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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode.
Taille dann in der Periode des Naturalismus fast zu weit hin-
auf rückte, verlor sie an Ansehen, um jetzt auf's neue antinatura-
listisch bis zur französischen Revolution ihre eigentliche Blüthe-
zeit durchzumachen. Sie ist als die Hauptrepräsentantin des
Zeitgeistes in Bezug auf Einengung und Beschränkung zu be-
zeichnen, und fand selbst in die bürgerlichen Kreise den Ein-
gang, welche sonst der Mode widerstrebten. Eine ausführliche
Beschreibung giebt das Frauenzimmerlexikon: danach besteht sie
aus einer Anzahl Fischbeinstäben, welche mit Stoff verbunden
und mit Achselbändern versehen sind, "unten aber um und um
mit eitel abgetheilten Schuppen oder s. g. Schößlein, worinnen
das Frauenzimmer ihren Leib zusammenzuschnüren und zu be-
festigen pfleget"; der Schnürsenkel befindet sich auf dem Rücken.
Nicht selten aber muß die Schnürbrust selbst als Mieder oder
Leibchen dienen; sie ist dann mit Seide, Taffet, Damast über-
zogen, mit Gold und Silber gestickt, und vorn mit gleichen
Schnürsenkeln versehen. So wird sie auf zahlreichen Bildern
sichtbar. Es war ein Prachtstück, das in allen Ständen getragen
wurde und heutiges Tages noch vielfach in der Volkstracht zu
sehen ist. Die Schnürbrust drängte wieder die Taille herab, wie
sie den Busen erhob, und erhöhte diesen Eindruck durch die vorn
sich tief herabsenkende steife Spitze mit dem Blankscheit.

"Bald schnürt sie sich behend und läßt ein Hölzlein schnitzen,
Damit sie unvermerkt den schmalen Leib kann spitzen."

Mit der Länge der Taille wuchs der Widerspruch zwischen der
gewaltigen, hinten emporstarrenden, durch Wülste erhöhten Robe
und der feinen, auf kleinstem Raum darauf sitzenden Büste, so-
daß die äußere Erscheinung einer Dame immer unnatürlicher
wurde. Verfolgen wir das Profil derselben auf der Rückseite
von der hohen Fontange herab bis zum Ende der massenhaften
Schleppe, ohne uns die Vorderseite hinzuzudenken, so möchten
wir kaum vermuthen, daß diese Linie bei den Sprüngen und
spitzen Winkeln, welche sie macht, einer menschlichen Gestalt an-
gehört. Daß durch übermäßiges Schnüren an die Stelle der

4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
Taille dann in der Periode des Naturalismus faſt zu weit hin-
auf rückte, verlor ſie an Anſehen, um jetzt auf’s neue antinatura-
liſtiſch bis zur franzöſiſchen Revolution ihre eigentliche Blüthe-
zeit durchzumachen. Sie iſt als die Hauptrepräſentantin des
Zeitgeiſtes in Bezug auf Einengung und Beſchränkung zu be-
zeichnen, und fand ſelbſt in die bürgerlichen Kreiſe den Ein-
gang, welche ſonſt der Mode widerſtrebten. Eine ausführliche
Beſchreibung giebt das Frauenzimmerlexikon: danach beſteht ſie
aus einer Anzahl Fiſchbeinſtäben, welche mit Stoff verbunden
und mit Achſelbändern verſehen ſind, „unten aber um und um
mit eitel abgetheilten Schuppen oder ſ. g. Schößlein, worinnen
das Frauenzimmer ihren Leib zuſammenzuſchnüren und zu be-
feſtigen pfleget“; der Schnürſenkel befindet ſich auf dem Rücken.
Nicht ſelten aber muß die Schnürbruſt ſelbſt als Mieder oder
Leibchen dienen; ſie iſt dann mit Seide, Taffet, Damaſt über-
zogen, mit Gold und Silber geſtickt, und vorn mit gleichen
Schnürſenkeln verſehen. So wird ſie auf zahlreichen Bildern
ſichtbar. Es war ein Prachtſtück, das in allen Ständen getragen
wurde und heutiges Tages noch vielfach in der Volkstracht zu
ſehen iſt. Die Schnürbruſt drängte wieder die Taille herab, wie
ſie den Buſen erhob, und erhöhte dieſen Eindruck durch die vorn
ſich tief herabſenkende ſteife Spitze mit dem Blankſcheit.

