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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
freien und leichten Beweglichkeit und grazioser, gazellenartiger
Elasticität ein geziertes und affectirtes, grotesk steifes Wesen
trat, war natürlich, fiel aber niemand auf, da man grade in
dieser Unnatur die Schönheit suchte und auch zu finden glaubte.
Es war daher ein vergebliches Bemühen der Aerzte, wenn sie
vom Standpunkte der Gesundheit aus eine Reihe Bücher gegen
das Corsett verfaßten; sie schrieben und opponirten umsonst, so
lange die Mode dauerte, bis ein Weltereigniß kam und besseren
Erfolg hatte.

Die Entblößung traf diesmal Arm und Brust in gleicher
Weise. In Bezug auf den Arm hatte die vorhergehende Periode
nur erst die Andeutungen gegeben, indem sich die Aermel des
Kleides zwar bis zum Ellbogen zurückgezogen und hier in weiten
"Palten" umgelegt hatten, aber der Unterarm war noch mit dem
weiten, faltigen, feinen Hemdstoff, mit dem sich Spitzenman-
schetten verbanden, bedeckt gewesen. So ist noch die Form der
Uebergangszeit bis 1670. Nur selten wird ein Stück des Unter-
arms sichtbar. Dann aber öffnet sich der weiße Stoff und hängt
nun mit feinem Spitzenbesatz frei, luftig und faltig aus dem wei-
ten Halbärmel des Kleides heraus. Damit vollendet sich an
dieser Stelle die französische Hoftracht. Der Unterarm ist nun
seiner Bedeckung ledig, doch konnte die Koketterie dieser Zeit,
die sich auf das Lüstre, den Reiz des Helldunkels wie keine
andere verstand, mit der halben Verhüllung eines schönen Arms
durch den klaren, herumflatternden Stoff ein lockendes Spiel
treiben. Fast dieselbe Mode sahen wir in unsern Tagen wieder
auftauchen.

Aehnlich hatte sich die Decolletirung gestaltet und der
Kragen sich demgemäß verändert. Wir haben schon gesehen,
wie er auf der Gränzscheide der Periode nicht mehr am Halse
schließt, sondern herabfallend in gleicher Breite rings den Aus-
schnitt des Kleides begleitet. In der Art, wie er zum Ueber-
gangscostüm (1650--1670) sich verwandelt hat, ist er kaum
noch ein Kragen zu nennen. Es ist ein klarer, loser Stoff, welcher,
an verschiedenen Stellen durch Schleifen von Goldschnüren und

III. Die Neuzeit.
freien und leichten Beweglichkeit und grazioſer, gazellenartiger
Elaſticität ein geziertes und affectirtes, grotesk ſteifes Weſen
trat, war natürlich, fiel aber niemand auf, da man grade in
dieſer Unnatur die Schönheit ſuchte und auch zu finden glaubte.
Es war daher ein vergebliches Bemühen der Aerzte, wenn ſie
vom Standpunkte der Geſundheit aus eine Reihe Bücher gegen
das Corſett verfaßten; ſie ſchrieben und opponirten umſonſt, ſo
lange die Mode dauerte, bis ein Weltereigniß kam und beſſeren
Erfolg hatte.

Die Entblößung traf diesmal Arm und Bruſt in gleicher
Weiſe. In Bezug auf den Arm hatte die vorhergehende Periode
nur erſt die Andeutungen gegeben, indem ſich die Aermel des
Kleides zwar bis zum Ellbogen zurückgezogen und hier in weiten
„Palten“ umgelegt hatten, aber der Unterarm war noch mit dem
weiten, faltigen, feinen Hemdſtoff, mit dem ſich Spitzenman-
ſchetten verbanden, bedeckt geweſen. So iſt noch die Form der
Uebergangszeit bis 1670. Nur ſelten wird ein Stück des Unter-
arms ſichtbar. Dann aber öffnet ſich der weiße Stoff und hängt
nun mit feinem Spitzenbeſatz frei, luftig und faltig aus dem wei-
ten Halbärmel des Kleides heraus. Damit vollendet ſich an
dieſer Stelle die franzöſiſche Hoftracht. Der Unterarm iſt nun
ſeiner Bedeckung ledig, doch konnte die Koketterie dieſer Zeit,
die ſich auf das Lüſtre, den Reiz des Helldunkels wie keine
andere verſtand, mit der halben Verhüllung eines ſchönen Arms
durch den klaren, herumflatternden Stoff ein lockendes Spiel
treiben. Faſt dieſelbe Mode ſahen wir in unſern Tagen wieder
auftauchen.

