrn in ſeiner vermeintlich ſtolzen und ehrwürdigen Tracht ſehen, wie ſie allen dieſen Städten, Lübeck, Hamburg, Augsburg, Nürnberg u. a. gemeinſam iſt. Derſelbe trägt wirklich noch die alte Schaube als ſein eigentliches Staats- und Ehrenkleid — wir erkennen ſie auf’s deutlichſte —, aber es iſt vorbei mit der alten Pracht und Herrlichkeit. Was wir erblicken, iſt nur ein Schatten von dem mächtig breiten Pelzüberwurf, dem Symbol des alten ſtolzbewußten Patrizierthums: ein dünner ſeidner Rock ohne Taille mit kurzen, zierlich benähten Schulterärmeln, aus denen die mächtig breiten Palten oder Aermelumſchläge des fran- zöſiſchen Juſtaucorps, das er darunter trägt, ſich hervordrängen. Um den Hals ſitzt faſt breiter als je die ſpaniſche Krauſe, und darauf legen ſich, in ihrem Fluſſe gehemmt, die Flügellocken der Perrücke, die in der modiſchen Welt ja ſelbſt den letzten Reſt des Kragens vernichtet hatte. Um die widerſpruchsvolle Miſchung zu erhöhen, ſitzt auf der Perrücke noch der ſteife ſpaniſche Hut von Seide, mit ſpitzem, rings um in Falten gelegtem Kopfe und breiterem Rande. Das iſt eine wunderliche Tracht, auf welche die antiquariſche Partei, über ihr Alter in arger Täu- ſchung befangen, dennoch ſtolz iſt und welche ſie bezeichnet als „wohl recht eine Krone und Zierde der löblichen Antiquität, ja gleichſam eine unauslöſchlich brennende Glorfackel von dem aller- älteſten Anfang.“ Um ſo ſtolzer iſt ſie darauf, als ſie ſich nicht verhehlen kann, daß das Neue immer mehr Boden gewinnt, wie die folgende Stelle zeigt, welche im Jahr 1669 in Nürnberg ge- ſchrieben wurde: „Und obzwar wohl die allſchädlichen Schaben franzöſiſcher und anderer unziemlicher Kleidermoden bei ge- ringeren Standstrachten etlichermaßen ziemlich in die altehr-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/270
Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/270>, abgerufen am 26.11.2024.