„Bald ſchnürt ſie ſich behend und läßt ein Hölzlein ſchnitzen,
Damit ſie unvermerkt den ſchmalen Leib kann ſpitzen.“

Mit der Länge der Taille wuchs der Widerſpruch zwiſchen der
gewaltigen, hinten emporſtarrenden, durch Wülſte erhöhten Robe
und der feinen, auf kleinſtem Raum darauf ſitzenden Büſte, ſo-
daß die äußere Erſcheinung einer Dame immer unnatürlicher
wurde. Verfolgen wir das Profil derſelben auf der Rückſeite
von der hohen Fontange herab bis zum Ende der maſſenhaften
Schleppe, ohne uns die Vorderſeite hinzuzudenken, ſo möchten
wir kaum vermuthen, daß dieſe Linie bei den Sprüngen und
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gehört. Daß durch übermäßiges Schnüren an die Stelle der

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[251/0263] 4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode. Taille dann in der Periode des Naturalismus faſt zu weit hin- auf rückte, verlor ſie an Anſehen, um jetzt auf’s neue antinatura- liſtiſch bis zur franzöſiſchen Revolution ihre eigentliche Blüthe- zeit durchzumachen. Sie iſt als die Hauptrepräſentantin des Zeitgeiſtes in Bezug auf Einengung und Beſchränkung zu be- zeichnen, und fand ſelbſt in die bürgerlichen Kreiſe den Ein- gang, welche ſonſt der Mode widerſtrebten. Eine ausführliche Beſchreibung giebt das Frauenzimmerlexikon: danach beſteht ſie aus einer Anzahl Fiſchbeinſtäben, welche mit Stoff verbunden und mit Achſelbändern verſehen ſind, „unten aber um und um mit eitel abgetheilten Schuppen oder ſ. g. Schößlein, worinnen das Frauenzimmer ihren Leib zuſammenzuſchnüren und zu be- feſtigen pfleget“; der Schnürſenkel befindet ſich auf dem Rücken. Nicht ſelten aber muß die Schnürbruſt ſelbſt als Mieder oder Leibchen dienen; ſie iſt dann mit Seide, Taffet, Damaſt über- zogen, mit Gold und Silber geſtickt, und vorn mit gleichen Schnürſenkeln verſehen. So wird ſie auf zahlreichen Bildern ſichtbar. Es war ein Prachtſtück, das in allen Ständen getragen wurde und heutiges Tages noch vielfach in der Volkstracht zu ſehen iſt. Die Schnürbruſt drängte wieder die Taille herab, wie ſie den Buſen erhob, und erhöhte dieſen Eindruck durch die vorn ſich tief herabſenkende ſteife Spitze mit dem Blankſcheit. „Bald ſchnürt ſie ſich behend und läßt ein Hölzlein ſchnitzen, Damit ſie unvermerkt den ſchmalen Leib kann ſpitzen.“ Mit der Länge der Taille wuchs der Widerſpruch zwiſchen der gewaltigen, hinten emporſtarrenden, durch Wülſte erhöhten Robe und der feinen, auf kleinſtem Raum darauf ſitzenden Büſte, ſo- daß die äußere Erſcheinung einer Dame immer unnatürlicher wurde. Verfolgen wir das Profil derſelben auf der Rückſeite von der hohen Fontange herab bis zum Ende der maſſenhaften Schleppe, ohne uns die Vorderſeite hinzuzudenken, ſo möchten wir kaum vermuthen, daß dieſe Linie bei den Sprüngen und ſpitzen Winkeln, welche ſie macht, einer menſchlichen Geſtalt an- gehört. Daß durch übermäßiges Schnüren an die Stelle der

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/263>, abgerufen am 25.11.2024.