Aehnlich hatte ſich die Decolletirung geſtaltet und der
Kragen ſich demgemäß verändert. Wir haben ſchon geſehen,
wie er auf der Gränzſcheide der Periode nicht mehr am Halſe
ſchließt, ſondern herabfallend in gleicher Breite rings den Aus-
ſchnitt des Kleides begleitet. In der Art, wie er zum Ueber-
gangscoſtüm (1650—1670) ſich verwandelt hat, iſt er kaum
noch ein Kragen zu nennen. Es iſt ein klarer, loſer Stoff, welcher,
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[252/0264] III. Die Neuzeit. freien und leichten Beweglichkeit und grazioſer, gazellenartiger Elaſticität ein geziertes und affectirtes, grotesk ſteifes Weſen trat, war natürlich, fiel aber niemand auf, da man grade in dieſer Unnatur die Schönheit ſuchte und auch zu finden glaubte. Es war daher ein vergebliches Bemühen der Aerzte, wenn ſie vom Standpunkte der Geſundheit aus eine Reihe Bücher gegen das Corſett verfaßten; ſie ſchrieben und opponirten umſonſt, ſo lange die Mode dauerte, bis ein Weltereigniß kam und beſſeren Erfolg hatte. Die Entblößung traf diesmal Arm und Bruſt in gleicher Weiſe. In Bezug auf den Arm hatte die vorhergehende Periode nur erſt die Andeutungen gegeben, indem ſich die Aermel des Kleides zwar bis zum Ellbogen zurückgezogen und hier in weiten „Palten“ umgelegt hatten, aber der Unterarm war noch mit dem weiten, faltigen, feinen Hemdſtoff, mit dem ſich Spitzenman- ſchetten verbanden, bedeckt geweſen. So iſt noch die Form der Uebergangszeit bis 1670. Nur ſelten wird ein Stück des Unter- arms ſichtbar. Dann aber öffnet ſich der weiße Stoff und hängt nun mit feinem Spitzenbeſatz frei, luftig und faltig aus dem wei- ten Halbärmel des Kleides heraus. Damit vollendet ſich an dieſer Stelle die franzöſiſche Hoftracht. Der Unterarm iſt nun ſeiner Bedeckung ledig, doch konnte die Koketterie dieſer Zeit, die ſich auf das Lüſtre, den Reiz des Helldunkels wie keine andere verſtand, mit der halben Verhüllung eines ſchönen Arms durch den klaren, herumflatternden Stoff ein lockendes Spiel treiben. Faſt dieſelbe Mode ſahen wir in unſern Tagen wieder auftauchen. Aehnlich hatte ſich die Decolletirung geſtaltet und der Kragen ſich demgemäß verändert. Wir haben ſchon geſehen, wie er auf der Gränzſcheide der Periode nicht mehr am Halſe ſchließt, ſondern herabfallend in gleicher Breite rings den Aus- ſchnitt des Kleides begleitet. In der Art, wie er zum Ueber- gangscoſtüm (1650—1670) ſich verwandelt hat, iſt er kaum noch ein Kragen zu nennen. Es iſt ein klarer, loſer Stoff, welcher, an verſchiedenen Stellen durch Schleifen von Goldſchnüren und

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/264>, abgerufen am 09.05.2024.