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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode.
der Hand. Es ist das eben die Consequenz der Zeit, die im Ge-
fühl des Rechten und Schönen that, was das funfzehnte Jahr-
hundert und das frühere Mittelalter in naiver Unkunde gegen
die Geschichte gesündigt hatten. Aber man muß sagen, es war
gewissermaßen eine nothwendige Consequenz, der letzte Schritt,
denn eben die Götter der Kunst und die Helden des Theaters
waren völlig Kinder ihrer Zeit, vom Künstler und Dichter so ge-
fühlt und geschaffen, in jedem Wort und jeder Gebärde -- kurz,
in solcher Weise Kunstwerke aus einem Guß.

Wie anders ist nun grade in dieser Zeit der Anblick der
bürgerlichen Welt! Nach der einen Seite, nach oben hin,
haben wir den vollständigsten, durchgebildetsten Universalismus
der Mode; wer abweicht, steigt in der Stufenleiter der mensch-
lichen Gesellschaft herab; ein Kleid, die gleiche Form, der gleiche
Schnitt bedeckt sie alle. Aber nach unten hin ist die Bildung der
Volkstrachten in den Städten wie auf dem Lande in vollem
Gange. Da sind stehen gebliebene Stücke des sechszehnten Jahr-
hunderts, zur Amtstracht erstarrt oder vom eigensinnigen Alter
halsstarrig festgehalten, oder sie haben sich gewissermaßen auf
Irrwegen, abgekommen von der großen Heerstraße der Mode,
umgebildet zu neuen und wieder festgewordenen Formen, denen
kaum noch ein kundiges Auge den ersten Ursprung ansieht. Da
steht auch noch die flotte, freie Tracht des großen Kriegs in frei-
lich stark beschnittener Blüthenpracht, und daneben schauen an-
dere mit sehnsüchtig neidischem Blick nach der Mode der vorneh-
men Welt, harrend nach dem Neuen, das über den Rhein her-
überkommen soll. Und das alles zusammen, das Alte und das
Neue und die inzwischen eingetretenen Veränderungen, findet
sich oft in wunderlicher Mischung an demselben Körper vereinigt.
Niemand nimmt daran Anstoß, da doch jedes Stück seiner Zeit
entspricht und in einem Costüm das eine nothwendig zum andern
gehört.

So verhält es sich z. B. mit den Amtstrachten in den
deutschen Reichsstädten, die in denselben gewissermaßen ein

Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 17

4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
der Hand. Es iſt das eben die Conſequenz der Zeit, die im Ge-
fühl des Rechten und Schönen that, was das funfzehnte Jahr-
hundert und das frühere Mittelalter in naiver Unkunde gegen
die Geſchichte geſündigt hatten. Aber man muß ſagen, es war
gewiſſermaßen eine nothwendige Conſequenz, der letzte Schritt,
denn eben die Götter der Kunſt und die Helden des Theaters
waren völlig Kinder ihrer Zeit, vom Künſtler und Dichter ſo ge-
fühlt und geſchaffen, in jedem Wort und jeder Gebärde — kurz,
in ſolcher Weiſe Kunſtwerke aus einem Guß.

Wie anders iſt nun grade in dieſer Zeit der Anblick der
bürgerlichen Welt! Nach der einen Seite, nach oben hin,
haben wir den vollſtändigſten, durchgebildetſten Univerſalismus
der Mode; wer abweicht, ſteigt in der Stufenleiter der menſch-
lichen Geſellſchaft herab; ein Kleid, die gleiche Form, der gleiche
Schnitt bedeckt ſie alle. Aber nach unten hin iſt die Bildung der
Volkstrachten in den Städten wie auf dem Lande in vollem
Gange. Da ſind ſtehen gebliebene Stücke des ſechszehnten Jahr-
hunderts, zur Amtstracht erſtarrt oder vom eigenſinnigen Alter
halsſtarrig feſtgehalten, oder ſie haben ſich gewiſſermaßen auf
Irrwegen, abgekommen von der großen Heerſtraße der Mode,
umgebildet zu neuen und wieder feſtgewordenen Formen, denen
kaum noch ein kundiges Auge den erſten Urſprung anſieht. Da
ſteht auch noch die flotte, freie Tracht des großen Kriegs in frei-
lich ſtark beſchnittener Blüthenpracht, und daneben ſchauen an-
dere mit ſehnſüchtig neidiſchem Blick nach der Mode der vorneh-
men Welt, harrend nach dem Neuen, das über den Rhein her-
überkommen ſoll. Und das alles zuſammen, das Alte und das
Neue und die inzwiſchen eingetretenen Veränderungen, findet
ſich oft in wunderlicher Miſchung an demſelben Körper vereinigt.
Niemand nimmt daran Anſtoß, da doch jedes Stück ſeiner Zeit
entſpricht und in einem Coſtüm das eine nothwendig zum andern
gehört.

So verhält es ſich z. B. mit den Amtstrachten in den
deutſchen Reichsſtädten, die in denſelben gewiſſermaßen ein

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[257/0269] 4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode. der Hand. Es iſt das eben die Conſequenz der Zeit, die im Ge- fühl des Rechten und Schönen that, was das funfzehnte Jahr- hundert und das frühere Mittelalter in naiver Unkunde gegen die Geſchichte geſündigt hatten. Aber man muß ſagen, es war gewiſſermaßen eine nothwendige Conſequenz, der letzte Schritt, denn eben die Götter der Kunſt und die Helden des Theaters waren völlig Kinder ihrer Zeit, vom Künſtler und Dichter ſo ge- fühlt und geſchaffen, in jedem Wort und jeder Gebärde — kurz, in ſolcher Weiſe Kunſtwerke aus einem Guß. Wie anders iſt nun grade in dieſer Zeit der Anblick der bürgerlichen Welt! Nach der einen Seite, nach oben hin, haben wir den vollſtändigſten, durchgebildetſten Univerſalismus der Mode; wer abweicht, ſteigt in der Stufenleiter der menſch- lichen Geſellſchaft herab; ein Kleid, die gleiche Form, der gleiche Schnitt bedeckt ſie alle. Aber nach unten hin iſt die Bildung der Volkstrachten in den Städten wie auf dem Lande in vollem Gange. Da ſind ſtehen gebliebene Stücke des ſechszehnten Jahr- hunderts, zur Amtstracht erſtarrt oder vom eigenſinnigen Alter halsſtarrig feſtgehalten, oder ſie haben ſich gewiſſermaßen auf Irrwegen, abgekommen von der großen Heerſtraße der Mode, umgebildet zu neuen und wieder feſtgewordenen Formen, denen kaum noch ein kundiges Auge den erſten Urſprung anſieht. Da ſteht auch noch die flotte, freie Tracht des großen Kriegs in frei- lich ſtark beſchnittener Blüthenpracht, und daneben ſchauen an- dere mit ſehnſüchtig neidiſchem Blick nach der Mode der vorneh- men Welt, harrend nach dem Neuen, das über den Rhein her- überkommen ſoll. Und das alles zuſammen, das Alte und das Neue und die inzwiſchen eingetretenen Veränderungen, findet ſich oft in wunderlicher Miſchung an demſelben Körper vereinigt. Niemand nimmt daran Anſtoß, da doch jedes Stück ſeiner Zeit entſpricht und in einem Coſtüm das eine nothwendig zum andern gehört. So verhält es ſich z. B. mit den Amtstrachten in den deutſchen Reichsſtädten, die in denſelben gewiſſermaßen ein Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 17

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/269>, abgerufen am 25.11.2024.