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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.

Als sich das gesammte Costüm einmal zu der Vollständig-
keit herausgebildet hatte, daß ein Stück mit Nothwendigkeit das
andere bedingt, gemäß dem nunmehr universalistischen Charakter
der Zeit, wie er in dem großen König selbst sein Ideal findet,
da ergriff es auch mit derselben Universalität, mit derselben Aus-
schließlichkeit Besitz von allen gebildeten Kreisen des christlichen
Abendlandes, von allem, was nur nach der Mode und mit der
Mode zu gehen trachtete. Und noch mehr. Dieses Geschlecht
gefällt sich so sehr in seinem Kleide, daß es daneben, sei es in
der Kunst, in der Geschichte oder auf der Bühne, kein anderes
mehr gelten läßt. Die ersonnenen Figuren der Allegorie, die
Tugenden und die Laster z. B., die Personen der Mythologie
und der Geschichte, die Helden und Heldinnen der Tragödie --
sie werden alle mit Perrücke und Fontange, mit goldbordirtem
Rock oder Robe und Schleppe, mit Schuhen und Strümpfen
völlig salonfähig gemacht. Selbst der Grazie legt man ein
Wachtelhündchen in den Schooß und der Sphinx setzt man die
Fontange auf. Pallas im Kriegswagen mit Helm und Schwert
und die Venus im Roccocosessel, beide mit der Schnürbrust, mit
Schönpflästerchen und andern Toilettengegenständen sind in
vollständiger Tournüre, nur das nackte Bein und Sandalen
erinnern an den Olymp, den Göttersitz. Selbst der Schäfer
Paris, der die Miene eines träumerisch am Felsen dahingegos-
senen Schwärmers annimmt, schmachtend in unbefriedigter Sehn-
sucht, bemitleidet von Hund und Schafen, er trägt die Perrücke,
Schönpflästerchen auf der Wange wie ein männlicher Stutzer,
um den Hals ein gesticktes Tuch, Manschetten an den Händen,
den goldbordirten Rock und Weste, Schuhe mit hohen Absätzen
und Zwickelstrümpfe. Ja nicht einmal Christus und die Erz-
väter bleiben ungeschoren; auch sie tragen wohl die Perrücke und
das kleine Bärtchen a la royale. Auf der Bühne konnte man
damals den "Herrn Cato" sehen mit der Staatsperrücke und dem
dreieckigen Hütchen, mit der ganzen salonfähigen Kleidung und
dem feinen Degen an der Seite, und Iphigenie mit Fontange,
Robe und Schnürbrust und mit dem wehenden Taschentuch in

III. Die Neuzeit.

Als ſich das geſammte Coſtüm einmal zu der Vollſtändig-
keit herausgebildet hatte, daß ein Stück mit Nothwendigkeit das
andere bedingt, gemäß dem nunmehr univerſaliſtiſchen Charakter
der Zeit, wie er in dem großen König ſelbſt ſein Ideal findet,
da ergriff es auch mit derſelben Univerſalität, mit derſelben Aus-
ſchließlichkeit Beſitz von allen gebildeten Kreiſen des chriſtlichen
Abendlandes, von allem, was nur nach der Mode und mit der
Mode zu gehen trachtete. Und noch mehr. Dieſes Geſchlecht
gefällt ſich ſo ſehr in ſeinem Kleide, daß es daneben, ſei es in
der Kunſt, in der Geſchichte oder auf der Bühne, kein anderes
mehr gelten läßt. Die erſonnenen Figuren der Allegorie, die
Tugenden und die Laſter z. B., die Perſonen der Mythologie
und der Geſchichte, die Helden und Heldinnen der Tragödie —
ſie werden alle mit Perrücke und Fontange, mit goldbordirtem
Rock oder Robe und Schleppe, mit Schuhen und Strümpfen
völlig ſalonfähig gemacht. Selbſt der Grazie legt man ein
Wachtelhündchen in den Schooß und der Sphinx ſetzt man die
Fontange auf. Pallas im Kriegswagen mit Helm und Schwert
und die Venus im Roccocoſeſſel, beide mit der Schnürbruſt, mit
Schönpfläſterchen und andern Toilettengegenſtänden ſind in
vollſtändiger Tournüre, nur das nackte Bein und Sandalen
erinnern an den Olymp, den Götterſitz. Selbſt der Schäfer
Paris, der die Miene eines träumeriſch am Felſen dahingegoſ-
ſenen Schwärmers annimmt, ſchmachtend in unbefriedigter Sehn-
ſucht, bemitleidet von Hund und Schafen, er trägt die Perrücke,
Schönpfläſterchen auf der Wange wie ein männlicher Stutzer,
um den Hals ein geſticktes Tuch, Manſchetten an den Händen,
den goldbordirten Rock und Weſte, Schuhe mit hohen Abſätzen
und Zwickelſtrümpfe. Ja nicht einmal Chriſtus und die Erz-
väter bleiben ungeſchoren; auch ſie tragen wohl die Perrücke und
das kleine Bärtchen à la royale. Auf der Bühne konnte man
damals den „Herrn Cato“ ſehen mit der Staatsperrücke und dem
dreieckigen Hütchen, mit der ganzen ſalonfähigen Kleidung und
dem feinen Degen an der Seite, und Iphigenie mit Fontange,
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[256/0268] III. Die Neuzeit. Als ſich das geſammte Coſtüm einmal zu der Vollſtändig- keit herausgebildet hatte, daß ein Stück mit Nothwendigkeit das andere bedingt, gemäß dem nunmehr univerſaliſtiſchen Charakter der Zeit, wie er in dem großen König ſelbſt ſein Ideal findet, da ergriff es auch mit derſelben Univerſalität, mit derſelben Aus- ſchließlichkeit Beſitz von allen gebildeten Kreiſen des chriſtlichen Abendlandes, von allem, was nur nach der Mode und mit der Mode zu gehen trachtete. Und noch mehr. Dieſes Geſchlecht gefällt ſich ſo ſehr in ſeinem Kleide, daß es daneben, ſei es in der Kunſt, in der Geſchichte oder auf der Bühne, kein anderes mehr gelten läßt. Die erſonnenen Figuren der Allegorie, die Tugenden und die Laſter z. B., die Perſonen der Mythologie und der Geſchichte, die Helden und Heldinnen der Tragödie — ſie werden alle mit Perrücke und Fontange, mit goldbordirtem Rock oder Robe und Schleppe, mit Schuhen und Strümpfen völlig ſalonfähig gemacht. Selbſt der Grazie legt man ein Wachtelhündchen in den Schooß und der Sphinx ſetzt man die Fontange auf. Pallas im Kriegswagen mit Helm und Schwert und die Venus im Roccocoſeſſel, beide mit der Schnürbruſt, mit Schönpfläſterchen und andern Toilettengegenſtänden ſind in vollſtändiger Tournüre, nur das nackte Bein und Sandalen erinnern an den Olymp, den Götterſitz. Selbſt der Schäfer Paris, der die Miene eines träumeriſch am Felſen dahingegoſ- ſenen Schwärmers annimmt, ſchmachtend in unbefriedigter Sehn- ſucht, bemitleidet von Hund und Schafen, er trägt die Perrücke, Schönpfläſterchen auf der Wange wie ein männlicher Stutzer, um den Hals ein geſticktes Tuch, Manſchetten an den Händen, den goldbordirten Rock und Weſte, Schuhe mit hohen Abſätzen und Zwickelſtrümpfe. Ja nicht einmal Chriſtus und die Erz- väter bleiben ungeſchoren; auch ſie tragen wohl die Perrücke und das kleine Bärtchen à la royale. Auf der Bühne konnte man damals den „Herrn Cato“ ſehen mit der Staatsperrücke und dem dreieckigen Hütchen, mit der ganzen ſalonfähigen Kleidung und dem feinen Degen an der Seite, und Iphigenie mit Fontange, Robe und Schnürbruſt und mit dem wehenden Taſchentuch in

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/268>, abgerufen am 25.11.2024.